BVerwG, Beschluss vom 13. 05. 2014 – 4 B 38.13

— 07.08.2020 —

Leitsätze:

1. Die nähere Umgebung ist für die in § 34 (1) Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen.

2. Die Annahme, hinsichtlich des Merkmals der “Grundstücksfläche, die überbaut werden soll” erfasse die nähere Umgebung i.S.d. § 34 (1) Satz 1 BauGB in der Regel einen kleineren Bereich als hinsichtlich des Merkmals der Art der baulichen Nutzung, entbindet jedenfalls nicht von einer Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall.

Die benachbarten Grundstücke der Klägerin und der Beigeladenen befinden sich in einem Stadtviertel mit einer gründerzeitlichen, in der Regel fünfgeschossigen straßenseitigen Blockrandbebauung. Ein Bebauungsplan besteht nicht. Im November 2009 wurde der Beigeladenen die Baugenehmigung erteilt für einen Seitenflügel nebst Quergebäude, der im rückwärtigen Teil ihres Grundstücks an die bestehende Blockrandbebauung anschließt und an der Grundstücksgrenze zum Grundstück der Klägerin liegt. Das Vorhaben soll über sechs, in ihrer Ausdehnung gestaffelte Geschosse verfügen.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Baugenehmigung aufgehoben, da das Vorhaben die Vorschrift über die Abstandsflächen (§ 6 (1) Satz 1, (2) Satz 1 Bauordnung Berlin) verletze. Die Beigeladene dürfe nicht nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze bauen. Das Vorhaben füge sich entgegen § 34 (1) Satz 1 BauGB nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Maßgeblich als nähere Umgebung sei allein der südliche Teil des Straßengevierts, in dem eine rückwärtige Bebauung mit einem mehrgeschossigen Seitenflügel kein Vorbild finde, sich vielmehr eine grundstücksübergreifende, im räumlichen Zusammenhang stehende, nicht bebaute Grundstücksfläche befinde.

In der so bestimmten näheren Umgebung verlaufe hinter der Blockrandbebauung eine Baugrenze. Das Bauvorhaben der Beigeladenen überschreite diese Baugrenze und löse durch eine nicht auszuschließende Vorbildwirkung bodenrechtliche Spannungen aus.

Die Beigeladene fordert im Kern, auch den nördlichen Teil des Straßengevierts als nähere Umgebung in den Blick zu nehmen. Dort befinden sich auch im rückwärtigen Teil der Grundstücke Seitenflügel.

Maßstabbildend im Sinne des § 34 (1) Satz 1 BauGB ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst.

Dabei ist die nähere Umgebung für die in § 34 (1) Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen. Denn die Merkmale, nach denen sich ein Vorhaben in die Eigenart dieser näheren Umgebung einfügen muss, sind jeweils unabhängig voneinander zu prüfen. So hat der Senat zu § 34 BauGB angenommen, dass bei der Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung eines Grundstücks der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebauung “in der Regel” enger zu begrenzen sein werde als bei der Ermittlung des Gebietscharakters.

Mit dem in § 34 (1) Satz 1 BauGB verwendeten Begriff der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ist die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung gemeint. Es geht also um den Standort im Sinne des § 23 BauNVO. Die Instanzengerichte neigen dazu, hinsichtlich dieses Merkmals einen kleineren Umgriff der näheren Umgebung anzunehmen als bei der Art der baulichen Nutzung; dies gelte “in der Regel”.

Das Oberverwaltungsgericht hat bei der Abgrenzung der näheren Umgebung nicht allein auf die im nördlichen Bereich vorhandene Bebauungstiefe abgestellt, sondern auch darauf verwiesen, dass die Bereiche durch eine relativ hohe fünfgeschossige Bebauung im Blockinnern optisch vollständig voneinander getrennt seien.

Die für die Bestimmung des Bebauungszusammenhangs erforderliche wertende und bewertende Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse kann nach dem Sachzusammenhang, in den sie eingebettet ist, nur an äußerlich erkennbare, also mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse anknüpfen. Das kann auf die Abgrenzung der näheren Umgebung übertragen werden. Zur Ermittlung können auch Lagepläne verwendet werden, die ein Bild “von oben” vermitteln.

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