Die öffentlichen Belange des § 35 (3) BauGB

— 17.08.2020 —

In § 35 (3) Nr. 1 bis Nr. 8 BauGB wird beispielhaft aufgezählt, wann eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vorliegt. Widerspricht ein Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans, Nr. 1. oder den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, Nr. 2, sind öffentliche Belange beeinträchtigt.

Ebenso ist das der Fall, wenn ein Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, § 35 (3) Nr. 3, oder wenn Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, § 35 (3) Nr. 5 oder das Vorhaben die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt, § 35 (3) Nr. 7.

Werden privilegierte Vorhaben beeinträchtigt, führt das nicht zur Unzulässigkeit des Vorhabens, sondern es muss ein Abwägung zwischen den jeweils berührten öffentlichen Belangen und dem Vorhaben stattfinden, wobei zu Gunsten des Vorhabens die Privilegierung ins Gewicht fällt.

Bei sonstigen Vorhaben nach § 35 (2) BauGB ist zu beachten, dass der Gesetzgeber für sie bereits dann keine Rechtfertigung vorsieht, wenn öffentliche Belange beeinträchtigt werden. Ob eine solche Beeinträchtigung vorliegt, hängt wiederum von den Umständen des Einzelfalls ab, Mitschang/Reidt, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 35, Rn.69.

Der Abwägung zwischen den Interessen an der Durchführung des Vorhabens und der negativen Berührung öffentlicher Belange hat dort ihre Grenze, wo die zu erwartenden Nachteile nur noch durch sonstige Vorteile aufgerechnet werden könnten. Eine planerische Konfliktbewältigung im Sinne einer Kompensation, käme im Ergebnis einer gestaltenden Abwägung gleich, welche kennzeichnend für die Bauleitplanung ist. Bei Entscheidungen nach § 35 BauGB ist sie nicht erlaubt, w.o, Rn 70.

Bei der Feststellung, ob öffentliche Belange einem Vorhaben entgegenstehen oder durch dieses beeinträchtigt werden, hat die Abwägung lediglich zum Gegenstand, ob überhaupt ein öffentlicher Belang betroffen ist.

Durch § 35 (3) BauGB soll die Außenbereichsverträglichkeit von Vorhaben sichergestellt werden. Neben den beispielhaft aufgeführten öffentlichen Belangen sind auch andere öffentliche Belange von Bedeutung, sofern sie in einer konkreten Beziehung zur städtebaulichen Ordnung stehen und damit dem in § 1 BauGB vorgegebenen Leitgedanken einer geordneten städtebaulichen Entwicklung unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Verhältnisse mitumfasst sind, w.o. Rn. 72.

 

Einzelne öffentliche Belange, die einem Vorhaben im Außenbereich entgegenstehen können

Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans, § 35 (3) Nr. 1 BauGB

Die im Flächennutzungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Vorstellungen der Gemeinde gehören als Konkretisierung der im Einzelfall geordneten städtebaulichen Entwicklung zu den öffentlichen Belangen. Zwar ist der Flächennutzungsplan nur ein vorbereitender Bauleitplan, er ist jedoch mehr als nur eine unverbindliche Äußerung der Gemeinde, die mit ihm ihren planerischen Willen zum Ausdruck bringt. Die Gemeinde kann sich zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung im Außenbereich mittels Bauleitplanung grundsätzlich auf den Flächennutzungsplan beschränken; er darf aber aufgrund des Bestimmtheitsgrades seiner Darstellungen nicht faktisch an die Stelle eines Bebauungsplans treten, BVerwG Urt. v. 18.8. 2005 – 4 C 13/04.

Die Darstellungen des Flächennutzungsplans haben für die Zulässigkeit privilegierter und sonstiger Vorhaben unterschiedliches Gewicht. Die Privilegierung von Vorhaben im Außenbereich entfaltet dann keine Wirkung, wenn der Flächennutzungsplan eine sachlich und räumlich eindeutige, der Zulässigkeit eines Vorhabens entgegenstehende standortbezogene Aussage enthält, der Standort also in qualifizierter Weise anderweitig verplant ist.

Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines sonstigen Vorhabens im Außenbereich sind die Darstellungen des Flächennutzungsplans grundsätzlich ohne besondere Einschränkungen zu berücksichtigen.

Die Darstellungen des Flächennutzungsplans sind nur geeignet, die Unzulässigkeit eines Vorhabens zu begründen. Die Zulässigkeit eines Vorhabens kann ein Flächennutzungsplan hingegen nicht herbeiführen. Wenn das Vorhaben andere öffentliche Belange beeinträchtigt oder sie ihm entgegenstehen, kann dies durch die Vereinbarkeit mit den Darstellungen des Flächennutzungsplans nicht ausgeräumt werden.

 

Schädliche Umwelteinwirkungen, § 35 (3) Nr. 3 BauGB

Öffentliche Belange werden beeinträchtigt, wenn das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt ist. Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen ist in § 3 (1) Bundesimmissionsschutzgesetz definiert. Schädliche Umwelteinwirkungen sind danach Immissionen, die nach Art, Ausmaß ode Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft hervorzurufen. Derartige Einwirkungen sind den Betroffenen grundsätzlich nicht zumutbar. Der Begriff der Unzumutbarkeit kennzeichnet die Grenze, von der ab dem Betroffenen eine nachteilige Einwirkung nach den konkreten tatsächlichen Verhältnissen billigerweise nicht mehr zugemutet werden soll. Dieser öffentliche Belang dient dem Schutz der Bevölkerung, weshalb private Betroffene auf seine Einhaltung nicht wirksam verzichten können.

Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne der Norm sind nach der Rechtsprechung des BVerwG nichts anderes als die gesetzliche Ausformung des allgemeinen baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme für eine besondere Konfliktsituation. Auch das in § 35 (3) Satz 1 BauGB nicht ausdrücklich aufgeführte Gebot der Rücksichtnahme ist ein beachtlicher öffentlicher Belang. Rücksicht zu nehmen ist jedoch nur auf solche Individualinteressen, die nach der gesetzgeberischen Wertung schützenswert sind, BVerwG Urt. v. 18.11.2004 – 4 C 1/04.

Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme stellt, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schützenswürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden; je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu  nehmen. Hier kommt es wieder auf eine Abwägung an.

Aus dem Immissionsschutzrecht ergibt sich auch die Grenze für die Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Werden schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes nicht hervorgerufen, kommt insoweit einer Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme in der Regel nicht in Betracht. Das Rücksichtnahmegebot geht jedoch – als allgemeines baurechtliches Gebot – über das hinaus, was durch den Begriff der “schädlichen Umwelteinwirkungen” erfasst wird. Es betrifft auch solche Fälle, in denen nicht Immissionsbelastungen, sondern sonstige nachteilige Wirkungen in Rede stehen, z.B. optisch bedrängende Wirkung eines Vorhabens.

In Einzelfällen können Außenbereichsvorhaben, die an sich privilegiert sind, aber schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen oder ihnen ausgesetzt werden oder sonst auf die Interessen Dritter nicht genügend Rücksicht nehmen, genehmigungsunfähig sein; VGH München Beschl. v. 28.8.2001 – 26 ZS 01/1413, – ein Landwirt, von dessen vorhandenen Betrieb Immissionen ausgehen, kann sich gegen die den Immissionen ausgesetzte heranrückende Wohnbebauung auf die Grundsätze des Rücksichtnahmegebotes berufen; OVG Münster Beschl. v. 5.5.2006 – 10 B 205/06 – eine Baugenehmigung für ein Wolfsgehege kann das Gebot der Rücksichtnahme im Hinblick auf das Wolfsgeheul verletzen, BVerwG Beschl. v. 28.3.2013 – 4 B 15.12.

 

Die natürliche Eigenart der Landschaft, § 35 (3) Nr. 5

Der Begriff der natürlichen Eigenart der Landschaft umfasst den Schutz des Außenbereichs vor einer wesensfremden Nutzung und den Schutz einer im Einzelfall schutzwürdigen Landschaft vor ästhetischer Beeinträchtigung. Hat das Vorhaben nur unerhebliche Auswirkungen auf die Landschaft, ist noch keine Beeinträchtigung anzunehmen. Eine Verletzung der natürlichen Eigenart der Landschaft liegt bei einer der jeweiligen Landschaft wesensfremden Bebauung vor, sowie dann, wenn ein Vorhaben einem schutzwürdigen Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist. Weicht ein Außenbereichsvorhaben vom herkömmlichen Baustil krass ab, kann es die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen. Die Eigenart der Landschaft kann dabei durch die bereits vorhandenen Anlagen mitgeprägt sein. Die Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft kann auch einem privilegierten Vorhaben entgegenstehen, Mitschang/Reidt, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 35, Rn. 86..

Eine – nicht durch einen Bebauungsplan zugelassene – Ausweitung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich hinein ist ein Vorgang der städtebaulich unerwünschten, unorganischen Siedlungsweise. Sie kann insbesondere geeignet sein, eine Nachfolgebebauung nach sich zu ziehen und damit zur Zersiedlung sowie zur Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft führen, BVerwG Urt. v. 25.1.1985 – 4 C 29/81.

Der Außenbereich soll auch wegen des Erholungswerts der Landschaft für die Allgemeinheit möglichst von Bebauung freigehalten werden. Der Außenbereich ist daher grundsätzlich gegenüber einer wesensfremden Benutzung zu schützen, insbesondere gegenüber einer Wohnnutzung, VGH München Beschl. v. 22.12.2014 – 1 ZB 13.2596. Dieser Belang kann sich auch gegen privilegierte Vorhaben durchsetzen.

Das Landschaftsbild wird verunstaltet, wenn mit der Errichtung eines Vorhabens der städtebauliche und landschaftliche Gesamteindruck erheblich gestört würde. Die bloße Veränderung reicht nicht aus. Geschützt ist insbesondere der ästhetische Wert der Landschaft. Der Schutz des Landschaftsbildes kann auch der Zulässigkeit privilegierter Vorhaben entgegenstehen, vgl. OVG Münster Urt. v. 18.11.2004 – 7 A 3329/01, zur Beeinträchtigung einer Mittelgebirgslandschaft durch eine an exponierter Stelle vorgesehene Windenergieanlage.

Ist das Landschaftsbild bereits nachhaltig zerstört, fehlt es an einem Schutzgut, das weiteren Eingriffen in die Landschaft entgegenstehen würde.

Das Ortsbild kann verunstaltet werden, wenn der Gegensatz zwischen der baulichen Anlage und dem Ortsbild “von dem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend oder Unlust erregend empfunden wird”, BVerwG Urt. v. 28.6.1955 – I C 146/53. Das Ortsbild kann dabei durch den Standort, die Art und die Größe eines Vorhabens oder durch die Verunstaltung der Ortssilhouette verunstaltet werden. Entscheidend ist der städtebauliche Gesamteindruck, also die Wirkung auf das Ortsbild, nicht aber die ästhetische Wirkung des beabsichtigten Vorhabens selbst, vgl. BVerwG Urt. v. 22.6.1990 – 4 C 6/87.

 

Splittersiedlung, Zersiedlung, § 35 (3) Nr. 7 BauGB

Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt vor, wenn das Vorhaben die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung und damit einhergehend die Entwicklung unorganischer Siedlungsstrukturen sowie die Zersiedlung des Außenbereichs erwarten lässt, BVerwG Beschl. v. 17.3.2015 – 4 B 45.14.

Den Begriff der Splittersiedlung im Sinne einer zusammenhanglosen oder aus anderen Gründen unorganischen Streubebauung können auch bauliche Anlagen erfüllen, die zum –  evtl nur gelegentlichen – Aufenthalt von Menschen bestimmt sind. Entstehung, Verfestigung und Erweiterung von Splittersiedlungen können vor allem unerwünscht sein wegen der mit dem (hinzutretenden) Vorhaben verbundenen Ansprüche, die sich in einer Splittersiedlung nicht befriedigen lassen, wegen der “Vorbildwirkung” des Vorhabens, der fehlenden Unterordnung im Verhältnis zur bereits vorhandenen Splittersiedlung oder der Eignung, weitere Spannungen zu begründen oder die vorhandenen zu erhöhen, insbesondere im Hinblick auf schädliche Umwelteinwirkungen. Eine von der geschlossenen Ortslage abgesetzte Streubebauung ist grundsätzlich unorganisch und verstößt gegen die Anforderungen an eine geordnete Siedlungsstruktur und damit gegen öffentliche Belange, vgl. Mitschang/Reidt, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 35, Rn. 93 ff.

Einem Vorhaben steht der Belang des Entstehens einer Splittersiedlung dann entgegen, wenn das Vorhaben zum Bestehen einer unerwünschten Splittersiedlung führen würde. Unerwünscht ist eine Splittersiedlung, wenn mit ihr ein Vorgang der Zersiedelung eingeleitet wird. Dies wird bei der Errichtung von Wohngebäuden regelmäßig der Fall sein, sofern die Streubebauung nicht die im Außenbereich herkömmliche Siedlungsform darstellt oder ein Vorhaben in eine organische Beziehung zu einer bereits vorhandenen, nicht selbst zu missbilligenden Splittersiedlung tritt, BVerwG Urt. v. 19.4.2012 – 4 C 10/11. Bereits die erste Errichtung eines Wohngebäudes im Außenbereich kann den Vorgang der Zersiedelung einleiten und damit die Befürchtung begründen, dass eine Splittersiedlung entstehen wird. Auch Lauben, die größer sind als für die kleingärtnerische Nutzung erforderlich, lassen das Entstehen einer Splittersiedlung befürchten.

Die Erweiterung einer Splittersiedlung ist die räumliche Ausdehnung des bisher in Anspruch genommenen Bereichs. Auch die Änderung der Nutzung eines im Außenbereichs gelegenen Wochenendhauses in eine dauerhafte Wohnnutzung kann die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen.

Die Verfestigung einer Splittersiedlung ist die Auffüllung des bereits bisher in Anspruch genommenen räumlichen Bereichs, also die Vergrößerung des Baubestands ohne zusätzliche Ausdehnung in den Außenbereich. Das Hinzutreten weiterer Bauvorhaben zu einer unerwünschten, aber bereits verfestigten Splittersiedlung braucht nicht stets eine weitere Zersiedelung darzustellen. Eine Verfestigung ist nicht zu befürchten, wenn sich ein Wohnbauvorhaben der vorhandenen Bebauung unterordnet, sich ohne zusätzliche Ansprüche oder Spannungen organisch in eine bestehende Baulücke einfügt und keine Vorbildwirkung hat. Als Grund für eine Missbilligung kommt jedoch in Betracht, wenn das hinzutretende Vorhaben mit Ansprüchen verbunden ist, die sich in der vorhandenen Splittersiedlung nicht befriedigen lassen. Die Vergrößerung einer Splittersiedlung um die Hälfte ihres Bestandes lässt regelmäßig die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten, BVerwG Urt .v. 18.5.2001 – 4 C 13/00.

Obgleich Splittersiedlungen städtebaulich zu missbilligen sind, ist ein Vorhaben ausnahmsweise zulässig, wenn sich die Streusiedlung als die im Außenbereich organische, herkömmliche Siedlungsform darstellt. Die Beibehaltung dieser Siedlungsform kann in diesen Fällen nicht als ein Vorgang der Zersiedelung bewertet werden.