Der Vorhabenbegriff § 29 BauGB

— 23.06.2020 —

Die §§ 30 bis 37 BauGB gelten für Vorhaben, die die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt haben. 

Der bauplanungsrechtliche Vorhabenbegriff ist unabhängig vom Vorhabenbegriff in den einzelnen Bauordnungen der Länder. Der bauplanungsrechtliche Begriff des Vorhabens des § 29 BauGB betrachtet die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung baulicher Anlagen aus städtebaulicher Sicht, während für das Bauordnungsrecht der Länder das Bauvorhaben aus Sicht des Einzelprojektes, insbesondere im Hinblick auf Gefahrenabwehr und Gestaltung von Bedeutung ist, vgl. Reidt in Battis/Krauzberger/Löhr, Komm. zum BauGB, 13. Auflage, § 29, Rn. 1 f.

Die im Einzelfall zulässige Grundstücksnutzung nach den §§ 30 bis 37 BauGB setzt stets das Vorliegen eines Vorhabens voraus. Soweit eine Baugenehmigungspflicht besteht, hat die für die bauordnungsrechtliche Genehmigung zuständige Behörde zugleich auch über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu entscheiden. Diese Entscheidung kann auch in einer sog. Bebauungsgenehmigung, die im Rahmen eines Vorbescheids als vorweggenommener Teil der Baugenehmigung und nicht als bloße Zusage ergeht, selbstständig getroffen werden.

Die inhaltliche Umschreibung und Umgrenzung eines Vorhabens, dessen Durchführung begehrt wird, obliegt dem Bauherren. Dabei können auch mehrere an sich selbstständige bauliche Anlagen zu einem einheitlichen Vorhaben zusammengefasst werden, wenn die Verwirklichung nur in dieser Zusammenfassung gewollt ist, BVerwG  Beschl. v. 9.2.2011 – 4 BN 43/10. 

Der subjektiven Bestimmungsbefugnis (des Bauherrn) sind allerdings objektive Grenzen gesetzt. Es muss sich immer um ein einzelnes und ganzes Vorhaben handeln, z.B. können nicht mehrere Häuser als sog. “Ensembles” zu einem Vorhaben zusammengefasst werden. Sind die Gebäude jedoch in ihren Funktionen unterschiedlich und aufeinander bezogen, sodass bei Wegfall eines Gebäudes auch die anderen Gebäude in ihrer Funktion beeinträchtigt sind, kann es sich um ein einzelnes Vorhaben handeln.

Umgekehrt muss ein Vorhaben in sich geschlossen sein und auch auf Dauer für sich allein bestehen können. Maßgeblich ist stets das Vorhaben, so wie es sich nach Art und Funktion sowie seinen wirklichen Nutzungszwecken aus der Baubeschreibung ergibt, also nicht eine davon abweichende Bezeichnung, die eventuell nur gewählt wurde, um das Vorhaben genehmigungsfähig erscheinen zu lassen, vgl. OVG Münster Urt. v. 25.8.2011 – 2 A 38/10.

Der Begriff der baulichen Anlage ist ein eigenständiger bundesrechtlicher Begriff. Eine bauliche Anlage im planungsrechtlichen Sinn ist eine durch Bautätigkeit künstlich unter Verwendung von Baustoffen oder vorgefertigten Bauelementen hergestellte, geschaffene oder errichtete Anlage, die fest mit dem Erdboden verbunden ist und eine verfestigte Beziehung zu einem bestimmten Grundstück aufweist (bodenrechtliche Relevanz).

Das Merkmal des Bauens erfüllen alle Anlagen, “die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind”, BVerwG Urt.v. 31.8.1973 – IV C 33/71. Entscheidend ist das Element der Dauerhaftigkeit. Ob eine Anlage auf Dauer angelegt ist, bestimmt sich in erster Linie nach der Funktion, die ihr vom Eigentümer beigemessen wird.

So kann ein Wohnwagen eine bauliche Anlage sein, wenn er ein ortsfestes Wochenendhaus ersetzen, also die Funktion eines Wochenendhauses erfüllen soll, VGH Mannheim Beschl. v. 13.10.2014 – 5 S 2616/13. Dagegen ist ein auf der Straße abgestellter Wohnwagen, der nur für den Urlaub benutzt werden soll, keine bauliche Anlage.

Den Anlagenbegriff erfüllen kann auch ein auf einem Weiher schwimmendes und im Teichboden verankertes Wohnboot. Maßgeblich für das Element der Dauerhaftigkeit ist die beabsichtigte Dauerhaftigkeit der Anlage, nicht die tatsächliche oder beabsichtigte Dauer ihrer Benutzung, BVerwGE 44, 59 (62). Die vorübergehende Entfernung eines als Wochenendhaus genutzten Wohnwagens von seinem üblichen Standort vermag ihm daher den Charakter der baulichen Anlage nicht zu nehmen.

Einrichtungen, die nur darauf ausgelegt sind, andere bauliche Anlagen zu errichten, wie Baucontainer, Betonmischanlagen etc. sind selbst bei Großbauvorhaben aufgrund ihres temporären und dienenden Charakters selbst keine baulichen Anlagen.

Der sehr weit gefasste Begriff der baulichen Anlage erfährt eine Einschränkung durch das Merkmal der bodenrechtlichen Relevanz. Diese ist gegeben, wenn das Vorhaben die in § 1 (5) und (6) BauGB genannten Belange in einer Weise berührt oder jedenfalls berühren kann, “die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen”, BVerwG Urt. v. 7.5.2001 – 6 C 18/00.

Bei Mobilfunksendeanlagen wird es sich in der Regel um bauliche Anlagen im bauplanungsrechtlichen Sinn handeln, schon weil sie das Ortsbild und damit einen Belang nach § 1 (5) Satz 2 BauGB berühren können.

Unter Errichtung ist der Neubau, die erstmalige Herstellung oder die Aufstellung einer baulichen Anlage an einem bestimmten Standort zu verstehen. Auch die Wiederherstellung einer zerstörten Anlage ist eine Errichtung im Rechtssinne, vgl. Reidt, Komm. BauGB 13. Auflage, 3 29, Rn. 17 ff.

Die Änderung ist die Änderung der Substanz einer baulichen Anlage in städtebaulich relevanter Weise, d.h. der Umbau, der Ausbau, die Erweiterung, Verkleinerung oder auch die Veränderung des Nutzungsmaßes. Der vollständige oder teilweise Abriss fällt nicht darunter, auch nicht die Instandhaltung oder Instandsetzung. Das gilt aber nur dann, wenn die Instandsetzung nicht zu einer Erhöhung des Nutzungsmaßes führt, BVerwG Beschl. v. 10.10.2005 – 4 B 60/05. Allerdings darf der Eingriff in die Bausubstanz nicht so intensiv sein, dass es einer neuen statischen Berechnung der Anlage bedarf oder damit eine Erneuerung der wesentlichen Teile des Gebäudes verbunden ist, BVerwG Urt.v. 14.4.200 – 4 C 5/99.

Bezugsmaßstab für Änderungen ist die bestandsgeschützte Nutzung. Allein das tatsächliche Vorhandensein einer baulichen Anlage ist, unabhängig von der Dauer ihrer Existenz, nicht relevant. Ebenso wenig wird durch eine spätere Änderung oder Nutzungsänderung einschließlich ihrer Genehmigung eine illegale Errichtung nachträglich legalisiert, sofern sich die Zulassung einer Änderung oder Nutzungsänderung nicht gezielt auch auf die ursprüngliche Errichtung erstreckt. Eine Änderung einer baulichen Anlage ist auch nicht mehr möglich, wenn sie keinen Bestandsschutz mehr genießt.

Wird eine Nutzung endgültig aufgegeben, entfällt der Bestandsschutz sowohl für die Nutzung als auch für die Gebäudesubstanz. Es bedarf dann grundsätzlich einer bauplanungsrechtlichen Prüfung wie bei einer Neuerrichtung. Der Bestandsschutz für eine zuvor ausgeübte Nutzung entfällt auch dann, wenn diese dauerhaft durch eine andere Nutzung ersetzt wird. Selbst die rechtswidrige Ausweitung der Nutzung kann die Rechtmäßigkeit der ausgeübten Nutzung und damit den Bestandsschutz beseitigen, soweit sie deren Qualität verändert, BVerwG Urt.v. 18.5.1995 – 4 C 20,94.

Für bloße Nutzungsunterbrechungen gibt es im BauGB oder im sonstigen Bundesrecht keine Vorschrift, nach der der Bestandsschutz eines Vorhabens ab einer bestimmten Zeitdauer entfällt. Das geltende Baurecht kennt keine Nutzungsobliegenheit. Die Reichweite des aus einer Baugenehmigung abzuleitenden Bestandsschutzes einschließlich der Frage, wann eine Nutzungsunterbrechung zum Verlust des Bestandsschutzes führt, richtet sich daher nach dem jeweiligen Landesrecht, BVerwG Beschl.v. 9.9.2002 – 4 B 52/02.

Die Unterscheidung zwischen Änderung und Neuerrichtung hat nicht unerhebliche rechtliche und praktische Bedeutung. Liegt eine Änderung vor, ist Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Beurteilung zwar nicht nur das Änderungsvorhaben, sondern die bauliche Anlage in ihrer geänderten Gestalt. Jedoch hat sich die Prüfung des Gesamtvorhabens auf diejenigen bauplanungsrechtlichen Aspekte zu beschränken, die von der Änderung berührt werden. Die Änderung bietet keinen Anlass dafür, eine umfassende bauplanungsrechtliche Neubeurteilung des gesamten Vorhabens vorzunehmen. Vielmehr wird der Gegenstand der Genehmigung durch die berührten bauplanungsrechtlichen Belange begrenzt, vgl. Reidt, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 29, Rn. 20.

Neben der Änderung der baulichen Substanz ist auch die Änderung der Nutzung bauplanungsrechtlich relevant.

Die Nutzungsänderung ist die Änderung der Benutzung ohne Änderung der Bausubstanz.

Voraussetzung ist, dass die Nutzungsänderung vom Nutzer veranlasst wurde; eine bloße Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der äußeren Rahmenbedingungen, die zu einer anderen bauplanungsrechtlichen Beurteilung der baulichen Anlage oder ihrer Nutzung führt, ist keine Nutzungsänderung, vgl. BVerwG Urt. vo. 29.10.1998 – 4 C 9/97. Nicht jede Nutzungsänderung ist von Bedeutung, sondern nur solche, die bodenrechtliche Belange im Sinne des § 1 BauGB berührt und die zudem die jeder Art von Nutzungen eigene Variationsbreite verlässt, so dass sich in bodenrechtlicher Hinsicht die Genehmigungsfrage neu stellt, z.B. Gewerbe statt Wohnen, Großhandel statt Einzelhandel, Spielhalle statt Kino, Altenwohn- und Pflegeheim statt Altenwohnheim, Seniorenheim statt Kinderheim, Asylbewerberheim statt Soldatenunterkunft oder Lehrlingswohnheim oder Boardinghouse, Dauerwohnen statt Wochenendhaus. Auch die Umwandlung von Betriebswohnungen in frei verfügbare Wohnungen ist eine Nutzungsänderung. 

Eine bloße Nutzungsintensivierung, z.B. die Erweiterung der Bettenanzahl eines Ferienhauses, kann eine Nutzungsänderung sein, wenn dadurch der Nutzungsumfang oder andere Emissionsverhältnisse oder sonstige Auswirkungen begründet werden, an die das Städtebaurecht andere Folgen knüpft, etwa hinsichtlich der Zumutbarkeit für Nachbarn.

So kann auch die “schleichende” Weiterentwicklung eines Gewerbebetriebes zu einer Nutzungsänderung führen, bejaht für die Umwandlung eines Gasthauses mit Tanzfläche in eine Diskothek, BVerwG Beschl.v. 11.7.2001 – 4 B 36/01.

Die Schwelle zur Nutzungsänderung ist tendenziell niedrig, sie hängt von der genehmigten Nutzung und deren Spielräumen sowie der in Konkretisierung dieser Spielräume tatsächlich aufgenommenen Nutzung ab. 

Je geringer die mit der Genehmigung eingeräumten Spielräume sind, desto geringer ist auch die Variationsbreite der zugelassenen Nutzungen. Maßgeblich sind der Genehmigungsbescheid als auch die ihm zugrunde liegenden Bauvorlagen, vgl. VGH München, Beschl. v. 9.9.2013 – 14 ZB 1899.

Wegen ihrer städtebaulichen Bedeutsamkeit bedürfen auch Aufschüttungen, Abgrabungen sowie Ausschachtungen und Ablagerungen größeren Umfangs der bauplanungsrechtlichen Prüfung, auch wenn es sich dabei nicht um bauliche Anlagen handelt.