BVerwG Urt. v. 14.12.2017 – 4 C 9.16

— 10.08.2020 —

Der Kläger begehrt eine Baugenehmigung, hilfsweise einen Vorbescheid für eine auf einem Anbau zu einem Mehrfamilienhaus gebaute Dachterrasse und einen darüber errichteten Balkon. Auf dem im Eigentum des Klägers stehenden Vorhabengrundstück befindet sich ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus. Die umliegenden Grundstücke sind mit Wohnhäusern bebaut, ein Bebauungsplan fehlt. 

An das Mehrfamilienhaus ist zum rückwärtigen Garten hin ein eingeschossiger, etwa 15 qm großer Raum angebaut, der 2011 als “Abstellraum” genehmigt wurde. Er verfügt über eine Glastür und ein Fenster zum Garten und kann vom Wohnzimmer aus betreten werden. Auf diesem Anbau errichtete der Kläger die Dachterrasse und darüber einen Balkon in Form eines Altans, deren Genehmigung er anstrebt. 

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts fügt sich das Vorhaben nach der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die maßgebliche Bebauung weise im rückwärtigen Bereich eine faktische Baugrenze auf, die von der Dachterrasse und dem Balkon deutlich überschritten werde. Der als Abstellraum genehmigte Anbau scheide als Vorbild für die überbaubare Grundstücksfläche aus, weil er eine nicht prägende Nebenanlage zum Haupthaus sei. Das Vorhaben sei geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen auszulösen oder zu erhöhen und daher unzulässig.

Der Kläger ist der Auffassung, das Bauvorhaben liege innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen, da der Anbau ein Teil des Hauptgebäudes sei, so das Terrasse und Balkon auf einer bereits überbauten und damit überbaubaren Grundstücksfläche errichtet werden sollten. Er verfolgt sein Begehren mit Erfolg in der Revision weiter.

Das Oberverwaltungsgericht hat seine Prüfung auf den vorhandenen Anbau erstreckt, weil nicht nur die auf den umliegenden Grundstücken, sondern auch die auf dem Baugrundstück selbst vorhandene Bebauung den Maßstab für die weitere Bebauung bildet. Der Anbau kann nicht als Vorbild hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche dienen. Er sei eine Nebenanlage, so dass sich eine rückwärtige Bebauung nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. 

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein Verstoß gegen Bundesrecht vor. Der Anbau ist keine Nebenanlage, sondern Teil der Hauptanlage.

Nebenanlagen können nur Anlagen sein, die nicht Bestandteil des Hauptgebäudes sind. Zur Abgrenzung können funktionelle und räumliche Gesichtspunkte herangezogen werden. Nach räumlichen Gesichtspunkten hat das Oberverwaltungsgericht eine Nebenanlage angenommen, da der Anbau wie ein “Anhängsel” zum Hauptgebäude wirke. Er sei eingeschossig und nicht unterkellert.

Diese Überlegung verfehlt den bundesrechtlichen Maßstab. Die angeführten optischen Kriterien beantworten nicht die Frage nach dem Vorliegen einer Nebenanlage. Für die räumliche Lage von Nebenanlagen sieht das Bauplanungsrecht gewisse Erleichterungen vor, vgl. § 23 (5) BauNVO. Gleiches gilt für die Art der baulichen Nutzung nach § 14 (1) S. 1 BauNVO. Die letztgenannte Vorschrift begünstigt indes nicht alle, sondern nur die untergeordneten Nebenanlagen. Zu den Wesensmerkmalen einer untergeordneten Nebenanlage gehört, dass die Anlage sowohl in ihrer Funktion als auch räumlich-gegenständlich dem primären Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke dienend zu- und untergeordnet ist. Für die räumlich-gegenständliche Unterordnung sind optische Kriterien maßgeblich, welche die Nebenanlage als “Anhängsel” erscheinen lassen.

Das vom Oberverwaltungsgericht herangezogene Kriterium beantwortet aber nicht die Frage, ob eine Anlage keine Nebenanlage ist, weil sie Teil der Hauptanlage ist. Dafür ist in räumlicher Hinsicht maßgeblich, ob das Vorhaben ein eigenständiges Gebäude ist, es in das Hauptgebäude integriert oder mit ihm konstruktiv verbunden ist. Im Regelfall wird eine Nebenanlage baulich selbstständig sein, während ein an ein Wohnhaus angebauter Raum als Erweiterung der Hauptanlage keine Nebenanlage ist.

Zwar sind auch Nebenanlagen denkbar, die an die Hauptanlage angebaut sind. In solchen Fällen muss aber durch die Bauweise, die Gestaltung des Zugangs oder auf andere Weise die auf eine Nebenanlage beschränkte Funktion deutlich hervortreten. Nach diesem Maßstab ist der Anbau in räumlicher Hinsicht Teil der Hauptanlage. Er ist kein eigenständiges Gebäude. Vielmehr entspricht die Bauweise dem Hauptgebäude, der Anbau schließt nahtlos an das Hauptgebäude an, nutzt die bisherige Außenwand als Zimmerwand, ist vom Wohnzimmer aus zugänglich und vergrößert die Erdgeschosswohnung um einen Raum.

Funktionelle Gesichtspunkte führen nicht zu einer anderen Einordnung. In welchem Verhältnis räumliche und funktionelle Gesichtspunkte bei der Abgrenzung zwischen einem Teil einer Hauptanlage und einer Nebenanlage stehen, hat der Senat bisher nicht geklärt……

Die genehmigte Nutzung als Abstellraum kann gegenüber der Wohnnutzung eine Nebenanlage sein, was im vorliegenden Fall nicht den Ausschlag gibt. Denn die Funktion als Nebenanlage findet in der baulichen Gestaltung keinen Ausdruck, der Raum ist vielmehr einem Aufenthaltsraum deutlich angenähert. Zudem kann auch ein Abstellraum je nach gelagerten Gegenständen funktionell der Wohnnutzung zugeordnet sein. Dem entspricht es, dass aus den Genehmigungsunterlagen eine ursprüngliche Planung als “Allzweckraum” hervorgeht.

Das Oberverwaltungsgericht wird danach die von ihm offen gelassene Frage zu beantworten haben, ob es an einem Einfügen nach der Grundfläche, die überbaut werden soll, dennoch fehlt, weil sich die durch den Anbau überbaute Fläche als unbeachtlicher “Ausreißer” gegenüber der Baugrenze erweist oder ob andere rechtliche Gesichtspunkte der Erteilung einer Baugenehmigung oder hilfsweise eines Vorbescheides entgegenstehen.

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