Innenbereich

Wohnwagen als bauliche Anlage

— 04.12.2020 —

 

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstückes, das in der Gemarkung Treffurt liegt.

Seinen Antrag, auf dem Grundstück ein (mobiles) Gartenhaus errichten zu dürfen, lehnte das Landratsamt Wartburgkreis mit Bescheid vom 08.07.2004 ab. Daraufhin stellte der Kläger auf dem Grundstück einen Wohnwagen ab. Er vertrat die Ansicht, dass mit dem Abstellen des Wohnwagens kein Stellplatz und damit auch keine genehmigungsbedürftige Anlage geschaffen worden sei. Außerdem hätten etliche Grundstückseigentümer in dem umliegenden Gebiet auch ihre Wohnwagen abgestellt oder Wochenendhäuser errichtet.

Das zuständige Landratsamt Wartburgkreis untersagte dem Kläger das Abstellen des Wohnwagens auf dem Grundstück und forderte ihn zur sofortigen Beseitigung auf. Das Vorhaben sei ohne Genehmigung errichtet worden und auch nicht genehmigungsfähig, da es sich im Außenbereich befinde, was die Erweiterung und Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lasse. Außerdem liege das Grundstück im Überschwemmungsgebiet. Den vom Kläger aufgeführten Vergleichsfällen werden mit dem Ziel der Einleitung bauaufsichtlicher Verfahren nachgegangen. Der Kläger beantragte im Jahr 2005 erneut, ihn für sein als “Stellen eines Gartenhauses” bezeichnetes Vorhaben eine Baugenehmigung zu erteilen, wobei es sich um ein “Mobilheim” Caravan handele. Die untere Wasserbehörde versagte mit Blick auf die Lage des Grundstücks ihr Einvernehmen hierzu. Das Landratsamt lehnte den Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung ab, der Widerspruch dagegen wurde zurückgewiesen.

Am 19.06.2006 ließ der Kläger Klage erheben. Er macht geltend, dass es sich bei dem Wohnwagen um keine bauliche Anlage handele, weil er jederzeit an einen anderen Ort verbracht werden könne. Obwohl das Grundstück im Außenbereich liege, sei das Vorhaben zulässig, da öffentliche Belange nicht beeinträchtigt werden. Auch sei die Wasserwirtschaft nicht gefährdet, bei Überschwemmungen könne der Wagen vom Grundstück gezogen werden. auch die Erweiterung und Verfestigung einer Splittersiedlung sei nicht zu befürchten, da in der näheren Umgebung ebenso Wohnwagen abgestellt worden seien. Auch befänden sich dort mehrere Wochenendhäuser. Das Vorgehen der Behörde sei willkürlich. Der Kläger legte eine Fotomappe vor, in der eine Vielzahl von weiteren Fällen von abgestellten Wohnwagen dokumentiert sei.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Er habe zwischenzeitlich das gesamte in der unmittelbaren Umgebung gelegene Gebiet besichtigt und in etwa 30 Fällen festgestellt, dass für dort gelegene bauliche Anlagen keine Baugenehmigung vorliege. Die Klage ist unbegründet.

Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist § 77 Satz 1 ThürBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, wenn diese Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.

Bei dem streitgegenständlichen Wagen des Klägers handelt es sich um eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 ThürBO. Danach sind bauliche Anlagen alle mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen, wobei eine Verbindung mit dem Erdboden auch dann angenommen wird, wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden. So liegt der Fall hier. Der Wohnwagen soll augenscheinlich und vom Kläger so auch in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, als Ersatz für das abgelehnte (ortsfeste) Gartenhaus dienen. Der Wagen erhält dadurch eine enge Beziehung zu dem gewählten Standort und damit zu dem seiner Aufstellung dienendem Grundstück. Mögliche Unterbrechungen der Nutzung durch häufiges Entfernen vom Grundstück heben die ortsfeste Benutzung nicht auf.

Für das Aufstellen des Wohnwagens verfügt der Kläger über keine nach § 62 ThürBO erforderliche Baugenehmigung. Allein das Fehlen der Genehmigung – die formelle Illegalität der Anlage – rechtfertigt regelmäßig den Erlass einer Beseitigungsverfügung, wenn die Anlage ohne Substanzverlust und mit verhältnismäßig geringen Kosten für Entfernung und Lagerung beseitigt werden kann. Zu beachten ist aber, dass der Beklagte die Verfügung gerade auch auf die fehlende planungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit der Anlage – die materielle Illegalität – gestützt und auch zur Grundlage seiner Ermessensentscheidung gemacht hat.

Insoweit erweist sich das Vorhaben als materiell nicht genehmigungsfähig. Zunächst ist festzustellen, dass der Wagen auch eine bauliche Anlage im Sinne des § 29 BauGB darstellt und für die Zulässigkeit des Vorhabens somit die §§ 30 bis 37 BauGB Anwendung finden.

Der bundesrechtliche Begriff der baulichen Anlage ist im Vergleich zu den entsprechenden Begriffen des Bauordnungsrechts nicht schlechthin der weitere, sondern – was selbstverständlich eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung nicht ausschließt – ein im Verhältnis zu ihnen eigenständiger und vom Landesrecht unabhängiger Begriff. Das folgt vor allem daraus, dass die Zweckrichtung und Zielsetzung des Bauplanungsrechts und des (landesrechtlichen) Bauordnungsrechts in wesentlichen Faktoren verschiedene sind: Einmal geht es um die Frage, ob ein Vorhaben für die städtebauliche Entwicklung erheblich und deshalb materiell Vorschriften des Bodenrechts zu unterwerfen ist. Andererseits geht es darum, ob es sich um ein Vorhaben handelt, dass im allgemeinen Interesse nicht ohne Beachtung gewisser ordnungsrechtlicher Vorschriften ausgeführt werden soll. Im Wesentlichen stimmen die Begriffe der baulichen Anlage, wo immer sie das Baurecht verwendet, überein. Für den bundesrechtlichen Begriff der baulichen Anlage maßgebend sind ein verhältnismäßig weiter Begriff des Bauens und eine mögliche bodenrechtliche Relevanz. Als Bauen in diesem Sinne ist das Schaffen von Anlagen anzusehen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind. Dabei spielt die Art der Verbindung dann keine Rolle, wenn die von dem Verfügungsberechtigten dem Vorhaben zugewiesene Funktion deutlich macht, dass es an die Stelle eines anderen, üblicherweise mit dem Boden verbundenen Vorhabens, etwa eines Wochenendhauses, treten soll (…). So liegt der Fall hier.

Für das Gebiet existiert kein Bebauungsplan. Nach der vorliegenden Luftbildaufnahme und dem Lageplan liegt das Grundstück auch nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten  Ortsteils gem. § 34 BauGB, sondern vielmehr im Außenbereich. Als nicht privilegiertes Vorhaben ist es dort unzulässig, weil zu befürchten ist, dass es eine bestehende Splittersiedlung erweitert und verfestigt. Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt ein Vorhaben nur dann, wenn ein Ortsteil besteht und das Vorhaben mit diesem in einem Bebauungszusammenhang steht. Von einem solchen ist dann auszugehen, wenn eine tatsächlich aufeinanderfolgende, zusammenhängende Bebauung gegeben ist, die den Eindruck der Geschlossenheit vermittelt. Maßgebend für die Betrachtungsweise ist die Verkehrsauffassung mit der Folge, dass es entscheidend jeweils auf die Lage des Einzelfalls ankommt (…).

Das Grundstück des Klägers ist nicht Bestandteil der zusammenhängenden, organischen Bebauung der Ortslage von Teffurt. Es befindet sich abgesetzt hiervon in einem Gebiet südlich des Heizkraftwerkes, in dem sich neben unbebauten Flächen vereinzelt mit Wochenend- oder Gartenhäusern bebaute Grundstücke befinden. Das Gebiet ist auch kein eigenständiger Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB. Unter den Begriff der Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB fällt nicht jede beliebige bauliche Anlage. Gemeint sind vielmehr nur solche Bauwerke, die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen Bebauung maßstabsbildend sind. Dies trifft ausschließlich für Anlagen zu, die optisch wahrnehmbar und nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (….). Für eine Dauerwohnnutzung sind die Gebäude in dem betreffenden Gebiet schon aufgrund ihrer Größe objektiv nicht geeignet.

Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn man der vom Thüringer Oberverwaltungsgericht im Urteil vom 28.05.2003 – 1 KO 42/00 – vertretenen Auffassung folgt, wonach eine Ansammlung von Wochenendhäusern ein faktischen Wochenendhausgebiet im Sinne des $34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 10 Abs. 1 BauNVO darstellen und damit grundsätzlich auch einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB bilden kann. Voraussetzung ist auch hier, dass die Anordnung der Bauten Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist und sich nicht als zusammenhang- oder regellose Streubebauung darstellt. Letzteres ist vorliegend der Fall. Eine Gebietsstruktur bzw. eine Siedlungskonzeption im Sinne einer voraussehenden Planung, die für Wochendend- oder Gartenhäuser nicht zuletzt im Hinblick auf Parzellierung und Zuwegung eine bestimmte Ordnung vorgibt, liegt hier nicht vor.

Als sonstiges, nicht im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB privilegiertes Vorhaben kann der Wohnwagen nicht nach § 35 Abs. 2 BauGB zugelassen werden, weil seine Ausführung öffentliche Belange beeinträchtigt. Insbesondere würde die Zulassung des klägerischen Vorhabens die Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Gefahr einer Verfestigung einer Splittersiedlung besteht auch dann, wenn sich eine unorganische Siedlungsstruktur, die eigentlich verhindert werden soll, bereits ansatzweise entwickelt hat und die Gefahr besteht, dass durch ein weiteres Vorhaben dieser Zustand bestätigt und verfestigt wird. Dadurch soll eine negative Vorbildwirkung und eine unorganische, städtebaulich unerwünschte Siedlungsstruktur verhindert werden (…). Die Gebäude im betreffenden Gebiet stellen – wie oben bereits ausgeführt – eine unerwünschte Splittersiedlung dar. Durch die Zulassung der hier streitgegenständlichen Bebauung würde eine weitere Zersiedlung und eine Fortsetzung der schon eingeleiteten regellosen Bebauung stattfinden. Mit der Genehmigung würde zudem ein Berufungsfall geschaffen für eventuelle Folgeanträge der Eigentümer anderer Flurstücke in diesem Bereich, sodass auch von einer negativen Vorbildwirkung auszugehen ist.

Auf die Frage, inwieweit das Vorhaben, das in einem Überschwemmungsgebiet verwirklicht werden soll, Belange des Hochwasserschutzes beeinträchtigt, kommt es daher nicht mehr an.

Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass der Beklagte unter Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 1 GG („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“) willkürlich nur gegenüber ihm vorgegangen sei und in vergleichbaren Fällen keine Beseitigung verlangt habe. Art. 3 Abs. 1 GG gewährt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht. Dieser Grundsatz entbindet die Baurechtsbehörde nicht von der Verpflichtung, ihre bauordnungsrechtliche Tätigkeit maßgeblich auch am Gleichheitsgrundsatz auszurichten. Ergreift oder unterlässt die Behörde Maßnahmen zur Bekämpfung baurechtswidriger Zustände, so hat sie in allen vergleichbaren Fällen in der gleichen Art und Weise zu verfahren. Das bedeutet bei einer Vielzahl von Verstößen jedoch nicht, dass sie gleichzeitig tätig werden muss. Entschließt sie sich zu einem Einschreiten, so ist es ihr unbenommen, die Verhältnisse nach und nach zu bereinigen. Es ist ihr nur verwehrt, systemlos oder willkürlich vorzugehen.

 

 

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Einrichtung der Altenpflege, Begriff „Betreutes Wohnen“, Anlage des Gemeinbedarfs

— 06.11.2020 —

Oberverwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 27.10.2008, – 2 Bf 53/07. Z

Eine von einem Bauträger errichtete Wohnanlage, die zum Eigentumserwerb und/oder Miete der Wohneinheiten vorgesehen ist und im Gebäudekomplex über eine von einem anderen Träger betriebene Sozialstation verfügen soll, die das “Betreute Wohnen” ermöglicht, stellt keine in einem Bebauungsplan festgesetzte Anlage des Gemeinbedarfs mit der Zweckbestimmung “Alteneinrichtung der freien Wohlfahrtspflege” dar.

Die Klägerin streitet um die Bebauung eines Grundstücks im Geltungsbereich eines Bebauungsplans und eines Landschaftsschutzgebietes. Für den überwiegenden Teil des Grundstücks gilt die Festsetzung Baugrundstück für den Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung “Alteneinrichtungen der freien Wohlfahrtspflege II, ein nordöstlicher Teilbereich ist als “WA II” ausgewiesen.

Mit Schreiben vom 26. August 2002 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung einer Alteneinrichtung und eines Doppelhauses. Sie formulierte dabei die Frage, ob “auf dem Grundstück eine Alteneinrichtung in Form eines Altenpflegeheimes oder als altengerechtes Wohnen mit Betreuungsmöglichkeit errichtet” werden könne. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2002 konkretisierte sie den Antrag dahin, dass sie als Bedarfsträger eine Einrichtung der freien Wohlfahrtspflege vorgesehen habe. 

Daraufhin erteilte die Beklagte der Klägerin im November 2002 einen Vorbescheid für den “Neubau einer Alteneinrichtung der freien Wohlfahrtspflege sowie die Errichtung eines Doppelhauses”. Auf die in der Bauvoranfrage der Klägerin gestellte Frage antwortete sie, dass eine spätere Erteilung der Baugenehmigung nach Maßgabe der beigefügten zwei Anlagen möglich sei. Voraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung sei die Einleitung des notwendigen Erschließungsbescheidsverfahrens. Hierfür sei ein Antrag zu stellen. Eine gesicherte Erschließung sei gleichzusetzen mit der planmäßigen Erschließung nach Maßgabe des Bebauungsplans….. In der Anlage Nr. 2 führte die Beklagte unter der Überschrift (naturschutzrechtliche) “Auflagen” im Zusammenhang mit der Landschaftsschutzverordnung vom 24. September 1996 aus, dass auf dem betreffenden Grundstück nur eine Bebauung möglich sei, die der Festsetzung des Bebauungsplans “Gemeinbedarf” mit der Konkretisierung “Alteneinrichtung der freien Wohlfahrtspflege” entspreche. Auf Antrag der Klägerin verlängerte die Beklagte die Frist für die Inanspruchnahme des Vorbescheids bis zum 14. November 2006.

Die Klägerin stellte insgesamt drei Bauanträge für eine “Wohnanlage barrierefrei für ältere Menschen”, für den Neubau eines Doppelhauses auf dem nordöstlichen Teil des Grundstücks, für den die Festsetzung “WA II” gilt, für den Neubau einer Alteneinrichtung sowie eines Doppelhauses, altengerechtes Wohnen mit Betreuungsmöglichkeit der Freien Wohlfahrtspflege”…..

Die Beklagte lehnte alle drei Bauanträge der Klägerin ab. Das erste und dritte Vorhaben der Klägerin widerspreche der im Bebauungsplan getroffenen Festsetzung Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung Alteneinrichtung der freien Wohlfahrtspflege. Unabhängig davon seien alle Vorhaben gem. § 30 (1) BauGB auch deshalb unzulässig, weil die planmäßige Erschließung nicht gesichert sei.

Die Berufung der Klägerin wurde nicht zugelassen, da einer der Gründe des § 124 (2) VwGO nicht vorliegt. Der Senat hat allein das Vorliegen derjenigen Zulassungsgründe zu prüfen, die auch ordnungsgemäß dargelegt worden sind. Es bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 (2) Nr. 1 VwGO.

Die Einwände der Klägerin gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der erteilte Vorbescheid vom 14. November 2002 entfalte hinsichtlich der beiden Bauanträge …und der Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens keine Bindungswirkung, weil die Klägerin das Vorhaben wesentlich geändert habe, greifen nicht durch. 

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Vorbescheid gem. § 65 HBauO 1986 die Bauaufsichtsbehörde (nur) im Umfang der getroffenen Regelungen bindet; hierüber ist bei der Entscheidung über die Baugenehmigung nicht erneut zu befinden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Bauantrag nicht in rechtserheblicher Weise von dem dem Vorbescheid zugrundeliegenden Vorhaben abweicht (…).

Was den Inhalt der in dem Vorbescheid getroffenen Regelungen anbelangt, kann der Klägerin nicht in ihrer Ansicht beigetreten werden, dass von der Beklagten auch die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von altengerechtem Wohnen mit Betreuungsmöglichkeit bejaht wurde. Es ist zwar zutreffend, dass die Klägerin in ihrer Bauvoranfrage diese Frage aufgeworfen hat, sie ist aber von der Beklagten nicht positiv geregelt worden. Nach dem insoweit allein maßgeblichen objektiven Erklärungswert (….) durfte die Klägerin den Vorbescheid nur in dem Sinne verstehen, dass die Beklagte, wie es in dem Tenor unzweifelhaft heißt, den “Neubau einer Alteneinrichtung der freien Wohlfahrtspflege” für bauplanungsrechtlich zulässig hält. 

Auch in den weiteren Ausführungen der Beklagten wird stets der Begriff der Alteneinrichtungen benutzt. In der von der Klägerin selbst eingereichten und genehmigten Vorlage Nr. 4/2 heißt es ebenfalls “Vorbescheidsantrag Neubau einer Alteneinrichtung”. Mit der Formulierung “Alteneinrichtung” bezog sich die Beklagte auf die für das Baugrundstück der Klägerin geltende gleich lautende Festsetzung in dem Bebauungsplan S… aus dem Jahre 1970. 

Unter “Alteneinrichtungen” sind aber nur Alten- Altenwohn- und Altenpflegeheime zu verstehen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie auf einen wechselnden Bestand der Bewohner ausgerichtet sind (siehe § 1 Absatz 1 des Heimgesetzes) und über Gemeinschaftseinrichtungen verfügen, die die Anlage als einheitliches Ganzes erscheinen lassen (…).

Die von der Klägerin zur Genehmigung gestellten beiden Vorhaben betreffen dagegen nicht eine Alteneinrichtung in dem vorstehenden Sinne, sondern sie entsprechen der neuen Wohnform des Betreuten Wohnens. Den Begriff des “Betreuten Wohnens” gab es zur Zeit der Planaufstellung noch nicht (vgl. nunmehr § 1 Abs. 2 HeimG). Es handelt sich hierbei um eine Wohnform für ältere Menschen, die sich erst seit Anfang der 90er Jahre entwickelt hat. Bei ihr wird eine alten- bzw. behindertengerechte Wohnung, die als privater eigenständiger Haushalt geführt wird, vertraglich verbunden mit der Sicherheit einer Grundversorgung und im Bedarfsfall weiteren Dienstleistungen (…). Da die Klägerin auch den Verkauf von Wohnungen betreiben will, ist ihre Wohnform nicht auf den wechselnden Bestand der Bewohner ausgerichtet. Zudem verfügt die Anlage als Gemeinschaftseinrichtung lediglich über eine Sozialstation, die schon baulich gegenüber den Wohnungen/Häusern völlig in den Hintergrund tritt. Die Gesamtanlage gewinnt dadurch nicht den Charakter einer Alteneinrichtung, sondern stellt sich lediglich als eine Ansammlung von Einzelwohnungen und einzelnen Häusern dar.

Eine Bindungswirkung des Vorbescheids besteht auch deshalb nicht, weil die zur Genehmigung gestellten beiden Vorhaben hinsichtlich des Bedarfsträgers nicht dem Vorbescheid entsprechen, so dass die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen wird. Die Beklagte hat in dem Vorbescheid ausdrücklich geregelt, dass sie das Vorhaben nur mit einem Bedarfsträger der freien Wohlfahrt als zulässig erachte, da die Erteilung einer Befreiung gem. § 48 HmbNatSchG nicht in Betracht komme. 

Die Klägerin hat vor Erlass des Vorbescheides mit Schreiben vom 10. Oktober 2002 selbst bestätigt, dass als Bedarfsträger für das Vorhaben eine Einrichtung der freien Wohlfahrtspflege vorgesehen sei. In den beiden zur Genehmigung gestellten Vorhaben tritt dagegen die Klägerin selbst als Bedarfsträgerin auf. Wenn sie demgegenüber darauf verweist, dass die sozialen Dienstleistungen vom DRK, einer Organisation der freien Wohlfahrtspflege erbracht werden sollen, so ändert dies nichts daran, dass sie – und nicht das DRK – Bedarfsträgerin ist. 

Die Trägerschaft beruht nämlich auf der Bodennutzung, die in der Errichtung der Anlage oder Einrichtung und in deren Nutzung liegt. Beides soll hier aber durch die Klägerin erfolgen: Sie ist nicht nur die Bauherrin der Wohnungen bzw. Häuser, sondern auch für das Betreute Wohnen (vertraglich) verantwortlich. Die Wohnungskauf- bzw. Wohnungsmietverträge sollen kombiniert mit einem Dienstvertrag mit ihr als Vertragspartei abgeschlossen werden. Das DRK tritt lediglich als “Kooperationspartner” der Klägerin auf, der die in den Mischverträgen vereinbarten sozialen Dienstleistungen erbringt. Entgegen den Darlegungen der Klägerin im Zulassungsantrag kann deshalb nicht festgestellt werden, dass das DRK “Betreiber der Altenwohnanlage” ist; vielmehr ist das DRK bloße Erfüllungsgehilfin der Klägerin bei der Erbringung von sozialen Dienstleistungen, die diese selbst den Wohnungsinhabern dienstvertrglich schuldet.

…….

Die Ermächtigung zur standortgenauen Festsetzung von Gemeinbedarfsflächen in §9 Abs. 1 Buchstabe f BauGB, § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB trägt einem besonderen Nutzungsinteresse der Allgemeinheit und dem gesteigerten Gemeinwohlbezug dieser Anlagen Rechnung. Auf die Rechtsform des Einrichtungsträgers kommt es dabei zwar nicht entscheidend an. Der erforderliche Gemeinwohlbezug einer Anlage oder Einrichtung ist deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch dann zu bejahen, wenn mit staatlicher oder gemeindlicher Anerkennung eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen wird, hinter der etwaiges privatwirtschaftliches Gewinnstreben eindeutig zurücktritt oder aber eine staatliche Gewährleistungs- und Überwachungsverantwortlichkeit besteht, die geeignet ist, den vorausgesetzten Gemeinwohlbezug auch solcher Anlagen und Einrichtungen herzustellen, deren Leistungserbringung sich nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen vollzieht und auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist (….).

Die Klägerin verfolgt als GmbH & Co.KG jedoch weder per se amtlich anerkannte gemeinnützige Zwecke, wie die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, noch unterliegt die Aufgabe der Altenhilfe einer konkreten staatlichen Gewährleistungsdimension, die aufgrund staatlicher Zulassung und Kontrolle geeignet wäre, der privatrechtlichen Tätigkeit der Klägerin einen Gemeinwohlbezug zu vermitteln. Nicht zu überzeugen vermag schließlich die Argumentation, dass die Tätigkeit des DRK in der Sozialstation den erforderlichen Gemeinwohlbezug der Anlage begründe. Denn die Anlage ist nicht dem DRK, sondern der Klägerin als Rechtsträgerin zugehörig…

 

 

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Unzulässige Wahl des beschleunigten Verfahrens zur Änderung eines Bebauungsplans

— 26.10.2020 —

Urteil vom 25.06.2020, BVerwG 4 CN 5.18

VGH Mannheim vom 09.08.2018 – Az.: VGH 3 S 1523/16

 

Leitsätze:

  1. Für die Anwendbarkeit des beschleunigten Verfahrens nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kommt es maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf den planungsrechtlichen Status der zu überplanenden Flächen an.
  2. Wird in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans auf nicht öffentlich zugängliche technische Vorschriften verwiesen, genügt auch ein Hinweis in der ortsüblichen Bekanntmachung des Bebauungsplans, dass die in Bezug genommene technische Vorschrift bei der Verwaltungsstelle, bei der der Bebauungsplan eingesehen werden kann, zur Einsicht bereit gehalten wird.

Tenor wird weggelassen.

 

Gründe

Gegenstand des Verfahrens ist die im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB beschlossene 3. Änderung des Bebauungsplans “Marrbacher Öschle (Marrbachöschle)”.

Der aus dem Jahr 1983 stammende Bebauungsplan Marrbachöschle umfasst ein insgesamt 6,1 ha großes Gebiet. Er setzt für den nördlichen Teil des Plangebiets ein Dorfgebiet und im Übrigen ein allgemeines Wohngebiet fest. Die Planung wurde im Wesentlichen nicht umgesetzt.

Die Antragsteller sind Eigentümer des im Geltungsbereich des Bebauungsplans gelegenen unbebauten Grundstücks Flurstück Nr….1. Der Antragsteller zu 2 ist außerdem Eigentümer des ebenfalls im Geltungsbereich des Bebauungsplans gelegenen, mit Wohnhäusern sowie ehemals landwirtschaftlich genutzten Gebäuden bebauten Grundstücks Flurstück Nr….0, für das der Bebauungsplan ein Dorfgebiet festsetzt.

Mit der 3. Änderung wird der Bebauungsplan Marbachöschle mit Ausnahme eines das Grundstück Flurstück Nr…0 umfassenden Bereichs im Norden sowie eines weiteren, zwischenzeitlich bebauten Teilbereichs im Süden entlang der B-Straße auf einer Fläche von 4,2 ha geändert. Der Plan setzt für seinen gesamten Geltungsbereich ein allgemeines Wohngebiet fest und regelt die innere Erschließung neu.

Auf einen Normenkontrollantrag der Antragsteller hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 23. Juli 2016 – 8 S 1597/13 – die am 26. Juli 2013 bekannt gemachte 3. Änderung für unwirksam erklärt, weil sie nicht ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden sei. Es fehle ein Hinweis in der Bebauungs-planurkunde, dass die im Bebauungsplan in Bezug genommene VDI-Richtlinie 2719 zur Einsicht bereitgehalten werde oder wo diese ansonsten probelm- und kostenlos eingesehen werden könne.

Die Antragsgegnerin hat die 3. Änderung rückwirkend zum 26. Juli 2013 am 28. Juli 2016 erneut bekannt gemacht. In der Bekanntmachung wird darauf hingewiesen, dass der Bebauungsplan einschließlich seiner Begründung und der VDI-Richtlinie 2719 im Rathaus während der üblichen Dienststunden eingesehen werden könne.

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag der Antragsteller gegen die neu bekannt gemachte 3. Änderung zurückgewiesen. Der zulässige Normenkontrollantrag sei unbegründet. Die Bekanntmachung sei nunmehr ordnungsgemäß erfolgt. Die Wahl des beschleunigten Verfahrens nach § 13a BauGB sei nicht zu beanstanden, denn bei der 3. Änderung handele es sich um einen Bebauungsplan der Innenentwicklung. Auch in materieller Hinsicht begegne die 3. Änderung keinen Bedenken, insbesondere liege kein Abwägungsfehler vor.

Die Antragsteller haben die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt. Nach ihrer Auffassung verstößt der Bebauungsplan gegen § 13a BauGB und weitere Vorschriften.

Die Antragsgegnerin hält den Normenkontrollantrag bereits für unzulässig. Es fehle am Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen verteidigt sie das angefochtene Urteil. 

Am 29. November 2018 hat die Antragsgegnerin die 4. Änderung des Bebauungsplans Marrbachöschle bekannt gemacht. Über den Normenkontrollantrag der Antragsteller vom 4. November 2019 ist noch nicht entschieden.

Die Revision ist begründet. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Bebauungsplan “Marrbacher Öschle (Marrbach-öschle)” – 3. Änderung vom 23. Juli 2013, bekannt gemacht am 28. Juli 2016 (im folgenden: “Änderungs-Bebauungsplan”), ist unwirksam.

Die in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfenden Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor. Die Antragsteller sind antragsbefugt.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden.

Mit dem Änderungs-Bebauungsplan wird das Grundstück Flurstück Nr….1 der Antragsteller (neu) überplant. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Antragsbefugnis wegen einer möglichen Eigentumsverletzung grundsätzlich zu bejahen, wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft (….). In diesem Fall kann der Eigentümer die Festsetzung gerichtlich überprüfen lassen, weil eine planerische Festsetzung Inhalt und Schranken seines Grundeigentums bestimmt (Art. 14, Absatz 1, Satz 2 GG); die (potenzielle) Rechtswidrigkeit eines derartigen normativen Eingriffs braucht der Antragsteller nicht ungeprüft hinzunehmen (…).

Die Antragsbefugnis ist nicht durch die 4. Änderung des Bebauungsplans “Marrbachöschle” entfallen. Diese ist im Revisionsverfahren zu beachten, weil die Vorinstanz sie berücksichtigen müsste, wenn sie im Zeitpunkt des Revisionsurteils entschiede (…). Jedenfalls die Fläche auf dem Grundstück Flurstück Nr. …1, die im Änderungs-Bebauungsplan für Parkplätze vorgesehen ist, ist nicht Bestandteil der 4. Änderung.

Für den Antrag besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.

Die Antragsgegnerin meint, das Rechtsschutzbedürfnis sei entfallen, weil die Antragsteller sehenden Auges die Verwirklichung des Änderungs-Bebauungsplans nicht verhindert hätten. Es seien praktisch alle Grundstücke bebaut bzw. lägen für die Bebauung entsprechende Baugenehmigungen vor. Auch die Erschließungsanlagen seien hergestellt und schafften unveränderliche Tatsachen. Dem ist nicht zu folgen.

Bei bestehender Antragsbefugnis ist regelmäßig das erforderliche Rechtsschutzinteresse gegeben. Das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann (…..). Es ist aber nicht erforderlich, dass die begehrte Erklärung einer Norm als unwirksam unmittelbar zum eigentlichen Rechtsschutzziel führt (…).

Ist ein Bebauungsplan durch genehmigte oder genehmigungsfreie Maßnahmen vollständig verwirklicht, so wird der Antragsteller allerdings in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können (…).Insofern kommt eine das Rechtsschutzbedürfnis ausschließende Verwirklichung einer angegriffenen Festsetzung nach der Senatsrechtsprechung aber nur dann in Betracht, wenn die Festsetzungen im Baugebiet auch räumlich “vollständig verwirklicht” ist (…).

Danach ist das Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Der Änderungs-Bebauungsplan erfasst das im Eigentum der Antragsteller stehende Grundstück Flurstück Nr…1; die dort ausgewiesenen Baurechte wurden bisher nicht ausgenutzt. die das Grundstück durchschneidende Straße ist noch nicht verwirklicht, auch nicht die auf diesem Grundstück festgesetzten Parkplätze an der D…Straße, Ostseite. Bei einem Erfolg des Normenkontrollantrages würden diese die Antragsteller in ihrem Eigentum beschränkenden Festsetzungen entfallen.

Der Normenkontrollantrag ist begründet. Der Änderungs-Bebauungsplan leidet an formellen Fehlern (1.), die nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich sind und zur Unwirksamkeit des Änderungs-Bebauungsplans führen (2.).

Der Änderungs-Bebauungsplan durfte nicht im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden; die Voraussetzungen des § 13a Abs. 4, Abs. 1 Satz 1 BauGB liegen nicht vor.

Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kann ein Bebauungsplan für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder andere Maßnahmen der Innenentwicklung (Bebauungsplan der Innenentwicklung) im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden. dies gilt entsprechend für die Änderung und Ergänzung eines Bebauungsplans (§ 13a Abs. 4 BauGB).

Nach Auffassung der Vorinstanz hat der Änderungs-Bebauungsplan eine Maßnahme der Innenentwicklung zum Gegenstand. Das Plangebiet sei aufgrund der Überplanung im Jahr 1983 rechtlich nicht mehr dem Außenbereich nach § 35 BauGB, sondern dem Siedlungsbereich zuzurechnen; auf die tatsächlichen Verhältnisse komme es insoweit nicht an. Diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals Innenentwicklung verstößt gegen revisibles Recht. Die Abgrenzung von Innen- und Außenentwicklung richtet sich grundsätzlich nach den tatsächlichen Verhältnissen und nicht nach dem planungsrechtlichen Status der Flächen (….).

Der Begriff der Innenentwicklung ist nicht legal definiert. Er nimmt bewusst nicht die herkömmliche Abgrenzung von Innen- und Außenbereich auf, sondern wird vom Gesetzgeber als städtebaufachlicher Terminus vorausgesetzt. Seine Interpretation durch die Gemeinde unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, einen Beurteilungsspielraum hat die Gemeinde nicht (…).

Mit § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB knüpft der Gesetzgeber an die ältere Bodenschutzklausel des § 1a Abs. 2 Satz 1 BauGB an, wonach mit Grund und Boden sparsam und schonend umgegangen werden soll und dabei zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Maßnahmen der Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen sind. 

Er grenzt Bebauungspläne der Innenentwicklung von Bebauungsplänen ab, die gezielt Flächen außerhalb von Ortslagen einer Bebauung zuführen, und will mit § 13a Abs. 1 BauGB Planungen fördern, die der Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und dem Umbau vorhandener Ortsteile dienen. 

Als Gebiete, die für Bebauungspläne der Innenentwicklung in Betracht kommen, nennt er beispielhaft die im Zusammenhang bebauten Ortsteile im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB, innerhalb des Siedlungsbereichs befindliche brachgefallene Flächen sowie innerhalb des Siedlungsbereichs befindliche Gebiete mit einem Bebauungsplan, der infolge notwendiger Anpassungsmaßnahmen geändert oder durch einen neuen Bebauungsplan abgelöst werden soll (…).

Mit dem beschleunigten Verfahren und den damit verbundenen Verfahrenserleichterungen, u.a. dem Verzicht auf die Durchführung einer Umweltprüfung sowie der Eingriffs-Ausgleich-Fiktion des § 13a Abs. 2 Nr. 4 BauGb für die Fälle des § 13a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauGB, will der Gesetzgeber einen Anreiz dafür setzen, dass die Gemeinden von einer Neuinanspruchnahme von Flächen durch Überplanung und Zersiedlung des Außenbereichs absehen (…)und darauf verzichten, den äußeren Umgriff vorhandener Siedlungsbereiche zu erweitern (…).

Diese gesetzgeberische Intention hat in §13a Abs. 1 Satz 1 BauGB durch die Nennung der Wiedernutzbarmachung von Flächen und der Nachverdichtung als spezielle Maßnahmen der Innenentwicklung beispielhaft ihren Niederschlag gefunden. Darüber hinaus werden aber auch “andere Maßnahmen der Innenentwicklung” genannt. “Innenentwicklung” ist deshalb der Oberbegriff (…), der die Anwendung des beschleunigten Verfahrens eröffnet. Für die Anwendbarkeit des beschleunigten Verfahrens gemäß § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kommt es daher nicht darauf an, wie die Gemeinde die von ihr mit dem Bebauungsplan beabsichtigten Maßnahmen bezeichnet, sondern allein darauf, ob sie damit “Innenentwicklung” im Sinne der Vorschrift betreibt (…).

Mit dem Tatbestandsmerkmal der Innenentwicklung beschränkt § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB seinen räumlichen Anwendungsbereich. Innenentwicklung ist nur innerhalb des Siedlungsbereichs zulässig; das gilt ausweislich der Gesetzesbegründung auch für die Änderung oder Anpassung von Bebauungsplänen (BT-Drs. 16/2496 S. 12). 

Überplant werden dürfen Flächen, die von einem Siedlungsbereich mit dem Gewicht eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils umschlossen werden. Die äußeren Grenzen des Siedlungsbereichs dürfen durch den Bebauungsplan nicht in den Außenbereich erweitert werden (…). Die Grenzen des Siedlungsbereichs werden nicht durch Planung bestimmt; die Planung findet diese in der jeweiligen Örtlichkeit vor. 

Dass es für die Bestimmung der Grenzen des Siedlungsbereichs auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, zeigen – neben den in der Gesetzesbegründung beschriebenen Anwendungsfällen – die gesetzlichen Beispielfälle der Wiedernutzbarmachung von Flächen und der Nachverdichtung, die an einen ehemals oder aktuell noch vorhandenen Baubestand anknüpfen. 

Darin kommt zum Ausdruck, dass für die Innenentwicklung auf solche Flächen zurückgegriffen werden soll, die bereits baulich in Anspruch genommen wurden und ihre bodenrechtliche Schutzwürdigkeit durch die damit einhergehende Versiegelung jedenfalls teilweise schon verloren haben. Für dieses enge Verständnis streitet auch die Entstehungsgeschichte der Norm. Nach dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung sollte das beschleunigte Verfahren für einen Bebauungsplan gelten, der “der Innenentwicklung dient” (…). Im Gesetzgebungsverfahren ist der Wortlaut geändert worden, um sicherzustellen, dass nicht auch solche Bebauungspläne als Pläne der Innenentwicklung gelten, die Bauland im bisherigen Außenbereich ausweisen und sich damit mittelbar positiv auf die Innenentwicklung auswirken (…).

Eine Auslegung des Begriffs Innenentwicklung, die an die tatsächlichen Verhältnisse anknüpft, steht mit Unionsrecht im Einklang.

Mit § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB hat der nationale Gesetzgeber von der zweiten Variante des Art. 3 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2001/42 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (…) Gebrauch gemacht und abstrakt-generell festgelegt, dass bestimmte Pläne ausnahmsweise im beschleunigten Verfahren und damit nach § 13a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 13 abs. 3 Satz 1 BauGB ohne Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB erlassen werden können (…).

Eine solche abstrakte Regelung ist zulässig, weil es denkbar ist, dass eine besondere Art von Plan, die bestimmte qualitative Voraussetzungen erfüllt, a priori voraussichtliche keine erheblichen Umweltauswirkungen hat, da die Voraussetzungen gewährleisten, dass ein solcher Plan den einschlägigen Kriterien des Anhangs II der Richtlinie entspricht (…). Das mit Bebauungsplänen der Innenentwicklung verfolgte Ziel, die Flächeninanspruchnahme zu begrenzen und Eingriffe in Natur und Landschaft zu vermeiden, rechtfertigt auch die Eingriffs-Ausgleichs-Fiktion des § 13a Abs. 2 Nr. 4 BauGB für die Fälle des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 (…). Mit diesem Ziel leistet der Bebauungsplan der Innenentwicklung zugleich einen Beitrag zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung im Sinne des Anhangs II Nr. 1 Spiegelstrich 3 der SUP-Richtlinie (…). Für den Flächenverbrauch und die Eingriffsqualität ist aber unerheblich, ob eine unbebaute Fläche bereits überplant ist oder nicht. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass ein Gebiet schon einmal überplant worden ist, nicht den Schluss, dass bei einer Inanspruchnahme der Flächen nicht (mehr) mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist. Das gilt erst recht dann, wenn – wie hier – die erste Überplanung ohne Umweltprüfung erfolgt ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit bindender Wirkung für den Senat festgestellt, dass das Plangebiet trotz Überplanung im Jahr 1983 bis zum Erlass des Änderungs-Bebauungsplans nicht bebaut worden ist. 

Die Neuplanung verschiebt damit die Grenze des Siedlungsbereichs der Antragsgegnerin, die durch die Bebauung westlich der D…Straße und südlich der B..Straße geprägt wird, in den bisher unbebauten Bereich. Das Plangebiet kann nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs schon angesichts seiner Größe von ca. 4,2 ha nicht als Teil der sich nach Süden und Westen anschließenden Bebauung angesehen werden, zumal selbst eine Prägung des Plangebiets durch die umliegende Bebauung im Grundsatz die Inanspruchnahme von Außenbereichsflächen nicht zu rechtfertigen vermag  (…).

Dass sich die Inanspruchnahme der mit dem Änderungs-Bebauungsplan überplanten Flächen für die Innenentwicklung der Antragsgegnerin möglicherweise positiv auswirkt, mag nahe liegen, genügt aber nicht, um die Durchführung des beschleunigten Verfahrens zu rechtfertigen. Damit liegt kein Fall der Innenentwicklung i.S.v. § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB vor.

Der Änderungs-Bebauungsplan leidet aufgrund der Wahl des beschleunigten Verfahrens an beachtlichen Mängeln.

Nach § 1 Abs. 8 i.V.m. § 2 Abs. 4 BauGB hat die Gemeinde im Verfahren zur Änderung eines Bebauungsplans für die Belange des Umweltschutzes nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 und § 1a BauGB eine Umweltprüfung durchzuführen. Gemäß § 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB ist ferner ein Umweltbericht zu erstellen, in dem die voraussichtlich erheblichen Umweltauswirkungen beschrieben und bewertet werden. Der Umweltbericht ist zusammen mit dem Entwurf des Bebauungsplans nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB öffentlich auszulegen und gemäß § 9 Abs. 8 BauGB der Begründung beizufügen. Gegen diese Vorschriften hat die Antragsgegnerin verstoßen, weil sie weder eine Umweltprüfung vorgenommen noch einen Umweltbericht erstellt hat.

Der Fehler ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtlich (…) Daran ändert auch

§ 214 Abs. 2a Nr. 1 BauGB a.F. nichts. Die Norm ist durch Art. 1 Nr. 30 des Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts vom 11. Juni 2013 mit Wirkung zum 20. September 2013 aufgehoben worden; sie war bereits vorher nicht mehr anwendbar, weil sie mit Unionsrecht unvereinbar war (..).

Der Mangel wurde von den Antragstellern innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gerügt. Er führt zur Gesamtunwirksamkeit des Änderungs-Bebauungsplans.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die öffentliche Bekanntmachung des Änderungs-Bebauungsplans am 28. Juli 2016 nicht zu beanstanden ist.

Das Normenkontrollgericht hält es für ausreichend, wenn nur in der öffentlichen Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses darauf hingewiesen wird, dass die im Bebauungsplan in Bezug genommene technische Vorschrift bei der Gemeinde zur Einsichtnahme bereitliegt. eine solche Bekanntgabe genüge den sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus § 10 Abs. 3 BauGB an die Verkündung von Normen ergebenden Anforderungen. Das trifft zu.

Die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips an die Verkündung von Normen stehen einer Verweisung auf nicht öffentlich zugängliche technische Vorschriften in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht von vornherein entgegen (…). Verweist eine Festsetzung auf eine solche Vorschrift und ergibt sich erst aus dieser Vorschrift, unter welchen Voraussetzungen ein Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist, muss der Plangeber sicherstellen, dass die Planbetroffenen sich auch vom Inhalt der jeweiligen technischen Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis verschaffen können. 

Den rechtsstaatlichen Anforderungen genügt die Gemeinde, wenn sie die in Bezug genommene Vorschrift bei der Verwaltungsstelle, bei der auch der Bebauungsplan eingesehen werden kann, zur Einsicht bereithält und hierauf in der Bebauungsplanurkunde hinweist (…). Ebenso genügt ein entsprechender Hinweis in der ortsüblichen Bekanntmachung, weil dieser in gleicher Weise wie der Hinweis in der Bebauungsplanurkunde geeignet ist, die Planbetroffenen über die Möglichkeit und den Ort der Einsicht in die technische Vorschrift zu informieren (…). Für die Bekanntmachung eines Bebauungsplans genügt es, wenn in der Bekanntmachung darauf hingewiesen wird, wo der Plan eingesehen werden kann (§ 10 Abs. 3 Satz 3 BauGB). Warum für nicht öffentlich zugängliche technische Vorschriften, auf die der Plan verweist, anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich.

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Brennholzstapel als zulässige Nebenanlage in reinem Wohngebiet

— 14.10.2020 —

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 26.11.1996 – 2 R 20/95

Die Eigentümer eines Grundstücks klagten im Jahr 1991 gegen die Bauaufsichtsbehörde. Sie begehrten ein Einschreiten gegen einen Brennholzstapel der Nachbarn. Der Holzstapel befand sich direkt an der Grundstücksgrenze und hatte eine Länge von 6,45 m und eine Höhe von 1 bis 1,35 m.

Das Verwaltungsgericht verpflichtete die Behörde, die Einhaltung einer Abstandsfläche von 5 m zwischen Grundstücksgrenze und Brennholzstapel anzuordnen. Die Abstandsfläche sei einzuhalten, da von dem Holzstapel eine gebäudegleiche Wirkung ausgehe und somit § 6 Abs. 8 (neu: § 7 Nr. 1 der Landesbauordnung des Saarlandes – LBO) Anwendung finde. Die betroffenen Nachbarn legten gegen diese Entscheidung Berufung ein.

Das Oberverwaltungsgericht Saarbrücken entschied zu Gunsten der Nachbarn und hob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf. Den Klägern stehe wegen des Brennholzstapels kein Anspruch auf behördliches Einschreiten zu. Denn dieser verstoße weder gegen drittschützende Vorschriften des Bauplanungs- noch des Bauordnungsrechts.

Die betroffenen Grundstücke liegen in einem reinen Wohngebiet, in dem Nebenanlagen gemäß § 14 BauNVO zulässig seien. Um eine solche handele es sich bei dem Brennholzstapel. Auf eine unzumutbare Belästigung oder Störung im Sinne von § 15 BauNVO können sich die Kläger nicht berufen, da vom Holzstapel selbst keine solchen Beeinträchtigungen ausgehen.

Geräuschentwicklungen durch das Schlagen von Holz seien ebenso wie Lärm von Rasenmähern oder von PKW im Zusammenhang mit der Garagennutzung hinzunehmen. Zwar wirke der Holzstapel mit den Überdeckungen aus Planen oder Folien und den darauf abgestellten Ballaststeinen verunstaltend. Das Bauplanungsrecht begründe aber keinen Anspruch eines Grundstückseigentümers auf optische oder ästhetische Anlegung und Nutzung der Nachbargrundstücke.

Vom Brennholzstapel gehe keine gebäudegleiche Wirkung aus, so dass Abstandsflächen nicht einzuhalten seien. Damit einer Anlage eine gebäudegleiche Wirkung zukomme, müsse sie zunächst eine Höhe von 2 m überschreiten. 

Dies ergebe sich aus einer Anlehnung an § 7 Abs. 3 Nr. 4 b) (neu: § 8 Abs. 2 Nr. 10b) LBO, wonach Einfriedungen bis zu einer Höhe von 2 m an der Nachbargrenze zulässig seien. Zudem müsse die Anlage eine Länge oder Breite von mehr als 3 m haben. Ist dies nicht der Fall, sei die Anlage mit Gerätehütten oder Schuppen vergleichbar, bei denen Abstandsflächen nicht beachtet werden müssen, wenn sie eine Ausdehnung von bis zu 30 m3 aufweisen. Angesichts dessen, komme dem zwar über 6 m langen, aber nur 1 bis 1,35 m hohen Brennholzstapel keine gebäudegleiche Wirkung zu.

 

 

 

 

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Nutzungsuntersagung für einen bordellartigen Betrieb nach mehr als dreißig Jahren

— 09.10.2020 —

Verwaltungsgericht Gießen, Beschluss vom 26. 07. 2019 – 1 L 2835/19 GI –

Im Jahr 1974 waren der Bau eines Wohnhauses samt Schwimmhalle in einer Gemeinde im Landkreis Gießen genehmigt worden. Genutzt wird der Komplex seit mehr als dreißig Jahren von den jeweiligen Erbbauberechtigten als bordellartiger Betrieb. Nachforschungen der Bauaufsichtsbehörde ergaben, dass für diese Art der Nutzung des Grundstücks, das in einem allgemeinen Wohngebiet liegt, zu keinem Zeitpunkt eine Nutzungsgenehmigung erteilt worden war. Daraufhin wurde die Nutzung als bordellartiger Betrieb untersagt und die Vollziehung angedroht, falls der Betrieb nicht innerhalb von sechs Monaten eingestellt wird.

Das Verwaltungsgericht Gießen bestätigte das Vorgehen der Behörde. Die erteilte Baugenehmigung für ein Wohnhaus erfasse nicht die Nutzung als bordellartiger Betrieb und hätte einer ausdrücklichen Nutzungsgenehmigung bedurft. Eine solche habe die Antragstelleriin nicht nachweisen können. Auch materiell sei die Nutzung baurechtswidrig, da sie bauplanungsrechtlich nicht zulässig sei. Bordelle bzw. bordellartige Betriebe seien nach der gängigen Rechtsprechung bereits in einem Mischgebiet mit der Wohnnutzung unvereinbar und somit erst recht in einem allgemeinen Wohngebiet. Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die Verpflichtung und Berechtigung der Bauaufsichtsbehörde zum Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände könne nicht verwirkt werden. Die Behörde habe auch zu keinem Zeitpunkt zugesichert, dass sie gegen die Nutzung nicht einschreiten werde.

 

 

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Bau einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Lichterfelde verstößt nicht gegen Nachbarrechte

— 07.10.2020 —

Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 23.01.2020 – VG 13 L 326.19 – 

Eine modulare Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Lichterfelde darf errichtet und betrieben werden. 

Die Antragstellerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist Eigentümerin eines Grundstücks in den denkmalgeschützten Telefunken-Werken, auf dem noch eine Privatschule betrieben wird. Mit ihrem Eilantrag wendet sie sich gegen die Errichtung einer modularen Flüchtlingsunterkunft für 211 Personen auf ihrem Nachbargrundstück. Den ursprünglichen bezirklichen Planungen zufolge sollte auf dem Vorhabengrundstück ein Sport-, Schul- und Kitastandort entstehen. Das Grundstück der Antragstellerin befindet sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, die Fläche ist als Gemeinbedarfsfläche mit der Zweckbestimmung “Kita, Schule, Spielplatz” festgesetzt.

Die Antragstellerin machte geltend, dass das Vorhaben ihre Interessen als Denkmaleigentümerin, auch ihren Gebietserhaltungsanspruch verletze. Ferner rügte sie eine Verletzung der Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundstücksfläche und der Bauweise, von denen das Vorhaben befreit sei und bestreitet, dass die Errichtung der modularen Flüchtlingsunterkunft angesichts sinkender Flüchtlingszahlen noch erforderlich sei.

Das Verwaltungsgericht Berlin wies den Eilantrag zurück. Die bauaufsichtliche Zulassung und die erteilten Befreiungen verstießen nicht gegen Nachbarrechte der Antragstellerin. Wegen der Festsetzung als Gemeinbedarfsfläche, die keinen generellen Drittschutz vermittle, stehe der Antragstellerin kein Gebietserhaltungsanspruch zur Seite. Die Festsetzung sei ausschließlich im öffentlichen Interesse getroffen worden, im Übrigen sei von der Festsetzung auch objektiv rechtmäßig befreit worden. Verletzungen des Maßes der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundstücksfläche und der Bauweise könne die Antragstellerin auch nicht rügen, da diesen Festsetzungen in der Regel keine nachbarschützende Wirkung zukomme. Dafür dass der Bebauungsplan hier ausnahmsweise anderes vorsehe, fehlten jegliche Anhaltspunkte. Das Vorhaben erweise sich gegenüber der Antragstellerin vor allem unter Berücksichtigung des Abstands von mehr als 50 m bis zur gemeinsamen Grundstücksgrenze auch nicht als rücksichtslos. Unzumutbare Störungen oder Belästigungen seien bei bestimmungsgemäßer Nutzung nicht zu erwarten.

 

 

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Zulässigkeit einer Tanzschule im Kerngebiet

— 29.09.2020 —

Eine Tanzschule ist im Kerngebiet gemäß § 7 (2) Nr. 3 BauNVO als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb allgemein zulässig.

Im zugrunde liegenden Fall klagte ein Grundstückseigentümer im Jahr 2016 vor dem Verwaltungsgericht Hannover (Urteil vom 18.10.2018, Az.: 12 A 4086/16) gegen die Baubehörde, weil diese den Betrieb einer Tanzschule auf dem Nachbargrundstück genehmigt hatte. Die Grundstücke lagen im “Kerngebiet”.

Das Verwaltungsgericht Hannover hatte die Klage abgewiesen, da die Tanzschule im Kerngebiet bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb allgemein zulässig sei. Der Kläger war anderer Ansicht und legte gegen das Urteil Berufung ein.

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg ließ die Berufung nicht zu und bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Bei einer Tanzschule handele es sich um einen sonstigen nicht störenden Gewerbebetrieb, der nach § 7 Absatz 2 Nr. 3 BauNVO allgemein zulässig ist. Eine Tanzschule ist dadurch gekennzeichnet, dass überschaubaren Personengruppen Tanzunterricht erteilt wird. Tanzunterricht komme zwar aufgrund der Musik und der Kommandos des Tanzlehrers nicht ohne eine gewisse Geräuschentwicklung aus. Diese Geräuschentwicklung erreiche jedoch typischerweise nicht das Maß etwa einer Diskothek, die durch einen größeren Besucherkreis, eine in aller Regel besonders laute Musikbeschallung und zudem erheblichen An- und Abreiseverkehr gekennzeichnet ist und die dennoch zu den kerngebietstypischen Vergnügungsstätten im Sinne von § 7 (2) Nr. 2 BauNVO zählt.

§ 7 Kerngebiete (1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur.

(2) Zulässig sind

  1. Geschäfts- Büro- und Verwaltungsgebäude,
  2. Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten,
  3. sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe,
  4. Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke,
  5. Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen,
  6. Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter,
  7. sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans.

 

 

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Karstadt, Pleiten, Pech und Pannen und eine neue Idee

— 08.09.2020 —

Nach der ersten Karstadt-Insolvenz im Jahr 2009 hatte der Investor Benko 2013 die Mehrheit gekauft und 2015 die letzte deutsche Warenhauskette übernommen. 2018 fusionierten Karstadt und Galeria Kaufhof, die Signa Holding übernahm sämtliche Anteile. Karstadt und Kaufhof befanden sich seit längerer Zeit in einer schweren Krise, da es nicht gelang, dem wachsenden Online-Handel ein tragfähiges Konzept entgegenzusetzen und die Kaufhäuser wieder für einen größeren Kundenkreis attraktiv zu gestalten. Erneute Einnahmeausfälle in der Corona-Krise führten zur Insolvenz Anmeldung. Das Insolvenzverfahren soll noch in diesem Monat abgeschlossen werden, die Gläubigerversammlung von Galeria Karstadt Kaufhof hat dem Insolvenzplan zugestimmt, die Gläubiger verzichten auf Ansprüche in Milliardenhöhe, für 47 Filialen droht das endgültige Aus, mehr als 5000 Arbeitsplätze sollen verloren gehen. Einzelne Betriebsräte und ver.di Tarifkommissionsmitglieder demonstrierten gegen die geplanten Streichungen, die Pläne der Insolvenzverwalter und der Signa könnten geändert werden, gleichzeitig müsse mit den Kommunen über die Zukunft der Filialen gesprochen werden.

Die Schließung von Karstadt Recklinghausen im Jahr 2016 nach mehr als 120 Jahren sorgte für Aufsehen, denn viele BürgerInnen der Stadt fühlten sich mit dem Haus verbunden, außerdem prägte das Gebäude die Innenstadt von Recklinghausen. Nach längerem Leerstand setzen Investoren und Stadt nun auf eine sog. Mischnutzung der fast 13.000 Quadratmeter. Neben Büroräumen, einer Kindertagesstätte, inhabergeführten Einzelhandelsbetrieben, Gastronomie und einer Kindertagesstätte sollen auch Wohnungen entstehen. 

Für Stadtplaner ist eine Umnutzung bestehender großer Gebäude alles andere als einfach. Norbert Portz vom Deutschen Städte- und Gemeindebund weiß, dass eine Umnutzung wegen der Größe und Mehrgeschossigkeit der Gebäude hohe Kosten verursacht. Insbesondere die Schaffung von Wohnraum in den leerstehenden Karstadt Gebäuden dürfte nicht einfach zu verwirklichen sein. Wünschenswert ist es aber, um der Verödung der Innenstädte nach Geschäftsschluss entgegenzuwirken. “Eine Funktionsvielfalt in Innenstädten sorgt für Attraktivität und Lebendigkeit. Sie kann insbesondere dazu beitragen, dass Innenstädte auch nach Geschäftsschluss, etwa über eine Wohnnutzung lebenswert bleiben,” so Portz (tagesschau.de vom 03.09.2020).

Stadtforscher Stefan Kreutz aus Hamburg stimmt dem zu. Er analysiert die Transformation von Innenstädten und urbaner Zentren und weiß, dass monofunktionale Innenstädte, die fast ausschließlich auf den Einzelhandel setzen, außerhalb der Geschäftszeiten unattraktiv sind, zentrales Thema ist häufig die fehlende Wohnbevölkerung in den Innenstädten. Der Leerstand von großen Immobilien wirke negativ auf die Umgebung. Der Stadtforscher glaubt an die Entwicklungschancen und appelliert an Kommunen und Investoren, die Krise jetzt zu nutzen und eine Renaissance der Innenstädte als urban-kulturelle Orte zu fördern.

Die Berliner Morgenpost berichtet am 03.09.2020, dass Karstadt am Hermannplatz umgestaltet werden soll. Der Investor Signa will auch Wohnungen bauen, aber wie immer stößt das Projekt auf Kritik.

Die Anhörung zu den Neubauplänen des Eigentümers Signa, konkret geht es um Neubauvorhaben am Alexanderplatz, am Kurfürstendamm und am Hermannplatz, offenbart die Uneinigkeit der Berliner Regierung. SPD und Teile der Opposition unterstützen die Projekte zur Neugestaltung und Aufwertung der historischen Warenhaus-Standorte. Vertreter der Linken und Grünen lehnten die Pläne ab, insbesondere der geplante Neubau im Stil der 1920er-Jahre am Hermannplatz findet wenig Zustimmung, heißt es in der Presse.

Im Juni 2020 meldete die Berliner Morgenpost, dass die österreichische Signa-Gruppe des Karstadt-Kaufhof-Eigners René Benko, die ihre Pläne (im Mai 2019) für ein neues Karstadt-Gebäude am Hermannplatz vorgestellt hatte, für Aufregung im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, als auch im Bezirk Neukölln sorgte. Gentrifizierung und Verdrängung werden befürchtet. Acht Politiker der Linken und Grünen aus dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg haben einen Brief an den Regierenden Bürgermeister M.Müller verfasst, in dem sie sich gegen die Baupläne des Investors Signa für die Filiale am Hermannplatz wenden. Angeblich wolle Signa die Arbeitsplätze in einigen Kaufhäusern nur erhalten, wenn auch die eigenen Bauinteressen durchgesetzt werden können (auch rbb Abendschau vom 20.08.2020). 

Am 11. Juni 2020 meldete der Tagesspiegel, dass die Pläne für den Neubau quasi auf Eis liegen, da es zwischen der Signa und den zuständigen Behörden – Baustadtrat Florian Schmidt – keine Kommunikation gibt. Daraufhin wurde das Online-Informationsportal “Nicht ohne euch” gestartet. Einwände und Wünsche der Berliner Bevölkerung und aus der Politik seien aufgenommen wurden und die Pläne entsprechend überarbeitet, sagte Signa-Projektmanager Thibault Chavanat. 

Das Online-Informationsportal fasst das geplante überarbeitete Projekt zusammen. Ziel des Investors ist es, einen Mehrwert für die AnwohnerInnen und positive Veränderungen zu ermöglichen, ein anspruchsvolles Mobilitätskonzept und eine gute Gestaltung für das Gebäude sollen zu einer Verbesserung der Lebens- und Aufenthaltsqualität rund um den Hermannplatz führen. Um einen lebendigen Ort für Karstadt zu schaffen, sollen eine gemischt genutzte Immobilie und durch den Wiederaufbau des Gebäudes in seiner historischen Form eine identitätsstiftende Architektur entstehen, die die Attraktivität der Umgebung stärkt. Es soll ein nachhaltiges, ökologisches und soziales Projekt werden, durch die Nutzungsmischung wird der Einzelhandelsanteil nicht größer, das Kleingewerbe in der Umgebung soll von der Attraktivität und der Besucherfrequenz des neuen Gebäudes profitieren. Nach einer drei- bis vierjährigen Bauphase soll ein Platz für den Kiez geschaffen werden, den AnwohnerInnen vielfältig und kreativ nutzen können.

Geplant ist z.B. auch eine öffentliche Dachterrasse für kulturelle Veranstaltungen und Gastronomieangebote, 3.600 Quadratmeter Fläche sollen für das Gemeinwohl zur Verfügung gestellt werden. Dort könnten Kindertagesstätten, Ateliers, Sport- und Proberäume etc. entstehen. Ein überarbeitetes Warenhauskonzept soll 2.000 MitarbeiterInnen einen sicheren Arbeitsplatz bieten, außerdem sollen auf 1.500 Quadratmetern bezahlbare Wohnungen in gemeinnütziger Trägerschaft entstehen. Durch ein zukunftsweisendes Mobilitätskonzept sollen Fußgänger, Radfahrer und der Öffentliche Personennahverkehr Vorfahrt haben. Das voraussichtliche Investitionsvolumen für vier Standorte soll 450 Millionen Euro betragen.

Berliner und Anwohner diskutieren eifrig mit: Vieles spricht für den geplanten Neubau im Stil der 20er Jahre. Es sei die Chance, den in ästhetischer und sozialer HInsicht erbärmlichen Status Quo am Hermannplatz positiv zu verändern, eine Gentrifizierung müsse auch nicht immer negativ sein, da die Lebensqualität eines Ortes mit der Kaufkraft der Bevölkerung steige. Ein gutes, breit gefächertes Warenangebot gäbe es im Einzugsbereich schon lange nicht mehr, vielmehr beschränke sich der Einzelhandel auf Kioske, Kleingastronomie und Brautmodenläden. 

Nach der Fertigstellung des geplanten Neubaus könne die ganze Stadt davon profitieren, da dieser dann ein Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt werden würde, Neukölln wäre nicht mehr der Schandfleck Berlins. Wer Arbeitsplätze erhalten will, dürfe sich nicht gegen notwendige Investitionen stellen. Eine positive Aufwertung des Gebiets um den Hermannplatz ist aufgrund der aktuellen Situation jedenfalls wünschenswert. 

Die Berliner Wirtschaftssenatorin, Frau Ramona Popp spricht sich für die Umbaupläne der Signa aus, denn es stelle sich die Frage, ob das Kaufhaus überhaupt überleben könne oder es nicht doch eine neue Konzeption benötige, um dieses Kaufhaus in die Zukunft zu überführen. Auch der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel von der SPD sieht Handlungsbedarf: “Wenn wir nichts ändern an der Stelle, dann sehen wir von Karstadt und vom Hermannplatz nicht mehr viel außer weitere Zeichen von Verwahrlosung des öffentlichen Raums,” (Quelle rbb 24 vom 04.09.2020).

Herr Florian Schmidt von den Grünen sieht keinerlei Mehrwert für die Menschen durch das geplante Vorhaben, sie seien bereits versorgt. Er glaubt, dass der geplante Neubau nur fremdes, reiches, kaufkräftiges Publikum nach Kreuzberg und Neukölln bringen würde und befürchtet gar strukturellen Rassismus. Gegenüber der Abendschau äußerte er: “Es ist ja schon eine Sache auf dem Tisch, die man durchsetzen will. Man verdichtet, man bringt teure Mieten an den Start.” Schmidt fürchtet, dass am Hermannplatz ein Sozialraum umgekrempelt wird.

Das Solidarische Netzwerk von Nachbarschaft und Gewerbetreibenden in Berlin-Kreuzberg spricht sich ebenfalls gegen das Projekt aus. Es werden Arbeitsplatzverlust und Verdrängung der Bewohner und Kleingewerbetreibenden befürchtet, wenn für fünf bis zehn Jahre eine Großbaustelle Hermannplatz entsteht. Es wird behauptet, dass durch die Pläne für eine historische Architektur vor allem ein makelloses Umfeld für die ökonomischen und politischen Interessen eines Immobilienkonzerns geschaffen werden soll und Signa eine gespaltene Koalition anstrebe. Auch der Stadtrat für Stadtentwicklung Neukölln, Herr Jochen Biedermann, zweifelt an den Plänen der Signa, insbesondere zum Wohnungsbau, da mehr als allgemeine Aussagen nicht vorliegen würden.

Die Initiative Hermannplatz, eine Arbeitsgemeinschaft gegen den Abriss und gegen den Neubau möchte im Grunde, dass alles bleibt wie es ist. Trotzdem soll neuer Wohnraum entstehen und die Arbeitsplätze in der Umgebung sollen erhalten bleiben. Die Stadtentwicklung soll die Interessen der KiezbewohnerInnen in den Vordergrund stellen und es soll Raum und Schutz für diskriminierte, geflüchtete, arme und wohnungslose Menschen geben. Sehr aufschlussreich auch die Willensbekundung der Webseite: “Wir wollen weiterhin auf dem Hermannplatz abhängen, liegen, sitzen, plaudern, pöbeln, lieben, demonstrieren, weinen, essen , trinken, rülpsen, lachen, streiten, tanzen und motzen können ohne beobachtet, verurteilt und ausgegrenzt zu werden. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt und träumen von einer besseren Welt.” 

Die Initiative befürchtet vor allem eine Zerstörung des postmigrantischen Kleingewerbes im Bezirk und die Zerstörung gewachsener Kiezstrukturen. Herr Benko sei ein Großspender der rechten FPÖ, es sei nicht hinnehmbar, dass so einer im Kiez sein Projekt umsetzte. “Die Arbeitsgemeinschaft will u.a. die Bevölkerung im Umkreis des Hermannplatzes davon überzeugen, dass ein solcher geplanter Konsumtempel absolut keine gute Idee ist und umliegende gewachsene Kiezstrukturen nachhaltig zerstören würde.” 

Der Berliner Senat will sich verpflichten, die Weiterentwicklung der Galeria Karstadt Kaufhof-Standorte, u.a. am Kurfürstendamm und am Hermannplatz zu unterstützen, hat die Planung für den Hermannplatz an sich gezogen (rbb 24 vom 02.09.2020) und sich über die Bezirksverwaltung hinweggesetzt. 

Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee, da die Verantwortlichen der Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln offensichtlich wenig kommunikations- und kompromissbereit sind und eher als Innovationsbremse daherkommen. Vielleicht befürchten sie auch den Verlust der Wählerstimmen, die lieber auf dem Hermannplatz abhängen, rülpsen, streiten und trinken wollen und ein Recht auf Stadt postulieren – für sich und angeblich ausgegrenzte Mitmenschen. Ein tragfähiges Gegenkonzept jedenfalls können sie, wie auch andere Gegner des Projektes, nicht anbieten. 

Von Seiten der Verantwortlichen existiert bis heute kein Plan, was mit Wohnungslosen, Armen und Diskriminierten in der Stadt geschehen soll bzw. wie deren Situation sich verbessern lässt. In Friedrichshain-Kreuzberg und in Neukölln sieht es teilweise aus wie auf einer Müllkippe, Verwahrlosung von öffentlichen Plätzen führt zu steigender Kleinkriminalität, mittlerweile stehen Diskriminierte und Kleingewerbetreibende von der Warschauer Straße bis zum Kottbusser Tor und postulieren ein Recht auf Stadt. In den Bezirksverwaltungen fehlt es ja an Personal.

Auch das Argument der sog.Gentrifizierung taugt in diesem Zusammenhang wenig, denn diese findet statt aufgrund steigender Mieten wegen fehlender Wohnungsangebote, schleppend vorangehender Neubauvorhaben und starker Nachfrage durch Zuzug und wachsende Bevölkerung. Gentrifizierung wird nicht ausgelöst durch einzelne Neubauvorhaben. Sie findet ja bereits seit Jahren statt, trotz Mietpreisbremse und ganz besonders im  Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der auch unter der grünen Bezirksverwaltung stetig ansteigende Mieten verzeichnet. Der geplante Neubau der Galeria Karstadt wird diese Tendenzen nicht wesentlich verstärken, einige preiswerte Neubauwohnungen mehr für wohnungssuchende Städter wären aber eine Entlastung. Auch teure Eigentumswohnungen würden Käufer finden und Altbestände schonen.

Dass das geplante Projekt gewachsene Kiezstrukturen zerstören könnte, ist nicht vielmehr als eine haltlose Behauptung. Welche Kiezstrukturen sind damit gemeint? Bereits seit den neunziger Jahren ist von diesen vielbesungenen Kiezstrukturen nicht mehr viel übrig. Alles befindet sich in ständiger Veränderung, die häufig beschworenen Kiezstrukturen sind genauso ein Mythos wie die geplante Anlehnung an das historische Vorbild am Hermannplatz, Herr Schmidt fand ja das Aufsetzen der Architektur von damals sei heute nicht mehr angemessen. Das stetige Beharren auf alten Strukturen ist es genauso wenig, zumal diese in Neukölln auch auf rechtsstaatliche Bedenken stoßen, die befürchtete Umkremplung des Sozialraums ist möglicherweise sogar zu begrüßen und  förderungswürdig. 

Ein Neubau im alten Stil als Erinnerung an die “goldenen Zwanziger” mit einem modernen Innenleben in Form innovativer Nutzungen würde die Gegend um den Hermannplatz erheblich aufwerten. Es werden neue Arbeitsplätze entstehen und alte erhalten bleiben, wenn die Bauprojekte verwirklicht werden. Die ständig wiederholten Behauptungen, es werde Mietsteigerungen und ein Gewerbesterben geben, sind substanzlos, da auch ohne innovative, gewagte und größere Investitionen die Mieten genauso steigen und bei sinkender Kaufkraft Gewerbetreibende trübe Zukunftsaussichten haben werden. Hier besteht jede Menge Handlungsbedarf, auf eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation durch Nichthandeln und provinziellen Beharrens veralteter Strukturen braucht niemand zu hoffen. Die Vereinbarung zwischen dem Land Berlin und der GALERIA Karstadt Kaufhof GmbH mit der Signa-Gruppe (vgl. Pressemitteilung vom 03.08.2020 des Regierenden Bürgermeisters) auf eine kooperative Zusammenarbeit ist zu begrüßen. Hoffentlich fehlte es hierfür nicht an geeignetem Personal.

 

 

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Stadtplanung, Tempelhofer Feld Berlin

— 03.09.2020 —

Erneut wird eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes im Berliner Senat diskutiert. Politiker der CDU, SPD und FDP können sich einen neuerlichen Volksentscheid vorstellen. 

Die FDP-Fraktion und ein neu gegründeter Verein hatten sich für einen neuen Volksentscheid zur Randbebauung des Tempelhofer Feldes ausgesprochen, mindestens 12.000 Wohnungen sollen 2025 bezugsfertig sein.

Die Grünen und die Linken wollen das Tempelhofer Feld als Freifläche erhalten, sie fühlen sich dem Willen der Wähler verpflichtet. Eine Mehrheit der Berliner hatte 2014 gegen eine mögliche Randbebauung gestimmt, seitdem wird das Tempelhofer Feld als Freifläche für sportliche und gärtnerische Aktivitäten genutzt. Frau Stahr, Co-Vorsitzende der Berliner Grünen ist der Ansicht, eine Bebauung des Tempelhofer Feldes sei gar nicht nötig, auch sei auf der Neuköllner Seite die nötige Infrastruktur nicht vorhanden, das Kopfsteinpflaster sei bereits jetzt überlastet. Aktuell seien 45.000 Wohnungen in der Planung, für weitere Projekte fehle es an Bauunternehmen. Betont wird außerdem die ökologische Bedeutung des Tempelhofer Feldes als Kalt- und Frischluftschneise und als Lebensraum für seltene Tierarten. Der Central Park in New York sei größer als das Tempelhofer Feld, dort würde niemand auf die Idee kommen, zu bauen, das Tempelhofer Feld wird als Erholungsfläche für die Berliner gebraucht.

Die ehm. Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Frau Lompscher widerspricht ebenfalls den Plänen, denn für eine Bebauung müsste das Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes geändert werden. (rbb24 vom 05.01.2020) Das Gesetz verbietet jegliche Bebauung auf der ca. 350 Hektar großen Freifläche.

Die Lektüre des Gesetzes lohnt sich. § 1 (1) formuliert: Ziel dieses Gesetzes ist es, die wertvollen Eigenschaften des Tempelhofer Feldes und die darauf beruhenden Funktionen dauerhaft zu erhalten und vor Eingriffen, welche sie gefährden oder verändern können, zu schützen.

(2) Das Tempelhofer Feld in seiner Gesamtheit ist wegen

  1. seiner Leistungs- und Funktionsfähigkeit im Naturhaushalt,
  2. der Eigenart und Schönheit seiner Landschaft,
  3.  seines Nutzens für die Erholung,
  4. seiner kulturhistorischen Bedeutung und als Ort der Berliner Geschichte, der Flugfahrt und des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus von einmaligem Wert. Es hat diesen Wert unabhängig von öffentlichen und privaten Interessen.

§ 3 Nr. 1 des Gesetzes betont den Wert des Tempelhofer Feldes in seiner Wirkung auf das Stadtklima und die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes. Wiesenflächen als Kaltluftentstehungsgebiet und Luftaustauschbahnen sind maßgeblich für Verdunstung, Temperaturverteilung und Luftaustausch. Durch die Vermeidung von Eingriffen wird die konkrete Gefahr einer Erwärmung und der sich daraus ergebenden Verschlechterung der menschlichen Lebensbedingungen in Teilen Berlins vorgebeugt. § 3 Nr. 2 stellt fest, dass die besondere und schützenswerte Schönheit der Landschaft des Tempelhofer Feldes in seiner räumlichen Weite und in der Offenheit der Sichtbeziehungen über große Entfernungen und der ortstypischen Klimasituation liegt. Natürlich bietet der Wiesenbereich mit der angepassten Flora und Fauna den nach dem Bundesnaturschutzgesetz geschützten Pflanzen und Tieren einen besonderen Lebensraum. Nr. 4 konkretisiert den Erholungswert, der sich aus der sinnlichen Wahrnehmung der Landschaft ergibt, den Bewegungsmöglichkeiten auf befestigten und unbefestigten Flächen und den Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung für alle Berliner.

Das Land Berlin als Eigentümerin der Fläche verpflichtet sich in § 5 des Gesetzes zum Erhalt des Tempelhofer Feldes in seiner Gesamtheit und verzichtet auf die Errichtung von Gebäuden und Bauwerken und damit zusammenhängende Rechtsgeschäfte.

Die Berliner CDU will auch möglichst schnell einen neuen Volksentscheid, denn – wer hätte das gedacht – Berlin wächst und es fehlen bereits jetzt mehr als 100.000 Wohnungen. Im Juli 2019 befragte das Institut Civey im Auftrag des “Tagesspiegel” rund 3.000 Berliner, 

64,4 % der Befragten sprachen sich für eine sozialverträgliche Randbebauung der Freifläche aus. 6.000 Wohnungen für 20.000 Menschen mit Nettokaltmieten von 6,50 € bis 8,00 € pro qm sollen nach Vorstellung des stellvertretenden SPD Kreisvorsitzenden Kohlmeier entstehen. Außerdem soll ein 110 Hektar großer Mischwald entstehen, der Lebensraum für Pflanzen und Tiere bieten würde.

Das war der Informationsstand im Januar 2020, vor Corona und vor Inkrafttreten des sog. Mietendeckels, der wie inzwischen absehbar ist, Mietsteigerungen nicht verhindert und für den Wohnungsneubau eher kontraproduktiv wirkt. Zum Glück wird in Berlin noch gebaut, vor allem Eigentumswohnungen und Gewerbeeinheiten.

Die Bebauungsgegner argumentieren, dass kaum bezahlbarer Wohnraum entstehen könne, da es lediglich für 850 Wohnungen die o.g. Kaltmiete geben würde und diese auch zeitlich begrenzt sei. Außerdem ist die Erschließung nicht gesichert, Kanalisation, Zufahrtswege etc. würden mehr als 400 Millionen € kosten, während andernorts in der Stadt 972 Hektar bereits erschlossene innerstädtische Baulandreserven zur Verfügung stehen, auf denen günstiger gebaut werden könne. Die Randbebauung des Tempelhofer Feldes würde zuviel Freifläche zerstören (Quelle: Internetseite der bürgerschaftlichen Vertreterinnen und Vertreter Tempelhofer Feld-Koordination).

Inzwischen ist Sebastian Scheel als neuer Berliner Bausenator im Amt und der Mietendeckel, für den seine Vorgängerin sich stark gemacht hatte, soll überprüft, am besten gleich abgeschafft werden, fordern Vertreter der Immobilienwirtschaft. Herr Scheel will jedoch am bisherigen Kurs festhalten und auch die Grünen-Fraktionschefinnen Antje Kapek und Selke Gebel sind der Auffassung, dass die Neuausrichtung der Wohnungspolitik hin zu einem gemeinwohlorientierten Wohnungsmarkt gestärkt werden müsse. Nötig sei mehr Personal zur Umsetzung des Mietendeckels. (Haufe.de vom 20.08.2020)

 

 

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Einkaufszentrum, förmliche Planung als öffentlicher Belang

— 31.08.2020 —

Beschluss vom 12.07.2007 – BVerwG 4 B 29.07

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Revision ist nicht nach § 132 (2) Nr. 2 VwGO zuzulassen. Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nicht vor. Die Vorinstanz hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist ein Einkaufszentrum im Sinne des § 11 (3) Satz 1 Nr. 1 BauNVO anzunehmen, wenn Einzelhandelsbetriebe verschiedener Art und Größe räumlich konzentriert werden und die einzelnen Betriebe aus Sicht der Kunden als aufeinander bezogen, als durch ein räumliches Konzept und durch Kooperation miteinander verbunden in Erscheinung treten. 

Das entspricht der Definition des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01. Entgegen der Darstellung der Beschwerde hat das Berufungsgericht im Rahmen der Subsumtion dem Begriff des Einkaufzentrums keinen davon abweichenden Inhalt beigelegt. Es hat nämlich nicht allein darauf abgestellt, dass die geplanten Einzelhandelsbetriebe in den Gebäuden G 1 bis G 3 zusammengefasst werden, sondern auch ins Feld geführt, dass die Gebäude durch einen gemeinsamen Verbindungsgang miteinander vernetzt werden sollen, in dem Mittelgebäude G 2 eine “räumliche Mitte” für den gesamten Komplex geschaffen werden soll und gemeinsame Stellplätze vorgesehen sind. Dass es den Charakter des zur Beurteilung gestellten Vorhabens als Einkaufszentrum nicht deshalb verneint hat, weil weder eine gemeinsame Verwaltung des Gewerbeparks noch eine gemeinsame Werbung vorgesehen ist, bedeutet keine Abkehr von den Entscheidungen des Senats vom 27. April 1990 – BVerwG 4 C 16.87 und vom 15. Februar 1995 – BVerwG 4 B 84.94

In beiden Entscheidungen wird eine gemeinsame Werbung oder eine verbindende Sammelbezeichnung als Beispiel dafür genannt, in welcher Weise sich die Verbundenheit von Betrieben zu einem Einkaufszentrum dokumentieren kann. Zwingende Voraussetzungen für ein Einkaufszentrum sind die Merkmale nicht.

Die Beschwerde legt auch nicht dar, dass das Berufungsurteil von Rechtssätzen abweicht, die das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungen vom 23. Mai 1986 – BVerwG 4 C 34.85, vom 11. Februar 1993 – BVerwG 4 C 15.92 und vom 21. Juni 1996 – BVerwG 4 B 84.96 formuliert hat. 

Die Beschwerde entnimmt den Entscheidungen zu den Tatbestandsmerkmalen “Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und zu überbauende Grundstücksfläche” des § 34 Abs. 1 BauGB den Rechtssatz, dass es sich bei ihnen um städtebaulich relevante und nicht um bauordnungsrechtliche Kriterien handelt. Die von ihr beanstandene Würdigung des Berufungsgerichts, der westlich der Bundesstraße 4 gelegene “Marktkauf” sei nicht Teil der maßgebenden Umgebung, betrifft diese Tatbestandsmerkmale jedoch nicht. Sie ist im Rahmen der Prüfung erfolgt, ob der Komplex des Marktkaufs Bestandteil der näheren Umgebung ist, in das sich das geplante Vorhaben gemäß § 34 Abs. 1 BauGB nach Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und zu überbauende Grundstücksfläche einfügen muss. Im Übrigen handelt es sich bei der vom Berufungsgericht herangezogenen “deutlich anderen Bau- und Nutzungsstruktur” ersichtlich um ein städtebauliches Kriterium.

Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen Verfahrensmängeln zuzulassen. Die Rüge, das Gericht habe seine Pflicht zur Klärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, genügt nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde scheitert schon daran, dass sie nicht darlegt, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen das Berufungsgericht über die von ihm durchgeführte Ortsbesichtigung hinaus hätte ergreifen müssen. Ihr Vorbringen erschöpft sich in einer Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung. Damit ist ein Aufklärungsmangel nicht dargetan.

 

Kostenentscheidung

In der Entscheidung des BVerwG vom 01.08.2002 – 4 C 5.01setzte sich das Gericht mit Fragen der Notwendigkeit förmlicher Planung um eine Entscheidung über ein Vorhaben im Außenbereich treffen zu können, dessen Auswirkungen benachbarte Gemeinden betreffen, auseinander. Merkmale eines Einkaufzentrums im Sinne des § 11 (3) Satz 1 Nr. 1 BauNVO werden genannt und eine Auslegung des § 11 BauNVO wird vorgenommen.

Ein qualifizierter Abstimmungsbedarf ist ein Zeichen dafür, dass die § 35 (3) BauGB aufgeführten Zulassungsschranken nicht ausreichen, um ohne Abwägung im Rahmen einer förmlichen Planung eine Entscheidung über die Zulässigkeit des beabsichtigten Vorhabens treffen zu können. Von einem qualifizierten Abstimmungsbedarf ist dann auszugehen, wenn das Vorhaben die in § 11 (3) Satz 1 BauNVO bezeichneten Merkmale aufweist.

Die Voraussetzungen für eine Baugenehmigung nach § 35 BauGB liegen nicht vor. Das Berufungsgericht beurteilt das Gesamtprojekt der Beigeladenen als ein “sonstiges Vorhaben” im Sinne des § 35 (2) BauGB. Nach dieser Vorschrift kann ein derartiges Vorhaben im Einzelfall nur zugelassen werden, wenn seine Ausführung und Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beeinträchtigt das Vorhaben einen die Klägerin als Nachbargemeinde schützenden öffentlichen Belang, nämlich das Erfordernis einer förmlichen Planung.

Das genehmigte Vorhaben weist Merkmale auf, die ein Einkaufszentrum im Sinne des § 11 (3) Satz 1 Nr. 1 BauNVO ausmachen (…) Es handelt sich um einen Gebäudekomplex, der Einzelhandelsbetriebe verschiedener Art und Größe, daneben aber auch Dienstleistungsbetriebe umfasst. Auf einer Fläche von 21 000 qm sind 61 Verkaufsläden sowie zwei Gastronomiebetriebe vorgesehen. Der Einstufung als Einkaufszentrum steht nicht entgegen, dass das Branchenspektrum beschränkt ist. Es kommt weniger auf ein umfassendes Warenangebot als auf die räumliche Konzentration von Einkaufsmöglichkeiten in Betracht. Maßgeblich ist, dass einzelne Betriebe aus der Sicht der Kunden als aufeinander bezogen, als durch ein gemeinsames Konzept und durch Kooperation miteinander verbunden in Erscheinung treten.

Aus § 11 (3) BauNVO lässt sich unmittelbar allerdings nur ableiten, dass Anlagen, welche die tatbestandlichen Merkmale aufweisen, außer in Kerngebieten nur in eigens festgesetzten Sondergebieten, nicht aber in sonstigen Baugebieten zulässig sind. Zur Frage, ob solche Anlagen im Außenbereich zugelassen werden können, schweigt dies auf § 2 (5) BauGB beruhende Vorschrift naturgemäß. Dennoch lässt die Wertung, die ihr zugrunde liegt, Rückschlüsse auch für die Anwendung des § 35 BauGB zu.

§ 11 (3) BauNVO ist im System des Planungsrechts insofern einzigartig, als er es nicht damit bewenden lässt, die Zulassungsfähigkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben allgemein an eine Planung zu binden. Es reicht nicht aus, dass die Standortgemeinde überhaupt planerisch tätig wird. Selbst wenn im Gemeindegebiet Misch-, Gewerbe- oder Industriebetriebe zur Verfügung stehen, in denen Einzelhandelsbetriebe zulässig sind, muss die Gemeinde von ihrer Planungsbefugnis gezielt in einer bestimmten Richtung Gebrauch machen, um den Weg für eine Zulassung frei zu machen. Erforderlich ist eine auf die Anlagenspezifika zugeschnittene Planung. Diese Grundentscheidung des Normgebers beanbsprucht allgemeine Beachtung.

Insoweit ist für den Anwendungsbereich des § 35 BauGB ein Erst-Recht-Schluss nahe liegend. Wenn Einkaufszentren und sonstige großflächige Handelsbetriebe wegen der mit ihnen verbundenen nachteiligen Wirkungen ohne spezielle Planung nicht einmal in den Gebieten verwirklicht werden dürfen, die für sie an sich nach der Gebietstypologie der Baunutzungsverordnung bestimmt sind, so scheidet auch der Außenbereich als geeigneter Standort von vornherein aus. Eine Zulassung ohne jegliche Planung läuft zwangsläufig auf eine Beeinträchtigung der öffentlichen Belange hinaus, zu deren Wahrung sich der Normgeber der Baunutzungsverordnung ausdrücklich und gezielt des Mittels planerischer Steuerung bedient…..

§11 (3) BauNVO liegt die Wertung zugrunde, dass die in dieser Vorschrift bezeichneten Betriebe typischerweise ein Beeinträchtigungspotential aufweisen, das es rechtfertigt, sie einem Sonderregime zu unterwerfen. Welche Belange ganz erheblich betroffen sein können, verdeutlicht die Aufzählung in § 11 (3) Satz 2 BauNVO. Dort werden neben schädlichen Umwelteinwirkungen insbesondere Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr, auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich der in § 11 (3) Satz 1 BauNVO bezeichneten Betriebe sowie auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden genannt. Die Vermutungsregel, die der Normgeber insoweit in § 11 (3) Satz 3 BauNVO aufstellt, bezieht sich zwar nur auf großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe. Das bedeutet indes nicht, dass der Normgeber Einkaufszentren eine Vorzugsbehandlung angedeihen lässt. Das Gegenteil ist der Fall. Damit die in § 11 (3) BauNVO genannten Rechtsfolgen eintreten, bedarf es nicht eigens der Feststellung, welche nachteiligen Wirkungen konkret zu erwarten sind. Der Normgeber geht davon aus, dass sich die in § 11 (3) Satz 2 BauNVO bezeichneten Auswirkungen bei Einkaufszentren generell nicht ausschließen lassen. Eine Einzelfallprüfung erübrigt sich.

Der mit § 11 (3) BauNVO verfolgte Regelungszweck lässt sich ferner von § 1 (5) Satz 2 Nr. 8 BauGB her erschließen. Danach sind im Rahmen der Bauleitplanung u.a. die Belange der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung, zu berücksichtigen.

Diese Regelung ist ein Beleg dafür, dass es dem Gesetzgeber ein wichtiges Anliegen ist, dem Interesse an gut erreichbaren und an den Bedürfnissen der Verbraucher orientierten Einzelhandelsbetrieben Rechnung zu tragen. Sie ist darüber hinaus Ausdruck der gesetzgeberischen Wertung, dass insbesondere die mittelständischen Betriebsformen des Einzelhandels geeignet sind, die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.

§ 11 (3) BauNVO erfasst Betriebe, die entgegen dem städtebaulichen Leitbild, durch die Standorte des Einzelhandels eine funktionale Beziehung zum Wohnen herstellen, an wohnungsfernen, verkehrlich schlecht oder nur mit dem Auto erreichbaren Standorten auf großer Fläche ein Warenangebot für den privaten Bedarf der Allgemeinheit bereithalten (….) Er zielt darauf ab, den Einzelhandel an den Standorten zu sichern, die in das städtebauliche Ordnungssystem funktionsgerecht eingebunden sind. Dass auf diese Weise die Wirtschaftsstruktur in den zentralen Versorgungsbereichen gestärkt wird, ist nicht Selbstzweck. Der Schutz der mittelständischen Wirtschaft dient nicht als Mittel dafür, bestimmte Wettbewerbsverhältnisse zu stabilisieren. Vielmehr soll sichergestellt werden, dass durch die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben an peripheren Standorten nicht die wirtschaftliche Existenz derjenigen Betriebe bedroht oder gar vernichtet wird, die eine verbrauchernahe Versorgung gewährleisten.

§ 11 (3) Satz 1 BauNVO ist durch eine betont übergemeindliche Sichtweise geprägt. Die Vorschrift macht, soweit es darum geht, die auswirkungen des Vorhabens zu beurteilen, nicht an den Gemeindegrenzen Halt. vielmehr stellt sie auf den “Einwirkungsbereich” ab, der weit über die Standortgemeinde hinausreichen kann. Auch unter dem Blickwinkel der Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche lässt sie es unabhängig davon, ob insoweit landesplanerische Festlegungen oder gemeindliche Entwicklungskonzepte die Grundlage bilden, nicht mit einer auf ein bestimmtes Gemeindegebiet bezogenen Betrachtung bewenden. In die soweit gebotene Beurteilung einzubeziehen ist nicht nur die Standortgemeinde. Rechtliche Relevanz kommt auch den Auswirkungen “in anderen Gemeinden” zu…

 

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