— 08.09.2020 —
Nach der ersten Karstadt-Insolvenz im Jahr 2009 hatte der Investor Benko 2013 die Mehrheit gekauft und 2015 die letzte deutsche Warenhauskette übernommen. 2018 fusionierten Karstadt und Galeria Kaufhof, die Signa Holding übernahm sämtliche Anteile. Karstadt und Kaufhof befanden sich seit längerer Zeit in einer schweren Krise, da es nicht gelang, dem wachsenden Online-Handel ein tragfähiges Konzept entgegenzusetzen und die Kaufhäuser wieder für einen größeren Kundenkreis attraktiv zu gestalten. Erneute Einnahmeausfälle in der Corona-Krise führten zur Insolvenz Anmeldung. Das Insolvenzverfahren soll noch in diesem Monat abgeschlossen werden, die Gläubigerversammlung von Galeria Karstadt Kaufhof hat dem Insolvenzplan zugestimmt, die Gläubiger verzichten auf Ansprüche in Milliardenhöhe, für 47 Filialen droht das endgültige Aus, mehr als 5000 Arbeitsplätze sollen verloren gehen. Einzelne Betriebsräte und ver.di Tarifkommissionsmitglieder demonstrierten gegen die geplanten Streichungen, die Pläne der Insolvenzverwalter und der Signa könnten geändert werden, gleichzeitig müsse mit den Kommunen über die Zukunft der Filialen gesprochen werden.
Die Schließung von Karstadt Recklinghausen im Jahr 2016 nach mehr als 120 Jahren sorgte für Aufsehen, denn viele BürgerInnen der Stadt fühlten sich mit dem Haus verbunden, außerdem prägte das Gebäude die Innenstadt von Recklinghausen. Nach längerem Leerstand setzen Investoren und Stadt nun auf eine sog. Mischnutzung der fast 13.000 Quadratmeter. Neben Büroräumen, einer Kindertagesstätte, inhabergeführten Einzelhandelsbetrieben, Gastronomie und einer Kindertagesstätte sollen auch Wohnungen entstehen.
Für Stadtplaner ist eine Umnutzung bestehender großer Gebäude alles andere als einfach. Norbert Portz vom Deutschen Städte- und Gemeindebund weiß, dass eine Umnutzung wegen der Größe und Mehrgeschossigkeit der Gebäude hohe Kosten verursacht. Insbesondere die Schaffung von Wohnraum in den leerstehenden Karstadt Gebäuden dürfte nicht einfach zu verwirklichen sein. Wünschenswert ist es aber, um der Verödung der Innenstädte nach Geschäftsschluss entgegenzuwirken. “Eine Funktionsvielfalt in Innenstädten sorgt für Attraktivität und Lebendigkeit. Sie kann insbesondere dazu beitragen, dass Innenstädte auch nach Geschäftsschluss, etwa über eine Wohnnutzung lebenswert bleiben,” so Portz (tagesschau.de vom 03.09.2020).
Stadtforscher Stefan Kreutz aus Hamburg stimmt dem zu. Er analysiert die Transformation von Innenstädten und urbaner Zentren und weiß, dass monofunktionale Innenstädte, die fast ausschließlich auf den Einzelhandel setzen, außerhalb der Geschäftszeiten unattraktiv sind, zentrales Thema ist häufig die fehlende Wohnbevölkerung in den Innenstädten. Der Leerstand von großen Immobilien wirke negativ auf die Umgebung. Der Stadtforscher glaubt an die Entwicklungschancen und appelliert an Kommunen und Investoren, die Krise jetzt zu nutzen und eine Renaissance der Innenstädte als urban-kulturelle Orte zu fördern.
Die Berliner Morgenpost berichtet am 03.09.2020, dass Karstadt am Hermannplatz umgestaltet werden soll. Der Investor Signa will auch Wohnungen bauen, aber wie immer stößt das Projekt auf Kritik.
Die Anhörung zu den Neubauplänen des Eigentümers Signa, konkret geht es um Neubauvorhaben am Alexanderplatz, am Kurfürstendamm und am Hermannplatz, offenbart die Uneinigkeit der Berliner Regierung. SPD und Teile der Opposition unterstützen die Projekte zur Neugestaltung und Aufwertung der historischen Warenhaus-Standorte. Vertreter der Linken und Grünen lehnten die Pläne ab, insbesondere der geplante Neubau im Stil der 1920er-Jahre am Hermannplatz findet wenig Zustimmung, heißt es in der Presse.
Im Juni 2020 meldete die Berliner Morgenpost, dass die österreichische Signa-Gruppe des Karstadt-Kaufhof-Eigners René Benko, die ihre Pläne (im Mai 2019) für ein neues Karstadt-Gebäude am Hermannplatz vorgestellt hatte, für Aufregung im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, als auch im Bezirk Neukölln sorgte. Gentrifizierung und Verdrängung werden befürchtet. Acht Politiker der Linken und Grünen aus dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg haben einen Brief an den Regierenden Bürgermeister M.Müller verfasst, in dem sie sich gegen die Baupläne des Investors Signa für die Filiale am Hermannplatz wenden. Angeblich wolle Signa die Arbeitsplätze in einigen Kaufhäusern nur erhalten, wenn auch die eigenen Bauinteressen durchgesetzt werden können (auch rbb Abendschau vom 20.08.2020).
Am 11. Juni 2020 meldete der Tagesspiegel, dass die Pläne für den Neubau quasi auf Eis liegen, da es zwischen der Signa und den zuständigen Behörden – Baustadtrat Florian Schmidt – keine Kommunikation gibt. Daraufhin wurde das Online-Informationsportal “Nicht ohne euch” gestartet. Einwände und Wünsche der Berliner Bevölkerung und aus der Politik seien aufgenommen wurden und die Pläne entsprechend überarbeitet, sagte Signa-Projektmanager Thibault Chavanat.
Das Online-Informationsportal fasst das geplante überarbeitete Projekt zusammen. Ziel des Investors ist es, einen Mehrwert für die AnwohnerInnen und positive Veränderungen zu ermöglichen, ein anspruchsvolles Mobilitätskonzept und eine gute Gestaltung für das Gebäude sollen zu einer Verbesserung der Lebens- und Aufenthaltsqualität rund um den Hermannplatz führen. Um einen lebendigen Ort für Karstadt zu schaffen, sollen eine gemischt genutzte Immobilie und durch den Wiederaufbau des Gebäudes in seiner historischen Form eine identitätsstiftende Architektur entstehen, die die Attraktivität der Umgebung stärkt. Es soll ein nachhaltiges, ökologisches und soziales Projekt werden, durch die Nutzungsmischung wird der Einzelhandelsanteil nicht größer, das Kleingewerbe in der Umgebung soll von der Attraktivität und der Besucherfrequenz des neuen Gebäudes profitieren. Nach einer drei- bis vierjährigen Bauphase soll ein Platz für den Kiez geschaffen werden, den AnwohnerInnen vielfältig und kreativ nutzen können.
Geplant ist z.B. auch eine öffentliche Dachterrasse für kulturelle Veranstaltungen und Gastronomieangebote, 3.600 Quadratmeter Fläche sollen für das Gemeinwohl zur Verfügung gestellt werden. Dort könnten Kindertagesstätten, Ateliers, Sport- und Proberäume etc. entstehen. Ein überarbeitetes Warenhauskonzept soll 2.000 MitarbeiterInnen einen sicheren Arbeitsplatz bieten, außerdem sollen auf 1.500 Quadratmetern bezahlbare Wohnungen in gemeinnütziger Trägerschaft entstehen. Durch ein zukunftsweisendes Mobilitätskonzept sollen Fußgänger, Radfahrer und der Öffentliche Personennahverkehr Vorfahrt haben. Das voraussichtliche Investitionsvolumen für vier Standorte soll 450 Millionen Euro betragen.
Berliner und Anwohner diskutieren eifrig mit: Vieles spricht für den geplanten Neubau im Stil der 20er Jahre. Es sei die Chance, den in ästhetischer und sozialer HInsicht erbärmlichen Status Quo am Hermannplatz positiv zu verändern, eine Gentrifizierung müsse auch nicht immer negativ sein, da die Lebensqualität eines Ortes mit der Kaufkraft der Bevölkerung steige. Ein gutes, breit gefächertes Warenangebot gäbe es im Einzugsbereich schon lange nicht mehr, vielmehr beschränke sich der Einzelhandel auf Kioske, Kleingastronomie und Brautmodenläden.
Nach der Fertigstellung des geplanten Neubaus könne die ganze Stadt davon profitieren, da dieser dann ein Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt werden würde, Neukölln wäre nicht mehr der Schandfleck Berlins. Wer Arbeitsplätze erhalten will, dürfe sich nicht gegen notwendige Investitionen stellen. Eine positive Aufwertung des Gebiets um den Hermannplatz ist aufgrund der aktuellen Situation jedenfalls wünschenswert.
Die Berliner Wirtschaftssenatorin, Frau Ramona Popp spricht sich für die Umbaupläne der Signa aus, denn es stelle sich die Frage, ob das Kaufhaus überhaupt überleben könne oder es nicht doch eine neue Konzeption benötige, um dieses Kaufhaus in die Zukunft zu überführen. Auch der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel von der SPD sieht Handlungsbedarf: “Wenn wir nichts ändern an der Stelle, dann sehen wir von Karstadt und vom Hermannplatz nicht mehr viel außer weitere Zeichen von Verwahrlosung des öffentlichen Raums,” (Quelle rbb 24 vom 04.09.2020).
Herr Florian Schmidt von den Grünen sieht keinerlei Mehrwert für die Menschen durch das geplante Vorhaben, sie seien bereits versorgt. Er glaubt, dass der geplante Neubau nur fremdes, reiches, kaufkräftiges Publikum nach Kreuzberg und Neukölln bringen würde und befürchtet gar strukturellen Rassismus. Gegenüber der Abendschau äußerte er: “Es ist ja schon eine Sache auf dem Tisch, die man durchsetzen will. Man verdichtet, man bringt teure Mieten an den Start.” Schmidt fürchtet, dass am Hermannplatz ein Sozialraum umgekrempelt wird.
Das Solidarische Netzwerk von Nachbarschaft und Gewerbetreibenden in Berlin-Kreuzberg spricht sich ebenfalls gegen das Projekt aus. Es werden Arbeitsplatzverlust und Verdrängung der Bewohner und Kleingewerbetreibenden befürchtet, wenn für fünf bis zehn Jahre eine Großbaustelle Hermannplatz entsteht. Es wird behauptet, dass durch die Pläne für eine historische Architektur vor allem ein makelloses Umfeld für die ökonomischen und politischen Interessen eines Immobilienkonzerns geschaffen werden soll und Signa eine gespaltene Koalition anstrebe. Auch der Stadtrat für Stadtentwicklung Neukölln, Herr Jochen Biedermann, zweifelt an den Plänen der Signa, insbesondere zum Wohnungsbau, da mehr als allgemeine Aussagen nicht vorliegen würden.
Die Initiative Hermannplatz, eine Arbeitsgemeinschaft gegen den Abriss und gegen den Neubau möchte im Grunde, dass alles bleibt wie es ist. Trotzdem soll neuer Wohnraum entstehen und die Arbeitsplätze in der Umgebung sollen erhalten bleiben. Die Stadtentwicklung soll die Interessen der KiezbewohnerInnen in den Vordergrund stellen und es soll Raum und Schutz für diskriminierte, geflüchtete, arme und wohnungslose Menschen geben. Sehr aufschlussreich auch die Willensbekundung der Webseite: “Wir wollen weiterhin auf dem Hermannplatz abhängen, liegen, sitzen, plaudern, pöbeln, lieben, demonstrieren, weinen, essen , trinken, rülpsen, lachen, streiten, tanzen und motzen können ohne beobachtet, verurteilt und ausgegrenzt zu werden. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt und träumen von einer besseren Welt.”
Die Initiative befürchtet vor allem eine Zerstörung des postmigrantischen Kleingewerbes im Bezirk und die Zerstörung gewachsener Kiezstrukturen. Herr Benko sei ein Großspender der rechten FPÖ, es sei nicht hinnehmbar, dass so einer im Kiez sein Projekt umsetzte. “Die Arbeitsgemeinschaft will u.a. die Bevölkerung im Umkreis des Hermannplatzes davon überzeugen, dass ein solcher geplanter Konsumtempel absolut keine gute Idee ist und umliegende gewachsene Kiezstrukturen nachhaltig zerstören würde.”
Der Berliner Senat will sich verpflichten, die Weiterentwicklung der Galeria Karstadt Kaufhof-Standorte, u.a. am Kurfürstendamm und am Hermannplatz zu unterstützen, hat die Planung für den Hermannplatz an sich gezogen (rbb 24 vom 02.09.2020) und sich über die Bezirksverwaltung hinweggesetzt.
Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee, da die Verantwortlichen der Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln offensichtlich wenig kommunikations- und kompromissbereit sind und eher als Innovationsbremse daherkommen. Vielleicht befürchten sie auch den Verlust der Wählerstimmen, die lieber auf dem Hermannplatz abhängen, rülpsen, streiten und trinken wollen und ein Recht auf Stadt postulieren – für sich und angeblich ausgegrenzte Mitmenschen. Ein tragfähiges Gegenkonzept jedenfalls können sie, wie auch andere Gegner des Projektes, nicht anbieten.
Von Seiten der Verantwortlichen existiert bis heute kein Plan, was mit Wohnungslosen, Armen und Diskriminierten in der Stadt geschehen soll bzw. wie deren Situation sich verbessern lässt. In Friedrichshain-Kreuzberg und in Neukölln sieht es teilweise aus wie auf einer Müllkippe, Verwahrlosung von öffentlichen Plätzen führt zu steigender Kleinkriminalität, mittlerweile stehen Diskriminierte und Kleingewerbetreibende von der Warschauer Straße bis zum Kottbusser Tor und postulieren ein Recht auf Stadt. In den Bezirksverwaltungen fehlt es ja an Personal.
Auch das Argument der sog.Gentrifizierung taugt in diesem Zusammenhang wenig, denn diese findet statt aufgrund steigender Mieten wegen fehlender Wohnungsangebote, schleppend vorangehender Neubauvorhaben und starker Nachfrage durch Zuzug und wachsende Bevölkerung. Gentrifizierung wird nicht ausgelöst durch einzelne Neubauvorhaben. Sie findet ja bereits seit Jahren statt, trotz Mietpreisbremse und ganz besonders im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der auch unter der grünen Bezirksverwaltung stetig ansteigende Mieten verzeichnet. Der geplante Neubau der Galeria Karstadt wird diese Tendenzen nicht wesentlich verstärken, einige preiswerte Neubauwohnungen mehr für wohnungssuchende Städter wären aber eine Entlastung. Auch teure Eigentumswohnungen würden Käufer finden und Altbestände schonen.
Dass das geplante Projekt gewachsene Kiezstrukturen zerstören könnte, ist nicht vielmehr als eine haltlose Behauptung. Welche Kiezstrukturen sind damit gemeint? Bereits seit den neunziger Jahren ist von diesen vielbesungenen Kiezstrukturen nicht mehr viel übrig. Alles befindet sich in ständiger Veränderung, die häufig beschworenen Kiezstrukturen sind genauso ein Mythos wie die geplante Anlehnung an das historische Vorbild am Hermannplatz, Herr Schmidt fand ja das Aufsetzen der Architektur von damals sei heute nicht mehr angemessen. Das stetige Beharren auf alten Strukturen ist es genauso wenig, zumal diese in Neukölln auch auf rechtsstaatliche Bedenken stoßen, die befürchtete Umkremplung des Sozialraums ist möglicherweise sogar zu begrüßen und förderungswürdig.
Ein Neubau im alten Stil als Erinnerung an die “goldenen Zwanziger” mit einem modernen Innenleben in Form innovativer Nutzungen würde die Gegend um den Hermannplatz erheblich aufwerten. Es werden neue Arbeitsplätze entstehen und alte erhalten bleiben, wenn die Bauprojekte verwirklicht werden. Die ständig wiederholten Behauptungen, es werde Mietsteigerungen und ein Gewerbesterben geben, sind substanzlos, da auch ohne innovative, gewagte und größere Investitionen die Mieten genauso steigen und bei sinkender Kaufkraft Gewerbetreibende trübe Zukunftsaussichten haben werden. Hier besteht jede Menge Handlungsbedarf, auf eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation durch Nichthandeln und provinziellen Beharrens veralteter Strukturen braucht niemand zu hoffen. Die Vereinbarung zwischen dem Land Berlin und der GALERIA Karstadt Kaufhof GmbH mit der Signa-Gruppe (vgl. Pressemitteilung vom 03.08.2020 des Regierenden Bürgermeisters) auf eine kooperative Zusammenarbeit ist zu begrüßen. Hoffentlich fehlte es hierfür nicht an geeignetem Personal.