Veränderungssperre

Nutzungskonflikte in Gemengelagen

— 31.07.2020 —

Das Nebeneinander bestimmter Nutzungen in sog. Gemengelagen führt zu besonderen Abwägungsproblemen. Die Nutzungskonflikte ergeben sich aufgrund der räumlichen Nähe unterschiedlicher Nutzungen und der sich daraus ergebenden gegenseitigen Beeinträchtigungen. Die sich daraus ergebenden Abwägungsprobleme sind nicht auf das Nebeneinander privater Nutzungen beschränkt, sondern bestehen z.B. auch für das Verhältnis öffentlicher Verkehrsflächen oder von Sportanlagen zur Wohnbebauung. Besonders häufig sind Konflikte aus dem Nebeneinander von Wohnen einerseits und Industrie, Gewerbe oder Landwirtschaft andererseits, vgl. Battis, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 1, Rn.110.

Die Rechtsprechung hat hierzu den Grundsatz der Trennung von unverträglichen Nutzungen entwickelt: Ein wesentliches Element geordneter städtebaulicher Entwicklung und damit ein “elementarer Grundsatz städtebaulicher Planung” ist darin zu sehen, “dass Wohngebiete und die nach ihrem Wesen umgebungsbelastenden Industriebetriebe möglichst nicht nebeneinander liegen sollten”, BVerwGE 45, 309 (327). 

Dieser Grundsatz wird auch durch § 50 Satz 1 BImSchG bestätigt, wonach bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete sowie auf sonstige schutzbedürftige Gebiete soweit wie möglich vermieden werden. Der Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG für die Überplanung einer schon bestehenden Gemengelage beansprucht aber keine strikte Geltung. Er lässt insbesondere dann Ausnahmen zu, wenn das Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen bereits seit längerer Zeit und offenbar ohne größere Probleme bestanden hat.

Der Grundsatz der möglichsten Trennung unverträglicher Nutzungen gilt nicht uneingeschränkt, was sich bereits daraus ergibt, dass das Planungsrecht nicht von vornherein dem einen oder dem anderen Belang einen Vorrang einräumt. Eine Einschränkung ergibt sich vor allem aus den unterschiedlichen Anforderungen an eine situationsgebundene Planung bei der Neuansiedlung z.B. eines Industriebetriebs neben einer Wohnbebauung oder der Neuausweisung eines Wohngebiets neben einem vorhandenen Betrieb oder der Beplanung einer bereits vorhandenen Gemengelage von Industrie, Handwerk oder Landwirtschaft und Wohnbebauung. Das Gebot der Rücksichtnahme gestattet differenzierende planerische Lösungen bei gewachsenen städtebaulichen Strukturen. Es stellt daher keinen Abwägungsfehler dar, wenn bei vorhandenen Gemengelagen die Grundsätze “optimaler” Planung weniger verwirklicht werden können als bei der Beplanung neuer Baugebiete.

Die Bodenschutzklausel des § 1a (2) BauGB hebt den Vorrang der Möglichkeiten innerörtlicher Entwicklungen hervor. Die Novelle 2006 und die Klimaschutznovelle 2011 haben die Innenentwicklung gestärkt. Die möglichen Nachteile einer Ausweisung neuer Baugebiete sind den Entwicklungsmöglichkeiten in einem (vorbelasteten) Bestand gegenüber zu stellen und zu gewichten. Durch kompensatorische Maßnahmen sind Konflikte zu mildern, z.B. durch Ausschöpfung der differenzierenden Festsetzungsmöglichkeiten nach § 9 und nach der BauNVO.

Einzelfälle: BVerwGE 50, 49 (54): “In den Bereichen, in denen Gebiete von unterschiedlicher qualität und unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen, ist die Grundstücksnutzung mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet. Das führt nicht nur zur Pflichtigkeit dessen, der Belästigungen verbreitet, sondern auch – im Sinne der Bildung einer Art von Mittelwert – zu einer die Tatsachen respektierenden Duldungspflicht derer, die sich in der Nähe von – als solchen legalen – Belästigungsquellen ansiedeln.”

BVerwGE 71, 150: “Das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verbietet es, einen Kurhauskomplex mit Restaurants, Hotel und Nebeneinrichtungen unmittelbar neben ein reines Wohngebiet zu planen, ohne die Konfliktlage durch geeignete Einzelfestsetzungen im Bebauungsplan selbst zu bewältigen”, z.B. durch ausreichende Schutzzonen, durch differenzierte Planung für das Sondergebiet selbst.

OVG Münster DVBl. 1981,409: “Wird die gebotene Verringerung der Emissionen wie der Immissionen im Bebauungsplan nur “gewünscht”, nicht aber durch planerische Lösungen vorgesehen, dann “wird keine Bauleitplanung betrieben, sondern die Lösung des Konflikts aus dem direkten Nebeneinander von wohn- und gewerblicher Nutzung in das jeweils anstehende Baugenehmigungsverfahren verlagert. Ein Industriegebiet kann neben einem Wohngebiet ausgewiesen werden, wenn die räumliche Trennung an den bereits bestehenden Verhältnissen scheitert oder nur gegen Entschädigung der zurückgedrängten Nutzungsart erreicht werden könnte.

VGH München, BauR 1981, 172: Die Festsetzung eines Wohngebiets in der Nähe eines Gewerbegebiets führen nicht regelmäßig zu einem Abwägungsfehler, weil das Gewerbegebiet nach § 1 (5) BauNVO gegliedert werden könnte und weil in kleinen Gemeinden sonst zu viele Betriebe in den Außenbereich abgedrängt werden müssten.

 

 

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Die Baugenehmigung

— 23.07.2020 —

$ 71 BauOBln Baugenehmigung

(1) Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. 

Die durch eine Umweltverträglichkeitsprüfung ermittelten, beschriebenen und bewerteten Umweltauswirkungen sind nach Maßgabe der hierfür geltenden Vorschriften zu berücksichtigen. Die Bauaufsichtsbehörde darf den Bauantrag ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich- rechtliche Vorschriften verstößt.

(2) Die Baugenehmigung ist nur insoweit zu begründen als Abweichungen, Ausnahmen oder Befreiungen von nachbarschützenden Vorschriften zugelassen werden und die Nachbarin oder der Nachbar nicht nach § 70 Absatz 2 zugestimmt hat.

(3) Die Baugenehmigung kann unter Auflagen, Bedingungen und dem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung einer Auflage sowie befristet erteilt werden.

(4) Die Baugenehmigung wird unbeschadet der Rechte Dritter erteilt.

Es besteht ein Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Baugenehmigung, wenn keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. 

Öffentlich-rechtliche Vorschriften sind vor allem die Regelungen des Baugesetzbuches, BauGB, der Baunutzungsverordnung, BauNVO, sowie die Bauordnungen der einzelnen Länder.

Zuständig für die Erteilung einer Baugenehmigung sind in Berlin die Bezirksämter, in Brandenburg die Landkreise und kreisfreien Städte.

Gemäß § 69 (3) BauOBln. entscheidet die Bauaufsichtsbehörde über den Bauantrag innerhalb einer Frist von einem Monat. Die Frist beginnt, sobald alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Nachweise vorliegen oder die Frist nach Absatz 2, Satz 3 abgelaufen ist.

$ 69 (2) Satz 3 BauOBln. lautet: Äußern sich die Behörden und Stellen nach Satz 1 Nr. 2 nicht innerhalb eines Monats, so kann die Bauaufsichtsbehörde davon ausgehen, dass die von diesen Behörden und Stellen wahrzunehmenden öffentliche Belange durch den Bauantrag nicht berührt werden.

§ 69 (2) Satz 4 BauOBln: Die Bauaufsichtsbehörde kann die Stellungnahme-Frist für die Beurteilung des Bauplanungsrechts um einen Monat verlängern, insbesondere wenn weitere Stellen zu beteiligen sind.

 

 

Verlängerung der Fristen aufgrund der besonderen Umstände des Jahres 2020

In seiner Sitzung am 16. April 2020 hat der Berliner Senat auf Vorlage der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, beschlossen, den Entwurf des Fünften Gesetzes zur Änderung der Bauordnung für Berlin beim Abgeordnetenhaus einzubringen. Mit der Änderung soll in die Bauordnung für Berlin eine Regelung aufgenommen werden, die es im Falle besonderer Ereignisse, z.B. einer Pandemie, ermöglicht, auf Verordnungsebene die Fristen abweichend von denen der Bauordnung zu regeln und angemessen zu verlängern. 

Der Senat reagiert damit auf den Umstand, dass aus Gründen der derzeitigen Corona-Pandemie der Dienstbetrieb der Bauaufsichtsbehörden sowie der zu beteiligenden Stellen erheblich eingeschränkt ist und dadurch die Beteiligungs- und Bearbeitungsfristen in den Genehmigungsverfahren nicht immer eingehalten werden können. 

Damit besteht die Gefahr, dass sich z.B. aufgrund von Fristablauf erteilte Bauerlaubnisse im Nachhinein als rechtswidrig erweisen könnten. Das betrifft insbesondere die Genehmigungsfiktionen nach § 69 (2) und (3) BauOBln, nach der die Baugenehmigung als erteilt gilt, wenn die Bauaufsichtsbehörde über den vollständigen Bauantrag nicht innerhalb eines Monats entscheidet. Um dies zu verhindern, soll die Aufnahme einer eindeutigen Ermächtigungsgrundlage in der BauOBln die Möglichkeit schaffen, schnell und angemessen auf Verordnungsebene Regelungen in Bezug auf die Fristen zu treffen….

Nach aktuellem Stand sollen die bestehenden Fristen um das Doppelte verlängert werden – im Einzelnen sind folgende Regelungen betroffen:

  • § 69 (1) Satz 1 (Prüfung der Vollständigkeit des Bauantrags)
  • § 69 (2) Satz 3 (Zustimmung der Denkmalfachbehörde/Oberste Denkmalschutzbehörde)
  • § 69 (2) Satz 4 (Fiktion, dass keine öffentlichen Belange betroffen sind)
  • § 69 (3) Satz 1 (Entscheidungsfrist)
  • § 69 (4) Satz 2 (Vollständigkeitsfiktion im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren)

Diese Änderungen sollen voraussichtlich bis zum 30. September 2020 gelten, (Quelle: Architektenkammer Berlin).

Es wird deutlich, dass vom Eingang der vollständigen Bauvorlagen bis zur endgültigen Baugenehmigung im Einzelfall durchaus mehr als sechs Monate vergehen können.

Die Verordnung über Bauvorlagen und das Verfahren im Einzelnen, (Bauverfahrensverordnung-BauVerfV) vom 30. November 2017 regelt im Detail, welche Unterlagen bei der Bauaufsichtsbehörde einzureichen sind. § 1 (1) der Verordnung definiert Bauvorlagen als die für die Beurteilung des Bauvorhabens und für die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen. § 3 der Verordnung zählt in den Nummern 1 bis 9, was genau vorzulegen ist.

 

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Der Nachbarschutz im Baurecht, Das Rücksichtnahmegebot

— 23.07.2020 —

Sehr häufig wenden sich Nachbarn gegen ein Bauvorhaben, wenn sie sich dadurch gestört oder in ihrem Eigentum beeinträchtigt fühlen. Dann ist die Frage, welche Rechtsvorschriften nachbarschützend sind, von besonderer Bedeutung. 

Mit einer sog. Anfechtungsklage kann nämlich der Nachbar als Dritter gegen eine erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn er sich auf eine sog. drittschützende Norm berufen kann. Die Baugenehmigung wird unbeschadet der (privaten) Rechte Dritter erteilt, vgl. § 71 (4) BauOBln, § 72 (5) BbBauO.

Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe des Bauplanungsrechts, das baunachbarliche Beziehungsgeflecht zu regeln, vielmehr sind andere öffentliche und private Belange einzubeziehen. Nicht jede faktische Auswirkung eines Vorhabens kann erfolgreich verhindert werden. So reicht es nicht aus, wenn ein Vorhaben realisiert wird, dass möglicherweise rechtswidrig ist, jedoch keine bestimmten Personen in eigenen Rechten verletzt, vgl. Reidt, Komm. BauGB, 13. Auflage, Vorb. §§ 29-38, Rn. 15.

Einzelne Bürger oder Bürgerinitiativen haben grundsätzlich keine durch ein Klagerecht abgesicherte Kontrollfunktion gegenüber der Bauverwaltung oder einzelnen Bauherren. Grundsätzlich ist deshalb erforderlich, dass ein Bauvorhaben rechtswidrig ist und der Nachbar, der sich dagegen zur Wehr setzt, durch das Vorhaben zugleich in eigenen Rechten verletzt ist. 

Insofern muss unterschieden werden zwischen baurechtlichen Vorschriften, die rein objektivrechtlichen Charakter haben und solchen, die auch subjektiv-öffentliche Rechte vermitteln.

Hierfür wurde die sog. Schutznormlehre entwickelt. Danach begründet eine materielle Vorschrift des öffentlichen Baurechts dann ein subjektives Nachbarrecht, wenn sie nicht ausschließlich im öffentlichen Interesse einer städtebaulichen Ordnung, sondern zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dienen soll. Sofern sich dazu nichts ausdrückliches aus der betreffenden Vorschrift ergibt, muss es im Wege der Auslegung ermittelt werden.

Es wird zwischen unmittelbar nachbarschützenden und mittelbar nachbarschützenden Vorschriften unterschieden.

Bei lediglich mittelbar nachbarschützenden Vorschriften müssen noch besondere, in der Vorschrift ausdrücklich genannte oder zumindest stillschweigend geregelte Umstände hinzukommen.

Ein Beispiel für unmittelbaren Nachbarschaftsschutz ist § 30 (1) BauGB und die damit im Zusammenhang stehenden Normen bezüglich der Art der baulichen Nutzung. Die Festsetzung von Baugebieten nach den §§ 2 bis 11 BauNVO (in einem Bebauungsplan) haben kraft Bundesrecht nachbarschützende Wirkung für die Eigentümer von Grundstücken innerhalb des Baugebiets. Die Gebietsfestsetzung verbindet die Betroffenen zu einer sog. bau- und bodenrechtlichen Schicksalsgemeinschaft, vgl. BVerwG Beschl. v. 18.12.2007 – 4 B 55/07. Jeder Grundstückseigentümer im Plangebiet kann einen Anspruch auf Wahrung des Gebietscharakters haben und gebietsfremde Nutzungen abwehren. Der Anspruch geht aber nur soweit, wie die wechselseitige Prägung der benachbarten Grundstücke reicht.

Auch im unbeplanten Innenbereich, § 34 (2) BauGB, bestehen nachbarliche Abwehransprüche in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung nach denselben Grundsätzen wie im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Die Eigentümer innerhalb eines faktischen Baugebiets haben ebenso einen Anspruch auf Wahrung des Gebietscharakters, vgl. BVerwG Beschl. v. 10.1.2013 – 4 B 48.12. 

Als Beispiel für mittelbaren Nachbarschutz gilt das Merkmal des “Einfügens” in § 34 (1) BauGB. Da dieses Merkmal der geordneten städtebaulichen Entwicklung dient, entfaltet es üblicherweise keinen sog. unmittelbaren Drittschutz. Im Verbund mit dem in § 15 (1) BauNVO verankerten Rücksichtnahmegebot kann sich im konkreten Fall jedoch ein Abwehranspruch des Nachbarn ergeben. 

Das Gebot der Rücksichtnahme wirkt mittelbar nachbarschützend, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist, BVerwGE 109, 314. Der konkrete Einzelfall muss bewertet werden, wobei Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit von Bauherrn und Nachbarn zu betrachten sind. 

Das Gebot der Rücksichtnahme dient als Auslegungshilfe dafür “ob” eine bereits vorhandene Norm aus dem Baurecht Nachbarschutz vermittelt oder nicht, ebenso kann ermittelt werden “wie” die nachbarschützende Norm den Betroffenen schützen will.

Maßgeblich für die Bewertung ist die konkrete Situation zum Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung.

Nachbar i.S.d. öffentlichen Baurechts ist nur der Grundstückseigentümer oder ein dinglich Berechtigter (Erbbauberechtigte, Nießbraucher), nicht der Mieter oder Pächter. Keine Nachbarn im Sinne des Bauplanungsrechts sind Inhaber eines Wohnrechts. Auch familienrechtliche Bindungen zum Grundstückseigentümer vermitteln keinen nachbarlichen Abwehranspruch. Der Eigentümer muss seine Rechte selbst geltend machen, BVerwG Beschl.v. 26.7.1990 – 4 B 235/90.

Außerhalb des Bauplanungsrechts kann der Nachbarbegriff in personeller HInsicht weiter gehen.

In räumlicher Hinsicht ist der Begriff des Nachbarn weiter, Abwehransprüche bestehen nicht nur dann, wenn das Nachbargrundstück unmittelbar an das Baugrundstück anschließt. Entscheidend ist vielmehr der Umkreis, in dem sich das beanstandete Vorhaben auswirken kann und ob diese Auswirkungen zum Schutz der Nachbarschaft verhindert werden sollen. Im Einzelfall ist die räumliche Reichweite durch Auslegung der einschlägigen Bestimmungen und durch Feststellungen vor Ort zu ermitteln, vgl. Reidt, Komm. BauGB, 13. Auflage, Vorb §§ 29-38, Rn.27.

  • 70 (1) Brandenburgische Bauordnung lautet: Nachbarn sind die Eigentümer oder die Erbbauberechtigten der an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke. 

Gem. § 70 (1) Satz 1 Bauordnung Berlin soll die Bauaufsichtsbehörde die Eigentümer benachbarter Grundstücke (Nachbarn) vor Zulassung von Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen benachrichtigen, wenn zu erwarten ist, dass öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden.

An sich plankonforme Vorhaben können im Einzelfall im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung unzulässig sein, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart eines Baugebietes widersprechen oder wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden, § 15 (1), Satz 1 und 2 BauNVO.

Ein Nachbar kann sich im Einzelfall darauf berufen, dass die Verwirklichung eines weiteren Bauvorhabens im Hinblick auf die Anzahl ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets eintritt, wenn damit aufgrund einer gebietswidrigen Häufung der betreffenden Nutzung der Gebietscharakter “kippen” würde, z.B. wenn die Häufung von Nutzungen im Sinne des § 4 (2) Nr. 2 BauNVO nicht mehr wohngebietsverträglich wäre oder wenn bei einer überwiegenden Häufung von Wohnnutzungen in einem Mischgebiet die Gefahr droht, dass es sich zu einem allgemeinen Wohngebiet entwickelt, vgl. BVerwG Urt. v. 4.5.1988 – 4 C 34/86.

Ein im Baugebiet zulässiges Vorhaben darf hinsichtlich seiner Lage nicht der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Es gilt jedoch kein Optimierungsgebot dahingehend, dass ein Vorhaben an einer Stelle errichtet werden müsste, an der die Nachbarschaft weniger belastet wird, § 15 (1) Satz 1 BauNVO enthält kein Gebot der Alternativprüfung. Ist ein Vorhaben an dem gewählten Standort zulässig, muss es genehmigt werden, auch wenn es möglicherweise innerhalb des Baugebiets besser geeignete Standorte gäbe, BVerwG, Beschl. v. 22.11.2010 – 7 B 58/10.

Die in § 15 (1) BauNVO ebenfalls genannten Kriterien Umfang und Zweckbestimmung beziehen sich insbesondere auf gewerbliche Nutzungen mit einer atypischen Betriebsgröße oder einem mit der Nutzung zwar verbundenen, jedoch nicht mehr gebietsangemessenen Zu- und Abgangsverkehr.

Umfang und Zweckbestimmung stehen in einem engen Zusammenhang mit § 15 (1) Satz 2 BauNVO, der sich auf die von einem Vorhaben ausgehenden Belästigungen oder Störungen bezieht. Das Gebot der Rücksichtnahme wirkt in zwei Richtungen. Zum einen können einzelne Vorhaben, die mit unzumutbaren Belästigungen oder Störungen verknüpft sind, durch den Eigentümer eines Grundstücks abgewehrt werden, auf dem eine störungsempfindliche Nutzung stattfindet. Zum anderen können auch Eigentümer von Grundstücken mit emittierenden Nutzungen im Einzelfall Vorhaben abwehren, die nicht mehr zumutbaren Störungen ausgesetzt wären. Langfristig soll eine möglichst konfliktfreie bauliche Nutzung gewährleistet bleiben, vgl. Reidt, Komm BauGB, 13. Auflage, Vorb. §§ 29-38, Rn. 52.

Von Bedeutung ist, dass es nicht nur um unzumutbare Auswirkungen im Baugebiet selbst geht, sondern auch in dessen Umgebung, § 15 (1) Satz 2 BauNVO wirkt gebietsübergreifend. Relevant sind nicht nur Auswirkungen, die die Schwelle der Gesundheitsbeeinträchtigung erreichen oder gleichsam enteignenden Charakter haben, es geht um nachteilige Auswirkungen, die dem Betroffenen nicht mehr zugemutet werden sollen, weil sie eine funktionsgerechte Nutzung der bereits vorhandenen baulichen Anlagen unangemessen beeinträchtigen, w.o. Rn. 52.

Bedeutend sind in erster Linie schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 (1) Bundesimmissionsschutzgesetz, aber auch sonstige städtebaulich erhebliche Einwirkungen, die die Umgebung beeinträchtigen, z.B. massive optische Störungen, vgl. VGH München, Beschl. v. 22.1.2004 – 1 ZB 03.294 zu einem Megaposter in der Nähe eines Wohngebietes oder optisch bedrängende Wirkungen, vgl. OVG Münster Urt. v. 9.8.2006 – 8 A 3726/05. Auch Störungen aufgrund eines deutlich erhöhten Gefährdungspotentials und damit verbundener zusätzlicher Unruhe in einem Baugebiet gehören dazu. Es muss aber stets um städtebaulich und nicht etwa nur polizeirechtlich relevante Auswirkungen gehen.

Festgestellte Beeinträchtigungen für eine vorhandene störende oder störungsbetroffene Nutzung führen nicht zwangsläufig zur Unzulässigkeit eines neu hinzukommenden Vorhabens. Vom Bauherrn des neu hinzukommenden Vorhabens sind zumutbare Beschränkungen hinzunehmen. Diese sind gegebenenfalls als Nebenbestimmung in eine Baugenehmigung aufzunehmen, z.B. Schallschutzmaßnahmen, Anforderungen an die Filterung von Gerüchen. Grundsätzlich ist es Sache des Bauherrn der später hinzukommenden Nutzung, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die maßgeblichen Zumutbarkeitskriterien eingehalten werden.

Die Unzumutbarkeit von Belästigungen oder Störungen im Sinne von § 15 (1) Satz 2 BauNVO knüpft in erster Linie an den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 3 (1), § 5 (1) Nr. 1 und § 22 (1) Nr. 1 Bundesimmissionsschutzgesetz an. Praktisch von großer Bedeutung sind die Grenz-, Richt- und Orientierungswerte in den einschlägigen Regelwerken. Das gilt insbesondere im Bereich von Geräuschimmissionen.

Zur Feststellung der Zumutbarkeit von Immissionen, die von baulichen Anlagen ausgehen, dienen Regelwerke wie z.B. die TA Lärm, die Freizeitlärm-Richtlinie des Länderausschusses für Immissionsschutz, die TA Luft u.a. 

Werden die in den fachlich anerkannten und nicht überholten Regelwerken genannten Werte eingehalten, ist in der Regel davon auszugehen, dass keine unzumutbaren Belästigungen oder Störungen vorliegen. Liegen keine Regelwerke oder besondere Umstände vor, bedarf es einer Bewertung anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls. Für die Prüfung, ob es zu schädlichen Umwelteinwirkungen kommt, ist eine objektive Betrachtung notwendig. Auf persönliche Empfindlichkeiten oder individuelle gesundheitliche Umstände kommt es nicht an, vgl. BVerwG Beschl.v. 14.2.1994 – 4 B 152/93.

Grenzen Gebiete mit unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit innerhalb eines Bebauungsplangebietes oder auch darüber hinaus aneinander, sind die auf einzelne Baugebiete bezogene Grenz-, Richt und Orientierungswerte nicht hinreichend aussagekräftig. Entsprechendes gilt auch für die Gemengelagen. Es bedarf dann im Hinblick auf die Wechselseitigkeit der zu wahrenden Rücksichtnahme einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. 

Zu berücksichtigen sind dabei neben dem Ziel des Plangebers, bestimmte Nutzungen zu ermöglichen auch die Ortsüblichkeit der Immissionen, die Lage einer störungsempfindlichen Nutzung, die soziale Adäquanz und Akzeptanz der Nutzung und ähnliches.

Nicht von Bedeutung für das Gebot der Rücksichtnahme sind bloße Wertminderungen, Verschlechterungen des Ausblicks oder ganz allgemeine Verschlechterungen des nachbarschaftlichen Milieus. 

Entscheidend ist allein, ob es zu einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten seines Grundstücks kommt. Davon unabhängige Reduzierungen des Verkehrswertes eines Grundstücks, z.B. weil sich die Lage als solches verschlechtert oder weil die bisher freie Aussicht ins Gelände entfällt, sind grundsätzlich ohne Belang, VGH München Beschl. v. 14.6.2013 – 15 ZB 13.612. Sie sind regelmäßig Auswirkungen, die allein darauf beruhen, dass die Eigentümer von Nachbargrundstücken bisher das ihnen zustehende Baurecht nicht oder nicht in vollem Umfang ausgenutzt haben. Darauf hat niemand einen schutzwürdigen Anspruch.

Dritte (Nachbarn) können auch auf Rechtsbehelfe gegen die Zulassung oder Durchführung eines Vorhabens verzichten, u.U. auch gegen Leistung einer Entschädigung. Nachbarrechtliche Abwehransprüche können verwirkt sein, wenn die Einlegung von Rechtsbehelfen als treuwidrig angesehen werden muss. So muss sich ein Nachbar ab dem sichtbaren Beginn der Bauausführung und der Erkennbarkeit der für ihn relevanten Auswirkungen des Vorhabens so behandeln lassen, als wenn ihm die Baugenehmigung bekannt gegeben worden wäre. In diesem Fall ist der gebotene Rechtsbehelf binnen eines Jahres ab der Möglichkeit zur Kenntnisnahme von der tatsächlichen Bauausführung einzulegen.

Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben können Abwehransprüche verwirken, wenn der Bauherr infolge eines bestimmten Verhaltens des Nachbarn darauf vertrauen durfte, dass dieser Abwehransprüche nicht mehr geltend machen wird, er tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird und aus diesem Grunde bestimmte Maßnahmen durchgeführt hat, so dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Abwehrrechtes ein unzumutbarer Nachteil entstünde, vgl. BVerwG Beschl. v. 12.1.2004 – 3 B 101/03.

Nachbarrechtliche Abwehransprüche kommen auch dann nicht in Betracht, wenn sie sich als unzulässige Rechtsausübung darstellen, z.B. wenn der Nachbar selbst in vergleichbarer Weise zu Lasten des Bauherrn gegen nachbarschützende Vorschriften verstößt.

 

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Der Bebauungsplan

— 07.07.2020 —

Städte und Gemeinden erlassen meist nur für einen kleinen Teil ihres Gebiets Bebauungspläne. Die meisten Flächen sind unbeplant, sodass die Mehrheit der Bauvorhaben außerhalb des Plangebietes verwirklicht wird. Dort darf der Bauherr keineswegs bauen, was und wie er möchte. Im sog. unbeplanten Innenbereich sorgt § 34 BauGB dafür, dass der Bauherr sich daran ausrichtet, was es an Gebäuden in der Nachbarschaft um sein Baugrundstück bereits gibt. Das Vorhaben des Bauherrn muss sich in die tatsächlich vorhandene benachbarte Bebauung eingliedern.

Möchte der Bauherr etwas gänzlich Anderes im Innenbereich errichten, muss er unter Umständen die Gemeinde dazu bewegen, einen Bebauungsplan aufzustellen.

Der Bebauungsplan enthält die vollzugsfähigen und unmittelbar verbindlichen Festsetzungen für ein Bauvorhaben im Planbereich, § 8 (1) BauGB. 

Die Gemeinde beschließt den Bebauungsplan als Satzung, § 10 (1) BauGB. Gem. § 10 (3) BauGB ist der Bebauungsplan ortsüblich bekannt zu  machen, er ist mit Begründung und zusammenfassender Erklärung zu jedermanns Einsicht bereit zu halten. Mit der Bekanntmachung tritt der Bebauungsplan in Kraft. 

Durch die Bekanntmachung eines Bebauungsplans soll den hiervon unter Umständen Betroffenen deutlich gemacht werden, dass für ihr Grundstück eine neue bodenrechtliche Regelung in Kraft getreten ist und sie sich über deren Inhalt bei der auslegenden Stelle informieren können, Battis/Krautzberger/Löhr, Komm. BauGB, 13. Aufl. 2016, § 10, Rn. 35 ff.

Da der Bebauungsplan als Satzung zu beschließen ist, kann er nicht durch Gewohnheitsrecht entstehen, auch die langjährige Anwendung eines (unerkannt) unwirksamen Bebauungsplans kann diesem nicht zur Rechtswirksamkeit verhelfen, BVerwGE 55, 369 (377 f.). Umgekehrt ist es jedoch möglich, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse einschließlich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Planvollzug im Gebiet eines Bebauungsplans so entwickeln, dass die Festsetzungen ganz oder teilweise ihre Funktion verlieren oder als Ergebnis einer planerischen Abwägung nicht mehr vertretbar wären. Dann ist der Bebauungsplan funktionslos 

Funktionslosigkeit in Bezug auf einzelne Festsetzungen, den Bebauungsplan selbst oder einem räumlichen Teilbereich liegt vor, wenn die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sich die Planfeststellungen beziehen, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und dies so offensichtlich ist, dass das Vertrauen in die Fortgeltung des Plans keinen Schutz verdient, OVG Münster Urt. v. 20.2.2015 – 7 D 29/13. Es reicht aber nicht, wenn Planfestsetzungen nicht mehr im gesamten Plangebiet umgesetzt werden können, da einzelne “Ausreißer” genehmigt wurden, die den Planvollzug im Übrigen nicht verhindern.

Gem. § 8 (2) BauGB sind Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln. Der Flächennutzungsplan enthält die Grundzüge der Planung für das gesamte Gemeindegebiet und ist verbindliche Entwicklungsgrundlage für den Bebauungsplan, sog. Entwicklungsgebot. Abweichungen vom Flächennutzungsplan sind nicht immer beachtlich, vgl. § 214 (2) BauGB.

  • 8 (2) Satz 2 BauGB enthält eine Ausnahme von der grundsätzlichen Zweistufigkeit der Bauleitplanung. Die Gemeinde kann auf die Aufstellung eines Flächennutzungsplans verzichten, wenn es für die Ordnung der städtebaulichen Entwicklung ausreicht, Bebauungspläne aufzustellen, sog. selbstständiger Bebauungsplan. Dieser muss nicht das gesamte Gemeindegebiet abdecken, jedoch ausreichen, die städtebauliche Entwicklung für das Gebiet zu ordnen.
  • 8 (4) BauGB enthält eine weitere Ausnahme vom Grundsatz der planerischen Vorrangigkeit des Flächennutzungsplans. Ein vorzeitiger Bebauungsplan kann aufgestellt werden, wenn dringende Gründe dies erfordern und zu erwarten ist, dass der Bebauungsplan der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung nicht entgegenstehen wird. Durch einen vorzeitigen Bebauungsplan kann die Rechtsgrundlage für gewichtige Investitionen geschaffen werden, der vorzeitige Bebauungsplan wird dann durch dringende Gründe erforderlich, BVerwG NVwZ 1985, 745 f. Auch Wohnungsnot ist als dringender Grund anerkannt.

Setzt der Bebauungsplan für ein bestimmtes Gebiet eines der in § 1 (2) BauNVO genannten Gebiete fest, z.B. “allgemeines Wohngebiet”, so gilt hierfür die BauNVO – für das “allgemeine Wohngebiet”, § 4 BauNVO. 

Bei der Verweisung auf die BauNVO, § 1 (3) und (4) BauNVO, handelt es sich um eine sog. statische Verweisung, das bedeutet, es gilt die Fassung der BauNVO, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplanes galt. Der Bebauungsplan darf auch von der BauNVO abweichende Sonderbestimmungen treffen.

Ist das Verfahren zur Verabschiedung eines B-Plans bereits im Gang, so kann die Gemeinde beschließen, dass während des Verfahrens im betreffenden Bereich keine baulichen Veränderungen (i.s.d. § 14 BauGB) vorgenommen werden dürfen, sog. Veränderungssperre.

Vorhaben, die bereits vor Inkrafttreten der Veränderungssperre baurechtlich genehmigt worden waren, genießen Bestandsschutz, § 14 (3) BauGB. § 14 (3) BauGB wird analog auch auf den B-Plan angewendet, d.h. gegen die einmal erteilte Baugenehmigung kann eine spätere Änderung der Bauleitplanung nichts mehr ausrichten. Dasselbe gilt auch für den erteilten Bauvorbescheid über die planungsrechtliche Zulässigkeit, sog. Bebauungsgenehmigung. 

Liegt ein wirksamer, qualifizierter Bebauungsplan vor, darf das Bauvorhaben den Festsetzungen des B-Plans nicht widersprechen, d.h. es muss in seiner Art (§§ 1, 2-14 BauNVO), Maß (§ 16 BauNVO) und Festsetzungen hinsichtlich überbaubarer Grundstücksfläche (§ 23 BauNVO) dem Bebauungsplan entsprechen und die Erschließung muss gesichert sein. 

Zu beachten ist § 15 BauNVO, ein Bauvorhaben kann im Einzelfall unzulässig sein, wenn es nach Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widerspricht, § 15 (1) Satz 1 BauNVO, oder wenn von den baulichen Anlagen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden, § 15 (1) Satz 2 BauNVO, sog. Nachbarschutz.

Entspricht ein Vorhaben nicht den Festsetzungen des B-Plans, so können nach Ermessen der Behörde Ausnahmen und Befreiungen erteilt werden, vgl. § 31 (1) i.V.m. mit den Ausnahmen nach der BauNVO, § 31 (2) BauGB. In diesem Fall ist jedoch das Einvernehmen der Gemeinde nach § 36 BauGB erforderlich.

Beispiel: Seit der sog. Flüchtlingskrise gehört zu den Gründen des Gemeinwohls, § 31 (2) Nr. 1 BauGB, die eine Ausnahme vom B-Plan rechtfertigen, auch die Unterbringung von Flüchtlingen. Die Zulässigkeit eines Flüchtlingswohnheims kan sich daneben bereits aus 

  • 31 (1) i.V.m. §§ 3 (3) Nr. 2 und 4 (2) Nr. 3 BauNVO (“Anlagen für soziale Zwecke”) ergeben. Mit § 246 (8) bis (17) BauGB wurde eine zeitlich befristete Sondernorm geschaffen, die auch die Unterbringung von Flüchtlingen im Innenbereich und im Außenbereich baurechtlich erleichtert.

Im Bebauungsplan können Ausnahmen von den Festsetzungen zugelassen werden. Die Möglichkeit, nach § 31 BauGB Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu erteilen, ist auf das Bauplanungsrecht beschränkt. 

Für das Bauordnungsrecht sehen die Bauordnungen der Länder eigene Abweichungsmöglichkeiten vor, auch die Befreiung von Festsetzungen nach 3 9 (4) BauGB folgt den landesrechtlichen Bestimmungen. Anwendbar bleibt § 31 (2) BauGB, soweit die entsprechenden Landesregelungen auch für den Vollzug der Planfestsetzungen auf die Bestimmungen des BauGB verweisen.

Bei den Ausnahmen und Befreiungen geht es nur darum, den Besonderheiten des konkreten Bauvorhabens im Verhältnis zu den abstrakten planerischen Festsetzungen gerecht zu werden. Die gesicherte Erschließung muss aber in jedem Fall gewährleistet sein.

Im Innenbereich nach § 34 und im Außenbereich nach § 35 BauGB ist für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen nach § 31 BauGB grundsätzlich kein Raum, da diese Vorschriften durch das Gebot des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung und die Berücksichtigung öffentlicher Belange bereits genügend Ansatzpunkte enthalten, um eine flexible und dem einzelfall gerecht werdende Genehmigungspraxis zu ermöglichen, BVerwG Urt. v. 18.10.1974 – IV C 77/73.

Kommt jedoch § 34 (2) BauGB zur Anwendung, so ist § 31 BauGB für die Art der baulichen Nutzung wie bei einem Bebauungsplan, der ein Baugebiet nach der BauNVO festsetzt, anzuwenden. Auch von der Beachtung des § 15 BauNVO kann nicht abgesehen werden. Auch er erfordert eine Einzelfallbetrachtung bei der Genehmigung. § 15 BauNVO ist gewissermaßen das Gegenstück zu § 31 BauGB. § 15 BauNVO schränkt die plankonformen Nutzungen aus Gründen des Einzelfalls ein, § 31 BauGB ermöglicht an sich planwidrige Nutzungen aus Gründen des Einzelfalls, Reidt, Komm. BauGB, § 31, Rn.8.

  • 31 BauGB ist bei allen Bebauungsplänen anwendbar, die Ausnahme muss aber Bestandteil des Bebauungsplans selbst sein, es genügt nicht, wenn lediglich in der Begründung des Plans davon die Rede ist, dass bestimmte Ausnahmen von den Planfestsetzungen zulässig sein sollen. Die Ausnahme muss nach Art und Umfang hinreichend bestimmt sein, BVerwGE 108, 190 (193 f.)

 

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