Einzelne Planungsleitlinien, § 1 (6) BauGB

— 13.08.2020 —

Die Planungsleitlinien konkretisieren die allgemeinen Ziele der Bauleitplanung. § 1 Absatz 6 Nr. 1 bis 13 BauGB stellt die wichtigsten öffentlichen und privaten Belange dar, die in die Abwägung nach Absatz 7 einzustellen sind. Als Konkretisierung des Begriffs der nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung sind diese Belange auch für städtebauliche Bewertungen und Entscheidungen außerhalb der eigentlichen Bauleitplanung auslegungsrelevant. Die Aufzählung in Absatz 6 ist beispielhaft, also nicht abschließend. 

Neben den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung sind auch die Wohnbedürfnisse, die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bevölkerungsstrukturen, die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung und die Anforderungen kostensparenden Bauens sowie die Bevölkerungsentwicklung zu berücksichtigen.

Aufgabe der Bauleitplanung ist die Vorbereitung und Leitung der Grundstücksnutzung in einer Weise, die dem Entstehen städtebaulicher Missstände vorbeugt und damit zur Sicherung einer menschenwürdigen Umwelt beiträgt. Für die Bauleitplanung ergibt sich insbesondere die Aufgabe, in ausreichendem Maße Flächen auszuweisen, die für Wohnzwecke genutzt werden können. Bei Planungen, mit denen durch Ausweisung von Industrie- oder Gewerbegebieten voraussichtlich Betriebe angesiedelt oder erweitert werden, die auf Arbeitnehmer außerhalb der Wohnregion angewiesen sind oder solche anziehen werden, müssen die Gemeinden Prognosen darüber anstellen, ob durch den Plan in nennenswertem Umfang neue Arbeitsplätze für Personen geschaffen werden, die in der Gemeinde oder Region anschließend eine Wohnung suchen werden und somit zusätzlich auf den Wohnungsmarkt drängen. Dies ist in der Abwägung zu berücksichtigen. In der Begründung zum Bebauungsplan ist darzulegen, wie dem geschätzten und durch den Bebauungsplan voraussichtlich zusätzlich ausgelösten Wohnbedarf Rechnung getragen werden soll, vgl. Battis, Komm. BauGB, § 1, Rn. 55.

Durch entsprechende Ausweisungen hat die Bauleitplanung auch die Voraussetzungen für eine Ausstattung der Wohngebiete mit der erforderlichen Infrastruktur zu sorgen. Ebenfalls sollen stabile Bevölkerungsstrukturen erhalten und geschaffen werden. Damit ist nicht gemeint, dass eine soziale, altersmäßige oder ethnische Homogenität der Wohngebiete erreicht werden soll, sondern die Schaffung möglichst sich selbst tragender Sozialstrukturen.

Zugleich ist damit eine städtebauliche Aufgabe für solche Gebiete beschrieben, in denen durch einseitige Bevölkerungsstrukturen städtebauliche Nachteile eingetreten sind oder zu entstehen drohen, auch wenn es nicht Aufgabe der Bauleitplanung ist, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu regeln. Durch planerische Festsetzungen kann die Bevölkerungsstruktur jedoch mittelbar beeinflusst werden.

Die Planungsleitlinie der Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung entspricht einem ordnungspolitischen Grundsatz des Städtebaurechts. Er hat in den Reprivatisierungsbestimmungen des Gesetzes eine besondere Ausprägung erfahren. Das Wohnraumförderungsgesetz enthält eine besondere Verpflichtung u.a. der Gemeinden zur Beschaffung von Bauland. Die Gemeinden haben zur Förderung des Wohnungsbaus die Aufgabe, ihnen gehörende Grundstücke als Bauland für den Wohnungsbau zu Eigentum oder in Erbbaurecht unter Berücksichtigung des kosten- und flächensparenden Bauens zu überlassen. Sie sollen dafür Sorge tragen, dass für den Wohnungsbau erforderliche Grundstücke bebaut und erforderliche Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden.

In der Bauleitplanung soll bereits die entscheidende Weichenstellung für kosten- und flächensparendes Bauen vorgenommen werden, sei es durch Festsetzungen zur Lage und Größe der Baugrundstücke, sei es durch Festlegungen zum Umfang der Erschließungsmaßnahmen, die von den Gemeinden kostengünstig herzustellen sind, w.o., Rn. 56.

Aus der künftigen Bevölkerungsentwicklung können sich zum Teil sehr unterschiedliche Aufgaben für die geordnete städtebauliche Entwicklung durch Bauleitpläne ergeben, wie das Erfordernis zusätzlichen Wohnbaulandes, Umplanungen, Planung eines “Rückbaus”. Diese Aufgabe wird im Besonderen Städtebaurecht mit den Stadtumbaumaßnahmen nach § 171a bis 171d BauGB vertieft.

Bei der Aufstellung von Bauleitplänen kommt der Berücksichtigung der Bedürfnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen besondere Bedeutung zu, insbesondere der Familien, Alleinerziehenden, junger und alter Menschen, Behinderter und anderer Personen, die nach ihren persönlichen Lebensumständen besonderer Hilfe und Einrichtungen bedürfen. Diesen Belangen kann durch die Ausweisung von Gemeindebedarfsflächen entsprochen werden.

Zu berücksichtigen sind die Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege, § 1 (6) Nr. 7 Buchstaben a) bis i) und die Belange der Wirtschaft, § 1 (6) Nr. 8, Buchstaben a) bis f) BauGB.

§ 1 Nr. 7 BauGB fasst die bedeutsamen umweltrelevanten Belange zusammen. Ergänzt wird die Vorschrift durch § 1 a BauGB, der weitere Belange des Umweltschutzes enthält. Beide Vorschriften sind bei der Aufstellung von Bauleitplänen im Verfahren der Umweltprüfung zu beachten. 

Nach § 1 (6) Nr. 7, Buchstabe a) sind die Auswirkungen der städtebaulichen Planung auf das Klima in die planerische Abwägung einzustellen. Die Klimaschutznovelle 2011 hat die Planungsleitlinie Klimaschutz als Teil der Energiewende deutlich aufgewertet. Das BauGB stellt eine Reihe von Umsetzungsinstrumenten bereit wie z.B. Festsetzungen zur passiven Nutzung der Sonnenenergie, Verwendungsverbote bzw. -beschränkungen luftverunreinigender Stoffe, Einsatz erneuerbarer Energien, CO2-sparende Energieversorgungskonzepte.

Der gesetzliche Biotop- und Artenschutz stellt an die planerische Abwägung strenge Anforderungen. Die Planung soll die Auswirkungen auf die gemeinschaftsrechtlich besonders geschützten Gebiete ermitteln. Naturschutzrechtliche Regelungen des Bundes und der Länder enthalten auch für die Bauleitplanung beachtliche Bestimmungen, die die Belange Naturschutz und Landschaftspflege konkretisieren. Sind Festsetzungen eines Bebauungsplans mit den Regelungen einer Landschaftsschutzverordnung nicht vereinbar, so ist der Bebauungsplan unwirksam, wenn sich der Widerspruch nicht durch eine naturschutzrechtliche Ausnahme oder Befreiung lösen lässt. Zu beachten sind auch die Europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die Europäische Vorgelschutzrichtlinie und das Bundesnaturschutzgesetz. In § 18 BNatSchG ist eine spezielle Regelung zur Bauleitplanung enthalten, nach der unter bestimmten Voraussetzungen einzelne europarechtliche Artenschutztatbestände für zulässige Bauvorhaben im Gebiet von Bebauungsplänen nicht eingreifen, vgl. Battis, Komm.BauGB, 13. Auflage, § 1, Rn.65d. 

Zum Schutz der europarechtlich geschützten Tierarten ist von der Gemeinde im Bauleitverfahren sicherzustellen, dass die ökologische Funktion ihrer von dem Vorhaben nachteilig betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird. Können die Lebensstätten der geschützten Tierarten durch von der Gemeinde im Bauleitplan angeordnete oder auf andere Weise gesicherte Ausgleichsmaßnahmen bewahrt werden, gelten die Verbotstatbestände des § 42 (1) Nr. 3 BNatSchG als nicht verwirklicht.

Die Belange des Umweltschutzes erfordern bei der Bauleitplanung insbesondere eine hinreichende Berücksichtigung von Emissionen, die von gewerblichen Flächen oder Anlagen ausgehen, und von Immissionen, die auf schutzwürdige und schutzbedürftige Nutzungen einwirken. Regelungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes und die zugehörenden Verwaltungsvorschriften wie die TA Lärm, TA Luft, die DIN 18005 (Schallschutz im Städtebau) und die “Abstandserlasse” der Länder sind dabei von Bedeutung. Auch die Abfall- und Abwasserbeseitigung gehört zum Umweltschutz im engeren Sinne.

Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind auch die Belange der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung zu berücksichtigen, § 1 (6) Nr. 8 a) BauGB.

Die wirtschaftlichen Belange sind vor allem durch ein ausreichendes, den wirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechendes Flächenangebot zu berücksichtigen. Dabei muss ein Ausgleich zwischen konkurrierenden Bodennutzungsansprüchen geschaffen werden, wie z.B. zwischen Wirtschaft und Wohnen oder zwischen konkurrierenden Wirtschaftsbereichen. Jedoch darf die Bauleitplanung nicht zu einem Instrument der Wirtschaftsplanung werden, sondern muss sich auf die Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange innerhalb der geordneten städtebaulichen Entwicklung beschränken, vgl. Battis, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 1, Rn.71 f.

Innerhalb der Belange der Wirtschaft wird “ihre mittelständische Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung” hervorgehoben. Dadurch soll erreicht werden, dass im Rahmen der Bauleitplanung die Interessen der Verbraucher an gut erreichbaren und ihren Bedürfnissen entsprechenden privaten Versorgungseinrichtungen angemessen berücksichtigt werden. Hierin liegt ein unmittelbarer städtebaulicher Bezug, z.B. um die Verödung bestimmter Stadtviertel, vor allem von Innenstädten und Ortsteilzentren entgegenzuwirken. Die verbrauchernahe Versorgung durch Ansiedlung der Betriebe des Einzelhandels an städtebaulich integrierten Standorten ist ein wesentliches Anliegen einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung. Das Gesetz geht davon aus, dass vor allem die mittelständischen Betriebsformen des Einzelhandels die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung gewährleisten können, w.o., Rn. 72.