Nutzungskonflikte in Gemengelagen

— 31.07.2020 —

Das Nebeneinander bestimmter Nutzungen in sog. Gemengelagen führt zu besonderen Abwägungsproblemen. Die Nutzungskonflikte ergeben sich aufgrund der räumlichen Nähe unterschiedlicher Nutzungen und der sich daraus ergebenden gegenseitigen Beeinträchtigungen. Die sich daraus ergebenden Abwägungsprobleme sind nicht auf das Nebeneinander privater Nutzungen beschränkt, sondern bestehen z.B. auch für das Verhältnis öffentlicher Verkehrsflächen oder von Sportanlagen zur Wohnbebauung. Besonders häufig sind Konflikte aus dem Nebeneinander von Wohnen einerseits und Industrie, Gewerbe oder Landwirtschaft andererseits, vgl. Battis, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 1, Rn.110.

Die Rechtsprechung hat hierzu den Grundsatz der Trennung von unverträglichen Nutzungen entwickelt: Ein wesentliches Element geordneter städtebaulicher Entwicklung und damit ein “elementarer Grundsatz städtebaulicher Planung” ist darin zu sehen, “dass Wohngebiete und die nach ihrem Wesen umgebungsbelastenden Industriebetriebe möglichst nicht nebeneinander liegen sollten”, BVerwGE 45, 309 (327). 

Dieser Grundsatz wird auch durch § 50 Satz 1 BImSchG bestätigt, wonach bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete sowie auf sonstige schutzbedürftige Gebiete soweit wie möglich vermieden werden. Der Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG für die Überplanung einer schon bestehenden Gemengelage beansprucht aber keine strikte Geltung. Er lässt insbesondere dann Ausnahmen zu, wenn das Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen bereits seit längerer Zeit und offenbar ohne größere Probleme bestanden hat.

Der Grundsatz der möglichsten Trennung unverträglicher Nutzungen gilt nicht uneingeschränkt, was sich bereits daraus ergibt, dass das Planungsrecht nicht von vornherein dem einen oder dem anderen Belang einen Vorrang einräumt. Eine Einschränkung ergibt sich vor allem aus den unterschiedlichen Anforderungen an eine situationsgebundene Planung bei der Neuansiedlung z.B. eines Industriebetriebs neben einer Wohnbebauung oder der Neuausweisung eines Wohngebiets neben einem vorhandenen Betrieb oder der Beplanung einer bereits vorhandenen Gemengelage von Industrie, Handwerk oder Landwirtschaft und Wohnbebauung. Das Gebot der Rücksichtnahme gestattet differenzierende planerische Lösungen bei gewachsenen städtebaulichen Strukturen. Es stellt daher keinen Abwägungsfehler dar, wenn bei vorhandenen Gemengelagen die Grundsätze “optimaler” Planung weniger verwirklicht werden können als bei der Beplanung neuer Baugebiete.

Die Bodenschutzklausel des § 1a (2) BauGB hebt den Vorrang der Möglichkeiten innerörtlicher Entwicklungen hervor. Die Novelle 2006 und die Klimaschutznovelle 2011 haben die Innenentwicklung gestärkt. Die möglichen Nachteile einer Ausweisung neuer Baugebiete sind den Entwicklungsmöglichkeiten in einem (vorbelasteten) Bestand gegenüber zu stellen und zu gewichten. Durch kompensatorische Maßnahmen sind Konflikte zu mildern, z.B. durch Ausschöpfung der differenzierenden Festsetzungsmöglichkeiten nach § 9 und nach der BauNVO.

Einzelfälle: BVerwGE 50, 49 (54): “In den Bereichen, in denen Gebiete von unterschiedlicher qualität und unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen, ist die Grundstücksnutzung mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet. Das führt nicht nur zur Pflichtigkeit dessen, der Belästigungen verbreitet, sondern auch – im Sinne der Bildung einer Art von Mittelwert – zu einer die Tatsachen respektierenden Duldungspflicht derer, die sich in der Nähe von – als solchen legalen – Belästigungsquellen ansiedeln.”

BVerwGE 71, 150: “Das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verbietet es, einen Kurhauskomplex mit Restaurants, Hotel und Nebeneinrichtungen unmittelbar neben ein reines Wohngebiet zu planen, ohne die Konfliktlage durch geeignete Einzelfestsetzungen im Bebauungsplan selbst zu bewältigen”, z.B. durch ausreichende Schutzzonen, durch differenzierte Planung für das Sondergebiet selbst.

OVG Münster DVBl. 1981,409: “Wird die gebotene Verringerung der Emissionen wie der Immissionen im Bebauungsplan nur “gewünscht”, nicht aber durch planerische Lösungen vorgesehen, dann “wird keine Bauleitplanung betrieben, sondern die Lösung des Konflikts aus dem direkten Nebeneinander von wohn- und gewerblicher Nutzung in das jeweils anstehende Baugenehmigungsverfahren verlagert. Ein Industriegebiet kann neben einem Wohngebiet ausgewiesen werden, wenn die räumliche Trennung an den bereits bestehenden Verhältnissen scheitert oder nur gegen Entschädigung der zurückgedrängten Nutzungsart erreicht werden könnte.

VGH München, BauR 1981, 172: Die Festsetzung eines Wohngebiets in der Nähe eines Gewerbegebiets führen nicht regelmäßig zu einem Abwägungsfehler, weil das Gewerbegebiet nach § 1 (5) BauNVO gegliedert werden könnte und weil in kleinen Gemeinden sonst zu viele Betriebe in den Außenbereich abgedrängt werden müssten.