Einkaufszentrum, förmliche Planung als öffentlicher Belang

— 31.08.2020 —

Beschluss vom 12.07.2007 – BVerwG 4 B 29.07

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Revision ist nicht nach § 132 (2) Nr. 2 VwGO zuzulassen. Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nicht vor. Die Vorinstanz hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist ein Einkaufszentrum im Sinne des § 11 (3) Satz 1 Nr. 1 BauNVO anzunehmen, wenn Einzelhandelsbetriebe verschiedener Art und Größe räumlich konzentriert werden und die einzelnen Betriebe aus Sicht der Kunden als aufeinander bezogen, als durch ein räumliches Konzept und durch Kooperation miteinander verbunden in Erscheinung treten. 

Das entspricht der Definition des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01. Entgegen der Darstellung der Beschwerde hat das Berufungsgericht im Rahmen der Subsumtion dem Begriff des Einkaufzentrums keinen davon abweichenden Inhalt beigelegt. Es hat nämlich nicht allein darauf abgestellt, dass die geplanten Einzelhandelsbetriebe in den Gebäuden G 1 bis G 3 zusammengefasst werden, sondern auch ins Feld geführt, dass die Gebäude durch einen gemeinsamen Verbindungsgang miteinander vernetzt werden sollen, in dem Mittelgebäude G 2 eine “räumliche Mitte” für den gesamten Komplex geschaffen werden soll und gemeinsame Stellplätze vorgesehen sind. Dass es den Charakter des zur Beurteilung gestellten Vorhabens als Einkaufszentrum nicht deshalb verneint hat, weil weder eine gemeinsame Verwaltung des Gewerbeparks noch eine gemeinsame Werbung vorgesehen ist, bedeutet keine Abkehr von den Entscheidungen des Senats vom 27. April 1990 – BVerwG 4 C 16.87 und vom 15. Februar 1995 – BVerwG 4 B 84.94

In beiden Entscheidungen wird eine gemeinsame Werbung oder eine verbindende Sammelbezeichnung als Beispiel dafür genannt, in welcher Weise sich die Verbundenheit von Betrieben zu einem Einkaufszentrum dokumentieren kann. Zwingende Voraussetzungen für ein Einkaufszentrum sind die Merkmale nicht.

Die Beschwerde legt auch nicht dar, dass das Berufungsurteil von Rechtssätzen abweicht, die das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungen vom 23. Mai 1986 – BVerwG 4 C 34.85, vom 11. Februar 1993 – BVerwG 4 C 15.92 und vom 21. Juni 1996 – BVerwG 4 B 84.96 formuliert hat. 

Die Beschwerde entnimmt den Entscheidungen zu den Tatbestandsmerkmalen “Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und zu überbauende Grundstücksfläche” des § 34 Abs. 1 BauGB den Rechtssatz, dass es sich bei ihnen um städtebaulich relevante und nicht um bauordnungsrechtliche Kriterien handelt. Die von ihr beanstandene Würdigung des Berufungsgerichts, der westlich der Bundesstraße 4 gelegene “Marktkauf” sei nicht Teil der maßgebenden Umgebung, betrifft diese Tatbestandsmerkmale jedoch nicht. Sie ist im Rahmen der Prüfung erfolgt, ob der Komplex des Marktkaufs Bestandteil der näheren Umgebung ist, in das sich das geplante Vorhaben gemäß § 34 Abs. 1 BauGB nach Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und zu überbauende Grundstücksfläche einfügen muss. Im Übrigen handelt es sich bei der vom Berufungsgericht herangezogenen “deutlich anderen Bau- und Nutzungsstruktur” ersichtlich um ein städtebauliches Kriterium.

Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen Verfahrensmängeln zuzulassen. Die Rüge, das Gericht habe seine Pflicht zur Klärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, genügt nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde scheitert schon daran, dass sie nicht darlegt, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen das Berufungsgericht über die von ihm durchgeführte Ortsbesichtigung hinaus hätte ergreifen müssen. Ihr Vorbringen erschöpft sich in einer Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung. Damit ist ein Aufklärungsmangel nicht dargetan.

 

Kostenentscheidung

In der Entscheidung des BVerwG vom 01.08.2002 – 4 C 5.01setzte sich das Gericht mit Fragen der Notwendigkeit förmlicher Planung um eine Entscheidung über ein Vorhaben im Außenbereich treffen zu können, dessen Auswirkungen benachbarte Gemeinden betreffen, auseinander. Merkmale eines Einkaufzentrums im Sinne des § 11 (3) Satz 1 Nr. 1 BauNVO werden genannt und eine Auslegung des § 11 BauNVO wird vorgenommen.

Ein qualifizierter Abstimmungsbedarf ist ein Zeichen dafür, dass die § 35 (3) BauGB aufgeführten Zulassungsschranken nicht ausreichen, um ohne Abwägung im Rahmen einer förmlichen Planung eine Entscheidung über die Zulässigkeit des beabsichtigten Vorhabens treffen zu können. Von einem qualifizierten Abstimmungsbedarf ist dann auszugehen, wenn das Vorhaben die in § 11 (3) Satz 1 BauNVO bezeichneten Merkmale aufweist.

Die Voraussetzungen für eine Baugenehmigung nach § 35 BauGB liegen nicht vor. Das Berufungsgericht beurteilt das Gesamtprojekt der Beigeladenen als ein “sonstiges Vorhaben” im Sinne des § 35 (2) BauGB. Nach dieser Vorschrift kann ein derartiges Vorhaben im Einzelfall nur zugelassen werden, wenn seine Ausführung und Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beeinträchtigt das Vorhaben einen die Klägerin als Nachbargemeinde schützenden öffentlichen Belang, nämlich das Erfordernis einer förmlichen Planung.

Das genehmigte Vorhaben weist Merkmale auf, die ein Einkaufszentrum im Sinne des § 11 (3) Satz 1 Nr. 1 BauNVO ausmachen (…) Es handelt sich um einen Gebäudekomplex, der Einzelhandelsbetriebe verschiedener Art und Größe, daneben aber auch Dienstleistungsbetriebe umfasst. Auf einer Fläche von 21 000 qm sind 61 Verkaufsläden sowie zwei Gastronomiebetriebe vorgesehen. Der Einstufung als Einkaufszentrum steht nicht entgegen, dass das Branchenspektrum beschränkt ist. Es kommt weniger auf ein umfassendes Warenangebot als auf die räumliche Konzentration von Einkaufsmöglichkeiten in Betracht. Maßgeblich ist, dass einzelne Betriebe aus der Sicht der Kunden als aufeinander bezogen, als durch ein gemeinsames Konzept und durch Kooperation miteinander verbunden in Erscheinung treten.

Aus § 11 (3) BauNVO lässt sich unmittelbar allerdings nur ableiten, dass Anlagen, welche die tatbestandlichen Merkmale aufweisen, außer in Kerngebieten nur in eigens festgesetzten Sondergebieten, nicht aber in sonstigen Baugebieten zulässig sind. Zur Frage, ob solche Anlagen im Außenbereich zugelassen werden können, schweigt dies auf § 2 (5) BauGB beruhende Vorschrift naturgemäß. Dennoch lässt die Wertung, die ihr zugrunde liegt, Rückschlüsse auch für die Anwendung des § 35 BauGB zu.

§ 11 (3) BauNVO ist im System des Planungsrechts insofern einzigartig, als er es nicht damit bewenden lässt, die Zulassungsfähigkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben allgemein an eine Planung zu binden. Es reicht nicht aus, dass die Standortgemeinde überhaupt planerisch tätig wird. Selbst wenn im Gemeindegebiet Misch-, Gewerbe- oder Industriebetriebe zur Verfügung stehen, in denen Einzelhandelsbetriebe zulässig sind, muss die Gemeinde von ihrer Planungsbefugnis gezielt in einer bestimmten Richtung Gebrauch machen, um den Weg für eine Zulassung frei zu machen. Erforderlich ist eine auf die Anlagenspezifika zugeschnittene Planung. Diese Grundentscheidung des Normgebers beanbsprucht allgemeine Beachtung.

Insoweit ist für den Anwendungsbereich des § 35 BauGB ein Erst-Recht-Schluss nahe liegend. Wenn Einkaufszentren und sonstige großflächige Handelsbetriebe wegen der mit ihnen verbundenen nachteiligen Wirkungen ohne spezielle Planung nicht einmal in den Gebieten verwirklicht werden dürfen, die für sie an sich nach der Gebietstypologie der Baunutzungsverordnung bestimmt sind, so scheidet auch der Außenbereich als geeigneter Standort von vornherein aus. Eine Zulassung ohne jegliche Planung läuft zwangsläufig auf eine Beeinträchtigung der öffentlichen Belange hinaus, zu deren Wahrung sich der Normgeber der Baunutzungsverordnung ausdrücklich und gezielt des Mittels planerischer Steuerung bedient…..

§11 (3) BauNVO liegt die Wertung zugrunde, dass die in dieser Vorschrift bezeichneten Betriebe typischerweise ein Beeinträchtigungspotential aufweisen, das es rechtfertigt, sie einem Sonderregime zu unterwerfen. Welche Belange ganz erheblich betroffen sein können, verdeutlicht die Aufzählung in § 11 (3) Satz 2 BauNVO. Dort werden neben schädlichen Umwelteinwirkungen insbesondere Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr, auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich der in § 11 (3) Satz 1 BauNVO bezeichneten Betriebe sowie auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden genannt. Die Vermutungsregel, die der Normgeber insoweit in § 11 (3) Satz 3 BauNVO aufstellt, bezieht sich zwar nur auf großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe. Das bedeutet indes nicht, dass der Normgeber Einkaufszentren eine Vorzugsbehandlung angedeihen lässt. Das Gegenteil ist der Fall. Damit die in § 11 (3) BauNVO genannten Rechtsfolgen eintreten, bedarf es nicht eigens der Feststellung, welche nachteiligen Wirkungen konkret zu erwarten sind. Der Normgeber geht davon aus, dass sich die in § 11 (3) Satz 2 BauNVO bezeichneten Auswirkungen bei Einkaufszentren generell nicht ausschließen lassen. Eine Einzelfallprüfung erübrigt sich.

Der mit § 11 (3) BauNVO verfolgte Regelungszweck lässt sich ferner von § 1 (5) Satz 2 Nr. 8 BauGB her erschließen. Danach sind im Rahmen der Bauleitplanung u.a. die Belange der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung, zu berücksichtigen.

Diese Regelung ist ein Beleg dafür, dass es dem Gesetzgeber ein wichtiges Anliegen ist, dem Interesse an gut erreichbaren und an den Bedürfnissen der Verbraucher orientierten Einzelhandelsbetrieben Rechnung zu tragen. Sie ist darüber hinaus Ausdruck der gesetzgeberischen Wertung, dass insbesondere die mittelständischen Betriebsformen des Einzelhandels geeignet sind, die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.

§ 11 (3) BauNVO erfasst Betriebe, die entgegen dem städtebaulichen Leitbild, durch die Standorte des Einzelhandels eine funktionale Beziehung zum Wohnen herstellen, an wohnungsfernen, verkehrlich schlecht oder nur mit dem Auto erreichbaren Standorten auf großer Fläche ein Warenangebot für den privaten Bedarf der Allgemeinheit bereithalten (….) Er zielt darauf ab, den Einzelhandel an den Standorten zu sichern, die in das städtebauliche Ordnungssystem funktionsgerecht eingebunden sind. Dass auf diese Weise die Wirtschaftsstruktur in den zentralen Versorgungsbereichen gestärkt wird, ist nicht Selbstzweck. Der Schutz der mittelständischen Wirtschaft dient nicht als Mittel dafür, bestimmte Wettbewerbsverhältnisse zu stabilisieren. Vielmehr soll sichergestellt werden, dass durch die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben an peripheren Standorten nicht die wirtschaftliche Existenz derjenigen Betriebe bedroht oder gar vernichtet wird, die eine verbrauchernahe Versorgung gewährleisten.

§ 11 (3) Satz 1 BauNVO ist durch eine betont übergemeindliche Sichtweise geprägt. Die Vorschrift macht, soweit es darum geht, die auswirkungen des Vorhabens zu beurteilen, nicht an den Gemeindegrenzen Halt. vielmehr stellt sie auf den “Einwirkungsbereich” ab, der weit über die Standortgemeinde hinausreichen kann. Auch unter dem Blickwinkel der Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche lässt sie es unabhängig davon, ob insoweit landesplanerische Festlegungen oder gemeindliche Entwicklungskonzepte die Grundlage bilden, nicht mit einer auf ein bestimmtes Gemeindegebiet bezogenen Betrachtung bewenden. In die soweit gebotene Beurteilung einzubeziehen ist nicht nur die Standortgemeinde. Rechtliche Relevanz kommt auch den Auswirkungen “in anderen Gemeinden” zu…