Innenbereich

Nachbarschutz gegen Geruchs- und Lärmimissionen aus landwirtschaftlichen Betrieben

— 11.08.2020 —

VGH München, Beschl. v. 03.05.2016 – 15 C S 15.1576

Vorinstanz: VG Augsburg, Beschl. v. 30.06.2015 – 5 S 15.294

Leitsätze:

  1. Zum Nachbarschutz gegen Geruchs- und Lärmimmissionen aus landwirtschaftlichen Betrieben.
  2. Da Betriebe der Landwirtschaft im HInblick auf ihren Standort beschränkt sind und lediglich im Außenbereich, § 35 (1) BauGB, oder in Dorfgebieten, § 5 (1) Satz 2 BauNVO, errichtet werden dürfen, sind dort die mit ihnen einhergehenden Immissionen gerade auch unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots von benachbarten Nutzungen grundsätzlich hinzunehmen.

Tenor

  1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Erweiterung eines landwirtschaftlichen Betriebs. Der Antragsteller ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks….Mit Bescheid vom 9.Februar 2015 erteilte das Landratsamt Augsburg dem Beigeladenen die Baugenehmigung für den Umbau der bestehenden Maschinenhalle zu einem Rinder- und Kälberstall mit Heu- und Strohlager, für den Umbau und die Erweiterung des bestehenden Milchviehstalls sowie für die Errichtung einer mobilen Überdachung für Kälberiglus auf den unmittelbar südöstlich angrenzenden, landwirtschaftlich genutzten Grundstücken…..

Hiergegen hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. Juni 2015 mit folgender Begründung abgelehnt: 

Unabhängig davon, ob das Bauvorhaben im Außenbereich oder im unbeplanten Innenbereich liege, verletze die Baugenehmigung nach summarischer Prüfung nicht das Rücksichtnahmegebot. Es sei nicht zu befürchten, dass von dem Vorhaben unzumutbare Geruchsimmissionen für den Antragsteller ausgingen. Nach einer geruchstechnischen Untersuchung führe die genehmigte Betriebserweiterung zu einer Erhöhung der bisherigen Geruchsbelastung am Anwesen des Antragstellers von 1 % auf nunmehr insgesamt 16 % der Jahresstunden. Das erscheine nach den Auslegungshinweisen der GIRL vertretbar, wonach in begründeten Einzelfällen Zwischenwerte zwischen Dorfgebiet und Außenbereich bis zu 20 % Geruchsstundenhäufigkeiten möglich seien. 

Da das Grundstück des Antragstellers an den Außenbereich grenze, sei sein Schutzanspruch gemindert. Der Eigentümer eines am Rand des Außenbereichs gelegenen Grundstücks müsse mit den Auswirkungen landwirtschaftlicher Tätigkeit und der Neuansiedlung eines landwirtschaftlichen Betriebs jederzeit rechnen. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Geruchsbelästigung sei zudem zu berücksichtigen, dass im bestehenden Jungviehstall die Zahl der Großvieheinheiten zukünftig deutlich reduziert werde. Von dem Bauvorhaben würden auch keine unzumutbaren Lärmbelastungen für den Antragsteller ausgehen. Durch entsprechende Auflagen im Baugenehmigungsbescheid sei hinreichend sichergestellt, dass schädliche Umwelteinwirkungen durch Lärmimmissionen am Anwesen des Antragstellers ausgeschlossen seien. 

Ein vom Antragsteller vorgelegtes schalltechnisches Gutachten könne nicht herangezogen werden, weil die dort zugrunde gelegte TA Lärm auf immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige Anlagen keine Anwendung finde. Zudem habe der Gutachter eine Überschreitung der nächtlichen Immissionswerte nur für den Fall von in der Realität nicht bestehenden Umständen angenommen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller…..(es folgen die Anträge)

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren grundsätzlich beschränkt…, rechtfertigen keine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu Recht abgelehnt.

Die im vereinfachten Verfahren erteilte Baugenehmigung verstößt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegen Vorschriften, die im Verfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO zu prüfen sind und auch dem Schutz der Interessen des Antragstellers als Grundstücksnachbarn dienen. Das gilt auch für die von der Beschwerde allein geltend gemachte Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme und zwar unabhängig davon, ob das Erweiterungsvorhaben im Außenbereich oder im faktischen Dorfgebiet gelegen ist. 

Das drittschützende Rücksichtnahmegebot, das für nach § 35 BauGB zu beurteilende Vorhaben im Hinblick auf schädliche Umwelteinwirkungen als öffentlicher Belang in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB und für nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilende Vorhaben in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthalten ist, ist in beiden Fällen gleichermaßen zu beachten. Es wird zu Lasten des Nachbarn verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird, also unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen überschritten wird, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss (Verweise auf die ständige Rechtsprechung werden weggelassen). 

Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts, § 3 Abs. 1 BImSchG, und auf dessen materiell-rechtliche Maßstäbe zurückzugreifen. Nach diesen Maßstäben wird das Gebot der Rücksichtnahme zu Lasten des Antragstellers voraussichtlich weder durch die von dem landwirtschaftlichen Betrieb des Beigeladenen hervorgerufenen Geruchsbelastungen noch durch unzumutbare Lärmbelastungen verletzt.

  1. Durch das Erweiterungsvorhaben wird die Grenze des für den Antragsteller an Geruchsbelastungen Zumutbaren voraussichtlich nicht überschritten.
  2. Das Verwaltungsgericht hat zur Beurteilung der Zumutbarkeit der von Tierhaltungsbetrieben verursachten Gerüche im Rahmen seiner tatrichterlichen Bewertung zu Recht auf die Regelungen der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) in der Fassung….gestützt. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass diese Richtlinie im Einzelfall als Orientierungshilfe herangezogen werden kann, auch wenn sie in Bayern nicht als Verwaltungsvorschrift eingeführt wurde (Hinweise auf die Rechtsprechung). In Anwendung dieser Richtlinie ist das Verwaltungsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die nach der geruchstechnischen Untersuchung der Sachverständigen…..als Gesamtbelastung ermittelte Geruchsstundenhäufigkeit von bis zu 0,16 der Jahresstunden (=16 %) am Grundstück des Antragstellers zumutbar ist. Das gilt auch dann, wenn man annimmt, dass die Fläche, auf dem sich das Erweiterungsvorhaben des Beigeladenen befindet, nicht dem Außenbereich angehört, sondern dem faktischen Dorfgebiet, in dem auch das Grundstück des Antragstellers liegt. Zwar sind nach Nr. 31 Satz 2 (Tabelle 1) der GIRL die von einem Tierhaltungsbetrieb hervorgerufenen Geruchsimmissionen in der Regel als erhebliche Belästigung zu werten, wenn die Gesamtbelastung den Immissionswert für Dorfgebiete von 0,15 (=15 %) überschreitet. Dieser Wert entspricht im Grundsatz dem sich aus § 5 Abs. 1, Satz 2 BauNVO ergebenden Rücksichtnahmegebot gegenüber land- und forstwirtschaftlichen Betrieben. Damit wäre hier die Zumutbarkeitsgrenze um 1 % der Jahresstunden überschritten. Hierbei handelt es sich aber nicht um einen feststehenden, schematisch anzuwendenden Wert. Soll wie hier eine nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz nicht genehmigungspflichtige landwirtschaftliche Anlage errichtet werden, ist vielmehr eine Einzelfallprüfung erforderlich, die auch eine Zwischenwertbildung zulässt….Für die Höhe des Zwischenwertes ist die konkrete Schutzbedürftigkeit  der von den Gerüchen betroffenen Flächen maßgeblich. Befindet sich ein den Geruchsbelastungen ausgesetztes Wohngebäude im Randgebiet zum Außenbereich, ist ein Zwischenwert zwischen Dorfgebiet und Außenbereich möglich, was zu einem Immissionswert vo bis zu 0,20 führen kann…..Denn der Außenbereich dient dazu nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierte Vorhaben wie landwirtschaftliche Betriebe unterzubringen, so dass Eigentümer von Wohngebäuden im Randgebiet zum Außenbereich jederzeit mit der Ansiedlung solcher Betriebe rechnen müssen und ihr Schutzanspruch deswegen gemindert ist……Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass bei den vorliegenden Umständen der ermittelte Wert von 16 % der

Jahresgeruchsstundenhäufigkeit vom Antragsteller hinzunehmen ist, rechtlich nicht bedenklich. Nichts anderes würde gelten, wenn die Fläche, auf der das Bauvorhaben verwirklicht werden soll, dem Außenbereich zuzuordnen wäre.

Die Ausführungen der Beschwerde geben keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.

Der Einwand, die Wohnbebauung auf seinem Grundstück liege nicht am Rand des Dorfgebiets, sondern innerhalb des als Dorfgebiet einzustufenden Bereichs, greift nicht durch. Zwar ist es richtig, dass sich das Grundstück des Antragstellers nach den in den Behördenakten befindlichen Luftbildern und Lageplänen in dem mit dem Wohnhaus des Antragstellers bebauten, nordöstlichen Teilbereich noch innerhalb des Dorfgebiets befindet. Dennoch grenzt diese Fläche aber unmittelbar an den Außenbereich und liegt damit im Grenzbereich am südwestlichen (Orts-)Rand des Dorfgebiets. Den an der Grenze zwischen dem Innen- und Außenbereich gelegenen “Ortsrand” bilden naturgemäß nicht diejenigen Grundstücke, die bereits im Außenbereich liegen, sondern alle Flächen im Übergang vom Innen- zum Außenbereich. Das sind alle Flächen, die noch im Innenbereich gelegen sind, jedoch unmittelbar an den Außenbereich grenzen. So verhält es sich mit dem Wohngrundstück des Antragstellers. Der Umstand, dass sich im Norden und Westen ebenfalls Wohngrundstücke anschließen, ändert an dieser Randlage ebenso wenig wie die Darstellungen im Flächennutzungsplan.

Auch die Tatsache, dass in der unmittelbaren Umgebung des Grundstücks des Beigeladenen in der Vergangenheit in nicht unerheblichem Umfang Wohnbebauung entstanden und die landwirtschaftliche Nutzung im Ortsteil B auf dem Rückzug ist, wie der Antragsteller angibt, vermag die Zumutbarkeitsschwelle für Gerüche nicht zu vermindern. Denn dadurch ändert sich weder der Charakter des Dorfgebiets, das im Unterschied zum Mischgebiet, § 6 BauNVO, nicht von einem bestimmten prozentualen Mischverhältnis der Hauptfunktionen abhängt (….) noch die Lage des Wohnanwesens des Antragstellers am Rand dieses Dorfgebiets.

Gleiches gilt für den Umstand, dass das Gebäude auf dem Grundstück des Antragstellers seit jeher als Wohngebäude genutzt wird. Auch dies ändert nichts daran, dass das Anwesen des Antragstellers am Rande des Dorfgebiets gelegen und sein Schutzanspruch deswegen geringer zu bewerten ist als bei Wohngrundstücken, die ebenfalls im Dorfgebiet liegen, aber nicht unmittelbar an den Außenbereich grenzen. Die vom Antragsteller hierzu angeführte Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts besagt nichts anderes; auch in dieser Entscheidung wird in Anwendung der GIRL die Auffassung vertreten, dass für Dorfgebiete ein Regel-Orientierungswert von 15 % der Jahresstunden gilt, am Rand des Dorfgebiets zum Außenbereich aber Werte von bis zu 20 % zulässig sein können (….).

Der im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. September 1998 (Az. 27 B 96.1407) aufgestellte Rechtssatz, dass Eigentümer von Wohngrundstücken am Rande des Außenbereichs darauf vertrauen dürfen, dass keine mit der Wohnnutzung unverträgliche Nutzung entsteht und dies allgemein nicht der Fall ist, wenn die Lärmbelästigung nicht über das in einem Misch- oder Dorfgebiet zulässige Maß hinausgeht, lässt ebenfalls keine andere Bewertung zu. Denn abgesehen davon, dass sich diese Entscheidung nicht zur Frage der Zumutbarkeit von Geruchsbelastungen verhält, die von einem im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert zulässigen Vorhaben hervorgerufen werden, sondern zu Lärmbelastungen, die von einer im Außenbereich geplanten KFZ-Werkstatt herrühren, besagt die Entscheidung nicht, dass am Ortsrand keine abweichenden Maßstäbe gelten könnten.

Der Hinweis auf die Begründung und Auslegungshinweise zu Nr. 3.1 der GIRL, wonach beim Übergang vom Außenbereich zur geschlossenen Wohnbebauung lediglich Zwischenwerte bis maximal 15 % der Jahresstunden zulässig seien, vermag der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Denn das Wohngebäude des Antragstellers befindet sich nicht innerhalb geschlossener Wohnbebauung, sondern in einem Dorfgebiet, das nach § 5 (1) Satz 1 BauNVO durch die Unterbringung von Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, von Wohnen und nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie von der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben gekennzeichnet ist……

Der Antragsteller wird durch das genehmigte Vorhaben aller Voraussicht nach auch nicht mit unzumutbaren Geräuschimmissionen belastet.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Zumutbarkeit der von dem Bauvorhaben hervorgerufenen Lärmimmissionen nicht notwendig anhand der Immissionsrichtwerte der TA Lärm zu beurteilen ist. 

Nach Nr. 1 Abs. 2 Buchstabe c TA Lärm sind nicht genehmigungsbedürftige landwirtschaftliche Anlagen wegen der besonderen Privilegierung der Landwirtschaft (…) ausdrücklich vom Anwendungsbereich der TA Lärm ausgenommen. 

Landwirtschaftliche Anlagen im Sinne dieser Bestimmung sind Anlagen, die, wie Lüftungsanlagen für Ställe, Melkmaschinen, Mähdrescher oder Traktoren im Rahmen der Urproduktion (vgl. § 201 BauGB), der Gewinnung landwirtschaftlicher Erzeugnisse oder der Zubereitung, Verarbeitung und Verwertung selbst gewonnener derartiger Erzeugnisse dienen (….). Da Betriebe der Landwirtschaft im Hinblick auf ihren Standort beschränkt sind und lediglich im Außenbereich (§ 35 (1) Nr. 1 BauGB) oder in Dorfgebieten (§ 5 (1), (2) Nr. 1 BauNVO) errichtet werden dürfen, sind dort die mit ihnen einhergehenden Immissionen gerade auch unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots von benachbarten Nutzungen grundsätzlich hinzunehmen. 

Dies kommt etwa in der Formulierung der “vorrangigen Rücksichtnahme” in § 5 (1) Satz 2 BauNVO zum Ausdruck, die sich gerade auch auf den Immissionsschutz bezieht und in erhöhtem Maß die Standortsicherheit der landwirtschaftlichen betriebe gewährleisten soll (….). Die von landwirtschaftlichen Betrieben üblicherweise ausgehenden Emissionen (Tiergeräusche, Maschinenlärm, Geruchsentwicklung) sind gebietstypisch und daher in der Regel nicht als unzulässige Störung der in der Nachbarschaft vorhandenen oder geplanten Wohnnutzung anzusehen (….).

Das schließt zwar nicht aus, die auf Gewerbelärm zugeschnittene TA Lärm (…..) im Einzelfall auch auf von landwirtschaftlichen Betrieben herrührenden Lärm entsprechend anzuwenden, wenn die Geräuschimmissionen ihrer Art nach den gewerblichen Emissionen entsprechen (…..). Zwingend ist es jedoch nicht. Auf die Einhaltung der nach Nr. 6.1 Satz 1 Buchstabe c TA Lärm für Dorfgebiete festgelegten Immissionsrichtwerte von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts kommt es daher nicht maßgeblich an. Eine Festlegung dieser Werte durch entsprechende Auflagen im Baugenehmigungsbescheid war entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht geboten……

Unabhängig davon wird die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung nicht dadurch berührt, dass sich der Bauherr nicht an die Nebenbestimmungen einer (früheren) Baugenehmigung zum Immissionsschutz hält oder das Bauvorhaben sonst abweichend hiervon ausführt (….). 

Entscheidend ist vielmehr allein, ob nach dem Inhalt der streitgegenständlichen Baugenehmigung die Auflagen so festgelegt wurden, dass sie den Antragsteller ausreichend schützen und bei ordnungsgemäßem Betrieb erfüllt werden können (vgl. Rsp.). Dass das hier nicht der Fall wäre, wird von der Beschwerde nicht substanziiert dargelegt. Insbesondere setzt sich diese nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, dass im Baugenehmigungsbescheid ausreichende Vorkehrungen getroffen worden seien, dass vom Betrieb des Beigeladenen keine unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen ausgingen und das bei Beachtung der Nebenbestimmungen…. das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen durch Lärmemissionen am Anwesen des Antragstellers mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Der Vortrag, die Richtwerte der TA Lärm würden aktuell nicht eingehalten, reicht hierzu nicht aus….

Der Hinweis auf die Wertminderung seines Grundstücks, die durch die Erweiterung des Betriebs des Beigeladenen eintreten soll, vermag die Beschwerde ebenfalls nicht zu begründen. 

Wertminderungen, die als Folge der Nutzung einer Baugenehmigung für das Nachbargrundstück entstehen, bilden für sich genommen oder am Maßstab von Art. 14 Absatz 1 Grundgesetz bzw. über das Gebot der Rücksichtnahme hinaus, keinen Maßstab für die Zulässigkeit eines Vorhabens (vgl. Rsp…). Eine Wertminderung hätte allenfalls indizielle Bedeutung für die Intensität eines (mittelbaren) Eingriffs in die Grundstückssituation des Nachbarn. Da der Eingriff hier aber hinzunehmen ist, kommt es darauf nicht an.

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BVerwG Urt. v. 14.12.2017 – 4 C 9.16

— 10.08.2020 —

Der Kläger begehrt eine Baugenehmigung, hilfsweise einen Vorbescheid für eine auf einem Anbau zu einem Mehrfamilienhaus gebaute Dachterrasse und einen darüber errichteten Balkon. Auf dem im Eigentum des Klägers stehenden Vorhabengrundstück befindet sich ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus. Die umliegenden Grundstücke sind mit Wohnhäusern bebaut, ein Bebauungsplan fehlt. 

An das Mehrfamilienhaus ist zum rückwärtigen Garten hin ein eingeschossiger, etwa 15 qm großer Raum angebaut, der 2011 als “Abstellraum” genehmigt wurde. Er verfügt über eine Glastür und ein Fenster zum Garten und kann vom Wohnzimmer aus betreten werden. Auf diesem Anbau errichtete der Kläger die Dachterrasse und darüber einen Balkon in Form eines Altans, deren Genehmigung er anstrebt. 

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts fügt sich das Vorhaben nach der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die maßgebliche Bebauung weise im rückwärtigen Bereich eine faktische Baugrenze auf, die von der Dachterrasse und dem Balkon deutlich überschritten werde. Der als Abstellraum genehmigte Anbau scheide als Vorbild für die überbaubare Grundstücksfläche aus, weil er eine nicht prägende Nebenanlage zum Haupthaus sei. Das Vorhaben sei geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen auszulösen oder zu erhöhen und daher unzulässig.

Der Kläger ist der Auffassung, das Bauvorhaben liege innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen, da der Anbau ein Teil des Hauptgebäudes sei, so das Terrasse und Balkon auf einer bereits überbauten und damit überbaubaren Grundstücksfläche errichtet werden sollten. Er verfolgt sein Begehren mit Erfolg in der Revision weiter.

Das Oberverwaltungsgericht hat seine Prüfung auf den vorhandenen Anbau erstreckt, weil nicht nur die auf den umliegenden Grundstücken, sondern auch die auf dem Baugrundstück selbst vorhandene Bebauung den Maßstab für die weitere Bebauung bildet. Der Anbau kann nicht als Vorbild hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche dienen. Er sei eine Nebenanlage, so dass sich eine rückwärtige Bebauung nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. 

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein Verstoß gegen Bundesrecht vor. Der Anbau ist keine Nebenanlage, sondern Teil der Hauptanlage.

Nebenanlagen können nur Anlagen sein, die nicht Bestandteil des Hauptgebäudes sind. Zur Abgrenzung können funktionelle und räumliche Gesichtspunkte herangezogen werden. Nach räumlichen Gesichtspunkten hat das Oberverwaltungsgericht eine Nebenanlage angenommen, da der Anbau wie ein “Anhängsel” zum Hauptgebäude wirke. Er sei eingeschossig und nicht unterkellert.

Diese Überlegung verfehlt den bundesrechtlichen Maßstab. Die angeführten optischen Kriterien beantworten nicht die Frage nach dem Vorliegen einer Nebenanlage. Für die räumliche Lage von Nebenanlagen sieht das Bauplanungsrecht gewisse Erleichterungen vor, vgl. § 23 (5) BauNVO. Gleiches gilt für die Art der baulichen Nutzung nach § 14 (1) S. 1 BauNVO. Die letztgenannte Vorschrift begünstigt indes nicht alle, sondern nur die untergeordneten Nebenanlagen. Zu den Wesensmerkmalen einer untergeordneten Nebenanlage gehört, dass die Anlage sowohl in ihrer Funktion als auch räumlich-gegenständlich dem primären Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke dienend zu- und untergeordnet ist. Für die räumlich-gegenständliche Unterordnung sind optische Kriterien maßgeblich, welche die Nebenanlage als “Anhängsel” erscheinen lassen.

Das vom Oberverwaltungsgericht herangezogene Kriterium beantwortet aber nicht die Frage, ob eine Anlage keine Nebenanlage ist, weil sie Teil der Hauptanlage ist. Dafür ist in räumlicher Hinsicht maßgeblich, ob das Vorhaben ein eigenständiges Gebäude ist, es in das Hauptgebäude integriert oder mit ihm konstruktiv verbunden ist. Im Regelfall wird eine Nebenanlage baulich selbstständig sein, während ein an ein Wohnhaus angebauter Raum als Erweiterung der Hauptanlage keine Nebenanlage ist.

Zwar sind auch Nebenanlagen denkbar, die an die Hauptanlage angebaut sind. In solchen Fällen muss aber durch die Bauweise, die Gestaltung des Zugangs oder auf andere Weise die auf eine Nebenanlage beschränkte Funktion deutlich hervortreten. Nach diesem Maßstab ist der Anbau in räumlicher Hinsicht Teil der Hauptanlage. Er ist kein eigenständiges Gebäude. Vielmehr entspricht die Bauweise dem Hauptgebäude, der Anbau schließt nahtlos an das Hauptgebäude an, nutzt die bisherige Außenwand als Zimmerwand, ist vom Wohnzimmer aus zugänglich und vergrößert die Erdgeschosswohnung um einen Raum.

Funktionelle Gesichtspunkte führen nicht zu einer anderen Einordnung. In welchem Verhältnis räumliche und funktionelle Gesichtspunkte bei der Abgrenzung zwischen einem Teil einer Hauptanlage und einer Nebenanlage stehen, hat der Senat bisher nicht geklärt……

Die genehmigte Nutzung als Abstellraum kann gegenüber der Wohnnutzung eine Nebenanlage sein, was im vorliegenden Fall nicht den Ausschlag gibt. Denn die Funktion als Nebenanlage findet in der baulichen Gestaltung keinen Ausdruck, der Raum ist vielmehr einem Aufenthaltsraum deutlich angenähert. Zudem kann auch ein Abstellraum je nach gelagerten Gegenständen funktionell der Wohnnutzung zugeordnet sein. Dem entspricht es, dass aus den Genehmigungsunterlagen eine ursprüngliche Planung als “Allzweckraum” hervorgeht.

Das Oberverwaltungsgericht wird danach die von ihm offen gelassene Frage zu beantworten haben, ob es an einem Einfügen nach der Grundfläche, die überbaut werden soll, dennoch fehlt, weil sich die durch den Anbau überbaute Fläche als unbeachtlicher “Ausreißer” gegenüber der Baugrenze erweist oder ob andere rechtliche Gesichtspunkte der Erteilung einer Baugenehmigung oder hilfsweise eines Vorbescheides entgegenstehen.

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BVerwG, Beschluss vom 13. 05. 2014 – 4 B 38.13

— 07.08.2020 —

Leitsätze:

1. Die nähere Umgebung ist für die in § 34 (1) Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen.

2. Die Annahme, hinsichtlich des Merkmals der “Grundstücksfläche, die überbaut werden soll” erfasse die nähere Umgebung i.S.d. § 34 (1) Satz 1 BauGB in der Regel einen kleineren Bereich als hinsichtlich des Merkmals der Art der baulichen Nutzung, entbindet jedenfalls nicht von einer Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall.

Die benachbarten Grundstücke der Klägerin und der Beigeladenen befinden sich in einem Stadtviertel mit einer gründerzeitlichen, in der Regel fünfgeschossigen straßenseitigen Blockrandbebauung. Ein Bebauungsplan besteht nicht. Im November 2009 wurde der Beigeladenen die Baugenehmigung erteilt für einen Seitenflügel nebst Quergebäude, der im rückwärtigen Teil ihres Grundstücks an die bestehende Blockrandbebauung anschließt und an der Grundstücksgrenze zum Grundstück der Klägerin liegt. Das Vorhaben soll über sechs, in ihrer Ausdehnung gestaffelte Geschosse verfügen.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Baugenehmigung aufgehoben, da das Vorhaben die Vorschrift über die Abstandsflächen (§ 6 (1) Satz 1, (2) Satz 1 Bauordnung Berlin) verletze. Die Beigeladene dürfe nicht nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze bauen. Das Vorhaben füge sich entgegen § 34 (1) Satz 1 BauGB nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Maßgeblich als nähere Umgebung sei allein der südliche Teil des Straßengevierts, in dem eine rückwärtige Bebauung mit einem mehrgeschossigen Seitenflügel kein Vorbild finde, sich vielmehr eine grundstücksübergreifende, im räumlichen Zusammenhang stehende, nicht bebaute Grundstücksfläche befinde.

In der so bestimmten näheren Umgebung verlaufe hinter der Blockrandbebauung eine Baugrenze. Das Bauvorhaben der Beigeladenen überschreite diese Baugrenze und löse durch eine nicht auszuschließende Vorbildwirkung bodenrechtliche Spannungen aus.

Die Beigeladene fordert im Kern, auch den nördlichen Teil des Straßengevierts als nähere Umgebung in den Blick zu nehmen. Dort befinden sich auch im rückwärtigen Teil der Grundstücke Seitenflügel.

Maßstabbildend im Sinne des § 34 (1) Satz 1 BauGB ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst.

Dabei ist die nähere Umgebung für die in § 34 (1) Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen. Denn die Merkmale, nach denen sich ein Vorhaben in die Eigenart dieser näheren Umgebung einfügen muss, sind jeweils unabhängig voneinander zu prüfen. So hat der Senat zu § 34 BauGB angenommen, dass bei der Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung eines Grundstücks der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebauung “in der Regel” enger zu begrenzen sein werde als bei der Ermittlung des Gebietscharakters.

Mit dem in § 34 (1) Satz 1 BauGB verwendeten Begriff der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ist die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung gemeint. Es geht also um den Standort im Sinne des § 23 BauNVO. Die Instanzengerichte neigen dazu, hinsichtlich dieses Merkmals einen kleineren Umgriff der näheren Umgebung anzunehmen als bei der Art der baulichen Nutzung; dies gelte “in der Regel”.

Das Oberverwaltungsgericht hat bei der Abgrenzung der näheren Umgebung nicht allein auf die im nördlichen Bereich vorhandene Bebauungstiefe abgestellt, sondern auch darauf verwiesen, dass die Bereiche durch eine relativ hohe fünfgeschossige Bebauung im Blockinnern optisch vollständig voneinander getrennt seien.

Die für die Bestimmung des Bebauungszusammenhangs erforderliche wertende und bewertende Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse kann nach dem Sachzusammenhang, in den sie eingebettet ist, nur an äußerlich erkennbare, also mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse anknüpfen. Das kann auf die Abgrenzung der näheren Umgebung übertragen werden. Zur Ermittlung können auch Lagepläne verwendet werden, die ein Bild “von oben” vermitteln.

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OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.2.2016 – 7 A 19/14

— 06.08.2020 —

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Ordnungsverfügung, mit welcher der Klägerin die Beseitigung eines Wohnhauses mit Nebenanlagen auf dem Grundstück C. Weg 60 in L. aufgegeben worden ist.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks……., welches sie mit notariellem Kaufvertrag vom 12. 7. 2005 erwarb. Errichtet wurde das ursprüngliche Gebäude von Frau J.N. Dem notariellen Kaufvertrag vom 15.2.1950 zwischen J.N. und der Verkäuferin ist u.a. zu entnehmen, dass “die Käuferin auf ihre Kosten ein Wohnhaus errichtet hat”……Das Grundstück ist mit einem Wohnhaus sowie Nebengebäuden, einem Carport und einem Gartenhäuschen bebaut. In den Akten befindet sich keine Baugenehmigung für das streitgegenständliche Grundstück. Dieses lag im Geltungsbereich des im Dezember 1992 von der Gemeinde L. aufgehobenen Bebauungsplans Nr. 20 “Wochenendhausgebiet C1”, aber außerhalb des dort festgesetzten Wochenendhausgebietes. Im Flächennutzungsplan ist das Grundstück als Fläche für Landwirtschaft ausgewiesen. Zurzeit bewohnt die Beigeladene, die Mutter der Klägerin, das streitgegenständliche Gebäude.

Anlässlich eines anderes Grundstücks am C.Weg betreffenden Klageverfahrens erfolgte seitens des Beklagten die Prüfung der Legalität der Bebauung des Grundstücks. Mit Schreiben vom 5.9.2011 hörte der Beklagte die Klägerin zum beabsichtigten Erlass einer Beseitigungsverfügung an. Die Beigeladene trug mit Schreiben vom… daraufhin vor, sie sei die vierte Besitzerin des Hauses. Dieses sei noch vor dem Krieg von einer Familie J.N. gebaut worden. Die Klägerin führte mit Schreiben vom….aus, es handele sich um einen historischen Baukörper, der schon vor 1951 vorhanden gewesen sei. Frau N.. .verheiratet mit Q.N.. der Bankier und jüdischer Abstammung gewesen sei, sei in den vierziger Jahren nach L. geflohen und habe dort Zuflucht genommen. Das Gebäude sei zwischen 1936 und 1944 errichtet worden. Es stehe außer Zweifel, dass die Ehefrau eines prominenten jüdischen Bankiers nicht unter den damaligen Augen der nationalsozialistischen Behörden ein Wohnhaus ohne Genehmigung hätte errichten können. Unterstützt werde diese Einschätzung dadurch, dass bezogen auf das Landgut C1. keine Bauakten mehr verfügbar seien.

Die Beklagte forderte die Klägerin unter Androhung eines Zwangsgeldes mit Schreiben vom … auf, die auf dem Grundstück befindlichen baulichen Anlagen binnen zwölf Monaten nach Bestandskraft der Verfügung vollständig zu beseitigen. 

Zur Begründung führte er unter anderem aus, eine Baugenehmigung sei bisher weder erteilt noch beantragt worden. Die baulichen Anlagen seien auch nicht genehmigungsfähig. Das Grundstück sei dem Außenbereich zuzuordnen. Es liege in einem ausgewiesenen Landschaftsschutzgebiet. Die Gebäude beeinträchtigen die natürliche Eigenart der Landschaft und ließen die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten. Das öffentliche Interesse an der Beseitigung sei höher zu bewerten, als das private Interesse der Klägerin am Bestand der Gebäude. Würde er die baurechtswidrige Bebauung dulden, würde dies eine Missachtung der im Flächennutzungsplan zum Ausdruck gekommenen Planvorstellungen der Gemeinde darstellen und zu einem Eingriff in deren Planungshoheit führen. Außerdem könne er dann gegen gleichartige Nutzungswünsche im Nachbarbereich nicht mehr einschreiten.

Zweck des Baugesetzbuches und der Landesbauordnungen sei es u.a., dass sich die Errichtung und Nutzung baulicher Anlagen im Rahmen der bestehenden planungsrechtlichen Grundlagen und unter Beachtung der allgemeinen bauordnungsrechtlichen Vorschriften vollziehe. Er würde diese Absicht missachten, wenn er die Errichtung und die Benutzung solcher illegalen Anlagen zulassen und dulden würde. Es könne auch nicht angehen, dass die Klägerin einen Vorteil gegenüber dem gesetzestreuen Bürger erlange. Es liege kein Nachweis dafür vor, dass das Gebäude jemals baurechtlich genehmigt worden sei.

Die Klägerin hat am 10.9.2012 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen: Das Gebäude sei baurechtlich genehmigt. Das streitgegenständliche Grundstück sei ursprünglich Bestandteil des umfangreichen Grundbesitzes der Frau….gewesen. Das Problem des Falles liege darin, dass die Hauptakten des Grundbesitzes nicht mehr vorhanden seien. in diesen Bauakten seien die Baugenehmigungen für sämtliche Bebauungen enthalten. Dies ergebe sich aus der Tatsache, dass auch weitere Genehmigungen fehlten.

Nachdem der Beklagte …die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Zwangsgeldandrohung aufgehoben hat…., hat die Klägerin beantragt, die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 20.8.2012 aufzuheben. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er vorgetragen: Die Recherchen hätten ergeben, dass weder in seinem Archiv noch im Archiv der Gemeinde L. eine Baugenehmigung für das streitgegenständliche Grundstück vorhanden sei. Es handele sich hier um eine typische Splittersiedlung. Die bauliche Anlage sei nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt und verstoße fortdauernd gegen materielles Baurecht. Aufgrund der Außenbereichslage und der Landschaftsschutzgebietsausweisung sei es auch nicht genehmigungsfähig. Im Bauamt existierten keine das streitbefangene Grundstück betreffenden Altakten.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22.11.2013 abgewiesen und das Verfahren eingestellt, soweit …..Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klage sei unbegründet. Die streitgegenständlichen baulichen Anlagen seien formell und materiell illegal. Der Nachweis der Baugenehmigung sei von der Klägerin zu erbringen. Es handele sich auch um keinen Einzelfall. Es sei gerichtsbekannt, dass in den späten dreißiger Jahren, während der Kriegszeit und danach im Zuständigkeitsbereich der Kammer zahlreiche “Schwarzbauten” errichtet worden seien. Insbesondere in den letzten Kriegsjahren seien die ursprünglich zum Teil als Wochenendhäuser errichteten Gebäude zum Dauerwohnsitz umfunktioniert worden. Die von der Klägerin geschilderte Geschichte des Hauses unterscheide nicht in nichts von der Geschichte der zahlreichen dem Gericht bekannten vergleichbaren Vorhaben. 

Es sei daher nicht geboten, von der zulässigen Errichtung des Hauses auszugehen, von der Forderung einer Baugenehmigung abzusehen und unter Berücksichtigung der Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins von einem formell legalen Baubestand auszugehen. Auch die Spekulation der Klägerin…..entbehre jeder tatsächlichen Grundlage…..Der Beklagte habe sein Ermessen erkannt und ohne Ermessensfehler ausgeübt. Das Ermessen sei hier im Sinne des Erlasses einer Beseitigungsanordnung intendiert. 

Entgegen der Darstellung der Klägerin liegen keine atypischen Umstände oder Besonderheiten des Einzelfalls vor. Es liege auch kein Fall einer aktiven Duldung vor. Der Beklagte sei nach Bekanntwerden des Sachverhalts umgehend bauordnungsrechtlich tätig geworden und habe auch kein Vertrauen der Klägerin begründet, er werde gegen das Vorhaben nicht bauordnungsrechtlich einschreiten.

Die Klägerin trägt zur Begründung der zugelassenen Berufung vor: 

Über die gefestigte Rechtsprechung zur Beweislastverteilung bei nicht auffindbarer Baugenehmigung oder zum Bestandsschutz müsse zumindest diskutiert werden. Auch der “vermutete” Bestandsschutz sei Bestandteil der Eigentumsgarantie. 

Die Besonderheit dieses Falls liege darin, dass bis zum ersten behördlichen Einschreiten im Jahr 2011 das streitgegenständliche Gebäude rund 70 Jahre lang beanstandungsfrei zu Wohn- und nicht nur zu Wochenendzwecken genutzt worden sei. Daher liege die Beweislast für die fehlende Rechtmäßigkeit der Gebäude beim Beklagten. Im Übrigen sei die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts fehlerhaft. 

Es sei nicht vorstellbar, dass die Ehefrau eines ermordeten jüdischen Bankiers ein Grundstück bebauen könne und ohne polizeiliche Anmeldung dort lebe, ohne dass die Behörden damit einverstanden gewesen wären. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die damaligen Behörden und Entscheidungsträger den Bau genehmigt hätten. auch für das Landgut C1. fehlten Baugenehmigungen. Dies könne nur bedeuten, dass es entweder niemals entsprechende Genehmigungen gegeben habe, oder diese wieder verschwunden seien. 

Der Beklagte habe nicht geprüft, ob er mit seiner Beseitigungsverfügung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls eine unangemessene Belastung herbeiführe. Die planlose Vorgehensweise des Beklagten führe zudem zu einem Ermessensfehler. Es gebe im Gebiet des Beklagten zahlreiche bekannte Schwarzbauten, die aber nicht verfolgt würden. Es werde bestritten, dass das Archiv des Beklagten hinsichtlich der Jahrgänge 1930 – 1950 lückenlos sei. ….

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Köln vom 22.11.2013 die Ordnungsverfügung des Beklagten vom….aufzuheben. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. 

Zur Begründung verweist er auf seinen bisherigen Vortrag und führt zudem aus, das streitgegenständliche Gebäude verstoße auch gegen § 6 Bauordnung NRW. Der Grenzabstand zum Flurstück 29 betrage unter 3 m. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin verfüge seine Bauverwaltung über ein vollständiges Archiv. die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden. Die Behauptung, es gäbe zahlreiche bekannte Schwarzbauten, die nicht verfolgt würden, sei unwahr. Sofern die Bauaufsichtsbehörde Kenntnis von nicht genehmigten Gebäuden erlange, gehe sie diesem Verdacht nach und werde gegebenenfalls tätig. Insgesamt habe er eine konkrete Vorgehensweise entwickelt, die er seit Jahren anwende.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an. Sie bezieht sich auf das klägerische Vorbringen und führt weiter aus: Auch wenn der Bebauungsplan Nr. 20 wieder aufgehoben worden sei, sei jedenfalls das Grundstück ab Rechtskraft des Bebauungsplans als Wochenendhaus materiell genehmigungsfähig gewesen. Die damalige materielle Legalität als Wochenendhaus vermittle Bestandskraft für die Zukunft. Die angefochtene Beseitigungsverfügung sei damit rechtsfehlerhaft. Der Beklagte gehe in den Ermessenserwägungen nicht darauf ein. Die Ermessensfehlerhaftigkeit der angefochtenen Verfügung ergebe sich auch aus einem Verstoß des Beklagten gegen Art 3 GG i.V.m. der Selbstbindung der Verwaltung. In gleich gelagerten Fällen hätte der Beklagte für die Nachbargrundstücke Baugenehmigungen für die Nutzung als Freizeitheim, Wochenendhaus bzw. Wohnhaus erteilt. ….

 

Gründe

Die Berufung hat Erfolg. 

Die zulässige Klage ist begründet. Die streitgegenständliche Ordnungsverfügung des Beklagten vom 20.8.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Zwar geht auch der Senat davon aus, dass das Gebäude der Klägerin formell und materiell illegal ist. Der Umstand, dass keine Baugenehmigung auffindbar ist, geht zu Lasten der Klägerin. Anhaltspunkte für einen materiellen Bestandsschutz hat der Senat ebenfalls nicht feststellen können. Dies gilt auch im Hinblick auf den früheren Bebauungsplan Nr 20 der Gemeinde L. Das Grundstück der Klägerin liegt nicht im Bereich des seinerzeit ausgewiesenen Wochenendhausgebiets und das Wohnhaus wurde nach dem Vortrag der Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt als Wochenendhaus genutzt. Einem materiellen Bestandsschutz steht schließlich auch der zu geringe Grenzabstand des Gebäudes entgegen.

Der Beklagte hat aber das nach § 61 Abs.1, Satz 2 BauO NRW eingeräumte Ermessen fehlerhaft i.S.d. § 114 Satz 1 VwGO ausgeübt.

Nach § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW haben die Bauaufsichtsbehörden in Wahrnehmung der Aufgaben nach § 61 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen…..

Vorliegend hat der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen erkannt, es aber nicht in dem erforderlichen Umfang ausgeübt. Die Ermessensentscheidung, eine Beseitigungs- oder Rückbauverfügung zu erlassen, kann die Bauaufsichtsbehörde im Regelfall ordnungsgemäß damit begründen, dass die zu beseitigende Anlage formell und materiell illegal ist und dass ein öffentliches Interesse daran besteht, keinen Präzedenzfall- oder Berufungsfall zu schaffen…Eine weitergehende Abwägung des “Für und Wider” einer Beseitigungsanordnung ist nur dann geboten, wenn konkrete Anhaltspunkte ausnahmsweise für die Angemessenheit einer vorübergehenden oder dauerhaften Duldung eines rechtswidrigen oder ordnungswidrigen Zustands sprechen…

Letzteres ist hier mit Blick auf den Umstand der Fall, dass das streitige Gebäude auch nach Einschätzung des Beklagten bereits zwischen 1936 und 1944 errichtet und seitdem – soweit ersichtlich – durchweg als Wohnhaus genutzt worden ist. Die Bauaufsichtsbehörden sind – anders als der Beklagte offenbar angenommen hat – keineswegs ausnahmslos verpflichtet, die Beseitigung von formell und materiell illegalen baulichen Anlagen ungeachtet der Frage zu betreiben, wann und unter welchen Umständen diese Anlagen errichtet und wie lange sie beanstandungsfrei genutzt worden sind. Es ist in der Rechtsprechung vielmehr anerkannt, dass die Bauaufsichtsbehörden bei der Bekämpfung von Schwarzbauten im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung so genannte “Stichtagsregelungen” zugrundelegen dürfen. Bei der Ermessensausübung ist den zu beachtenden Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG auch dann genügt, wenn die Behörde nur gegen Schwarzbauten vorgeht, die nach einem bestimmten Zeitpunkt errichtet oder verändert worden sind, um so die Verschlechterung einer vorgefundenen Situation zu verhindern. Nach Art. 3 Abs. 1 GG ist die Festlegung eines Zeitpunkts als Stichtag für das zukünftige Einschreiten jedenfalls dann zulässig, wenn er nach sachlichen Kriterien bestimmt ist…..

Die Frage, ob das Vorgehen durch eine solche Regelung begrenzt werden soll, stellt sich der Bauaufsichtsbehörde nach Überzeugung des Senats mit besonderem Gewicht im Hinblick auf solche Schwarzbauten, die vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges errichtet worden sind. Denn für solche baulichen Anlagen ist in der heutigen Zeit nicht nur in Rechnung zu stellen, dass sie inzwischen seit vielen Jahrzehnten existieren und die Bauaufsichtsbehörde in diesem langen Zeitraum nicht eingeschritten ist. Es ist auch zu berücksichtigen, dass vielfach Aktenbestände – sei es bei den Behörden, sei es in der Hand der hinsichtlich einer Baugenehmigung beweisbelasteten privaten Eigentümer oder ihrer Rechtsvorgänger – durch die Kriegsverhältnisse unvollständig geworden oder ganz verloren gegangen sind und es die bis heute verstrichene Zeit es regelmäßig ausschließt, sich durch die Vernehmung von Zeugen Gewissheit über die Umstände der Errichtung eines Gebäudes zu verschaffen. Diese Gesichtspunkte muss die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung prüfen und in ihre Entscheidung mit angemessenem Gewicht einstellen.

Diesen Anforderungen genügt die streitige Beseitigungsanordnung nicht. Der Beklagte hat sich in der Begründung des angefochtenen Bescheids nicht mit der Entscheidungsoption “Stichtagsregelung” auseinandergesetzt, obgleich dies bei den gegebenen Umständen geboten gewesen wäre. Das Wohnhaus der Klägerin ist – wie dargetan – auch nach den Erkenntnissen des Beklagten vor dem Ende des zweiten Weltkrieges errichtet worden und es wird nach den übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten und der Aktenlage seit über 70 Jahren als Wohngebäude zu Dauerwohnzwecken genutzt. Die Frage der Legalität des Gebäudebestandes wurde erstmalig im Jahr 2011 von dem Beklagten aufgeworfen. In dem angefochtenen Bescheid führte der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensbetätigung lediglich aus, eine Duldung des baurechtswidrigen Zustandes stelle eine Missachtung der im Flächennutzungsplan zum Ausdruck gekommenen Planungsvorstellungen der Gemeinde und dadurch einen Eingriff in deren Planungshoheit dar. Außerdem könne er in gleichgelagerten Fällen nach Art. 3 GG nicht mehr einschreiten; es widerspreche dem Zweck der Landesbauordnung, die Errichtung und Benutzung solcher illegalen baulichen Anlagen zuzulassen oder zu dulden. Diesen Erwägungen ist zu entnehmen, dass der Beklagte die Möglichkeit des Nichteinschreitens aufgrund einer “Stichtagsregelung” nicht erwogen hat. Der zuständige Mitarbeiter des Beklagten hat dementsprechend auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich eingeräumt, dass die Möglichkeit einer solchen Regelung nicht bedacht worden sei.

Der Beklagte hat seine Ermessenserwägungen auch nicht im Sinne des § 114 Satz 2 VwGO nachträglich ergänzt. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Dies ist in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich auch noch im Berufungsverfahren möglich….

Ein derartiger ergänzender Vortrag ist nicht erfolgt. Ein Nachschieben der vom Senat vermissten Ermessenserwägungen wäre im Übrigen nach § 114 Satz VwGO unzulässig gewesen, weil es sich dabei nicht lediglich um eine Ergänzung der angestellten Ermessenserwägungen, sondern um wesentlich neue Erwägungen gehandelt hätte. 

Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat darauf hin, dass aus den vorstehenden Überlegungen, die die Anforderungen an die Ermessensbetätigung betreffen, nicht folgt, dass der Erlass einer rechtmäßigen Beseitigungsanordnung vorliegend ausgeschlossen ist. Ferner sei darauf hingewiesen, dass eine “Stichtagsregelung” im vorgenannten Sinne nicht zur Folge hat, dass das Einschreiten gegen vor dem gewählten Stichtag errichtete “Schwarzbauten” stets ausgeschlossen ist; auch eine solche “Ermessensrichtschnur” ist Ausnahmen zugänglich, die allerdings – gemessen am Gleichheitssatz – hinreichend sachlich begründet sein müssen, etwa im Hinblick auf eine qualifizierte Beeinträchtigung öffentlicher Belange.

Weitere Informationen zum Urteil auf dejure.org

 

 

 

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Bauvorhaben im Außenbereich, § 35 BauGB

— 05.08.2020 —

Die im Außenbereich, vorbehaltlich entgegenstehender öffentlicher Belange, zulässigen Vorhaben hat der Gesetzgeber in Absatz 1 der Vorschrift abschließend geregelt. Für sonstige Vorhaben im Außenbereich ist ein grundsätzliches Bauverbot mit Ausnahmevorbehalt festgelegt, das für bestimmte Änderungen, Nutzungsänderungen, Erweiterungen oder Neuerrichtungen gelockert ist,§ 35 (4) BauGB.

Grundsätzlich gilt, dass der Außenbereich von baulichen Anlagen freizuhalten ist, soweit diese nicht ihrem Wesen nach in den Außenbereich gehören. § 35 (6) BauGB ermöglicht es, in bestimmten Fällen, durch gesonderte Außenbereichssatzungen Bauvorhaben im Außenbereich zu verwirklichen.

Zum Außenbereich gehören diejenigen Gebiete, die weder innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines vorhabenbezogenen oder qualifizierten Bebauungsplans, noch innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegen. Das Vorliegen eines einfachen Bebauungsplans im Sinne von § 30 (3) BauGB hindert die Zuordnung zum Außenbereich nicht.

Es verbietet sich, die Begriffsbestimmung mit Vorstellungen zu verbinden, die dem Außenbereich ganz bestimmte Vorstellungsbilder zuordnen, etwa die der “freien Natur”, der “Stadtferne” oder der “Einsamkeit”. Dass diese Flächen in einem naturalistisch-geografischen Sinne “außen” liegen, wird mit dem Begriff des Außenbereichs nicht festgelegt, vgl. Mitschang/Reidt, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 35, Rn. 2.

 

Die privilegierten Vorhaben, § 35 (1) BauGB

Die in Absatz 1 genannten Vorhaben sind im Außenbereich bevorzugt zulässig. Der Gesetzgeber hat “sozusagen generell geplant”, indem er die genannten Vorhaben dem Außenbereich zuordnete und damit den Gemeinden die eventuell erforderliche Planung abgenommen hat. Der einschränkende Unterschied zu einem beplanten Gebiet ist, dass mit 

  • 35 (1) BauGB keine Entscheidung über den konkreten Standort der privilegierten Vorhaben getroffen wurde. Daher gilt auch für diese Vorhaben das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs. Dieses wird dadurch konkretisiert, dass einem privilegierten Vorhaben keine öffentlichen Belange entgegenstehen dürfen. 

Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit privilegierter Vorhaben steht der Genehmigungsbehörde kein Ermessen zu. Es besteht ein Rechtsanspruch auf die Zulassung des Vorhabens, sofern öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und das Vorhaben den Festsetzungen eines etwaigen einfachen Bebauungsplans nicht widerspricht. 

In § 35 (3) BauGB sind Beispiele für öffentliche Belange aufgeführt. Die öffentlichen Belange dürfen dem privilegierten Vorhaben nicht entgegenstehen, bei den sonstigen Vorhaben, § 35 (2) BauGB, dürfen öffentliche Belange gar nicht erst beeinträchtigt werden.

Bei der Abwägung, die zwischen den privaten Interessen des Bauwilligen und den öffentlichen Belangen vorzunehmen ist, muss der Privilegierung der Vorhaben entsprechendes Gewicht beigemessen werden.

Die Erschließung ist gesichert, wenn damit gerechnet werden kann, dass sie bis zur Herstellung des Bauwerks, spätestens bis zur Gebrauchsnahme funktionsfähig angelegt ist und wenn damit zu rechnen ist, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen wird. Die Anforderungen an die ausreichende Erschließung richten sich nach den jeweiligen Gegebenheiten, also nach den Auswirkungen und Bedürfnissen des jeweiligen Vorhabens. Im Außenbereich sind die Anforderungen tendenziell niedriger. Das Gesetz stellt hier auf Mindestanforderungen zur Befriedigung des durch das Einzelvorhaben ausgelöste Erschließungsbedürfnisses ab. Zu den Mindestanforderungen gehört neben der wegemäßigen Anbindung insbesondere eine Abwasserbeseitigung, die im Einklang mit den wasserrechtlichen Vorschriften steht. Die Trink-, Lösch- und Betriebswasserversorgung muss gesichert sein, vgl. Mitschang/Reidt, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 35 Rn. 7 f.

Die Privilegierung des § 35 (1) Nr. 1 BauGB bezieht sich auf Vorhaben, die einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dienen und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnehmen. § 201 BauGB definiert den Begriff der Landwirtschaft.

Ein landwirtschaftlicher Betrieb liegt vor, wenn er auf die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte nicht unerheblichen Ausmaßes gerichtet ist. Werden landwirtschaftliche Produkte lediglich verarbeitet, müssen sie sich zumindest überwiegend auf die Bodenerträge des jeweiligen Betriebs beziehen. Nicht ausschlaggebend ist, ob der Betrieb haupt- oder nebenberuflich bewirtschaftet wird. 

Es muss eine bestimmte Organisation des Betriebes vorliegen, es muss sich auch um ein auf Dauer gedachtes und lebensfähiges Unternehmen handeln. Das Unternehmen muss auch auf eine lange, im Regelfall für mehrere Generationen bemessene Dauer angelegt sein. Lebensfähigkeit und Nachhaltigkeit setzen dabei ein Mindestmaß an Umfang der landwirtschaftlichen Betätigung voraus. Das gilt auch für Betriebe, die auf Pachtflächen angewiesen sind. Der Betrieb muss auf Ertragserzielung und Gewinnerzielungsabsicht ausgerichtet sein. Eine bloße Freizeitbeschäftigung oder Liebhaberei erfüllt diese Voraussetzung nicht. 

Die land- oder forstwirtschaftliche Tätigkeit muss ernsthaft betrieben werden. Diese Anforderungen sollen vor allem sicherstellen, dass die Privilegierung baulicher Vorhaben zugunsten der Land- oder Forstwirtschaft auf Betriebe begrenzt bleibt, die wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung im Außenbereich ausgeführt werden sollen. Hierdurch soll auch einem Missbrauch entgegengewirkt werden, insbesondere in Fällen einer “nur zum Schein” geplanten landwirtschaftlichen Tätigkeit, die eine andere tatsächliche Nutzungsabsicht – etwa die Errichtung eines Wohngebäudes im Außenbereich – verschleiern soll, vgl. Mitschang/Reidt, § 35, Rn. 13 ff.

Wird einem landwirtschaftlichen Betrieb ein nicht landwirtschaftlicher Betriebsteil angegliedert, ist für die Teilnahme an der Privilegierung nicht allein die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der betrieblichen Erweiterung maßgebend. Innerhalb einer angemessenen Bandbreite hindert das Gesetz den Eigentümer nicht, zu bauplanungsrechtlich hinzunehmenden Umstrukturierungen zu gelangen und neue Betriebsweisen zu entwickeln. Die für sich betrachtet nichtlandwirtschaftlichen Nutzungen werden dann von der Privilegierung “mitgezogen”. Sie müssen aber erkennbar dem landwirtschaftlichen Betrieb zu- und untergeordnet sein und gegenüber diesem bodenrechtliche Nebensache bleiben, vgl. BVerwG Urt. v. 19.4.1985 – 4 C 54/82.

Mitgezogen werden können im Einzelfall auch Dienstleistungen und sonstige Nutzungen. Eine gängige Form der mitgezogenen Nutzung ist auch die Vermietung von Ferienzimmern oder Ferienwohnungen. Die mögliche Zahl der Ferienzimmer oder -wohnungen ist als solche nicht begrenzt, ergibt sich aber aus dem Verhältnis des landwirtschaftlichen Betriebs als Hauptsache zu den mitgezogenen Nutzungen.

Das Vorhaben muss dem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dienen. Bei der Auslegung des Begriffs ist auf den Grundgedanken abzustellen, dass im Außenbereich grundsätzlich nicht gebaut werden soll. Die Zulässigkeit eines Vorhabens hängt daher nicht allein von der Behauptung des Bauherrn ab, die Benutzung des Vorhabens erleichtere oder fördere die Bewirtschaftung des land- oder forstwirtschaftlichen Besitzes. 

Es bedarf der Feststellung im Einzelfall, inwieweit die Angaben des Bauherrn über die beabsichtigte künftige Verwendung des Vorhabens mit den konkreten tatsächlichen Verhältnissen im Einklang stehen. Es kommt daher nicht auf die Beurteilung der Zweckmäßigkeit an, sondern auf die tatsächliche Bodenbewirtschaftung des konkreten Betriebes sowie darauf, in welchem Zusammenhang das Vorhaben mit ihr stehen würde, vgl. Mitschang/Reidt, Komm.BauGB, 13. Auflage, § 35, Rn. 19.

Die Zulässigkeit eines Vorhabens setzt nicht voraus, dass es für den landwirtschaftlichen Betrieb schlechthin unentbehrlich ist, so dass die Aufrechterhaltung des Betriebes mit dem Vorhaben “steht und fällt”. Daher kann auch ein Vorhaben zulässig sein, dass zwar unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht zwingend für den Betrieb erforderlich ist, “aber nach der individuellen Betriebsweise tatsächlich dem Betrieb gewidmet und durch diese Widmung auch gekennzeichnet ist”, BVerwG Urt. v. 13.1.1967 – IV C 47/65. Es kommt also auf die Verkehrsauffassung an, ob ein Vorhaben einem Betrieb dient. Es ist darauf abzustellen, ob ein vernünftiger Landwirt unter Berücksichtigung des Gebots größtmöglicher Schonung des Außenbereichs dieses Vorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde und das Vorhaben durch die Zuordnung zu dem konkreten Betrieb auch äußerlich erkennbar geprägt wird, vgl. VG München Urt. v. 13.1.2011 – 2 B 10/269.

Bei Betriebsgebäuden wie Ställen oder Scheunen oder auch bei den Wohngebäuden des Landwirts ist dies bei angemessener Größe in der Regel zu bejahen, aber auch bei einem in unmittelbarer Nähe der Wirtschafts- und Wohngebäude eines landwirtschaftlichen Betriebs errichteten Bauwerk, dass dem Bauern und seinen Angehörigen während ihrer freien Zeit zur Verfügung stehen soll.

Dagegen sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt bei einem Freizeitgebäude außerhalb der Hofstelle, z. B. einer Fischerhütte. An der Voraussetzung, einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb zu dienen, kann es auch fehlen, wenn das Vorhaben nach seiner Beschaffenheit, Gestaltung oder Ausstattung nicht durch diesen Verwendungszweck hinreichend geprägt wird.

Zur dienenden Funktion eines Vorhabens gehört auch dessen räumliche Zuordnung zu den landwirtschaftlichen Betriebsflächen. Das Gesetz lässt Bauvorhaben, die einem landwirtschaftlichen Betrieb dienen, nicht deshalb bevorzugt im Außenbereich zu, weil es die Landwirte als Personengruppe begünstigen will, sondern weil Landwirtschaft Bodenertragsnutzung auf Außenbereichsflächen ist und damit die möglichst nahe räumliche Zuordnung der Hofstelle zu den Betriebsflächen der landwirtschaftlichen Betriebsweise in besonderer Weise dienlich ist. An der dienenden Funktion fehlt es daher bei Vorhaben, deren Standort nicht durch die betrieblichen Erfordernisse bestimmt wird, sondern bei denen erkennbar der Wunsch im Vordergrund steht, ein Gebäude in landschaftlich reizvoller Lage zu errichten, VGH Mannheim, Urt. v. 26.10.1984 – 5 S 246/84.

Das Erfordernis einer prägenden Zuordnung der baulichen Anlagen zum landwirtschaftlichen Betrieb setzt jedoch nicht voraus, dass die Gebäude stets inmitten oder in unmittelbarer Nähe der Betriebsflächen liegen. Dies würde den Erfordernissen landwirtschaftlicher Betriebe mit verstreuten Betriebsflächen, z.B. Winzerbetrieb, nicht gerecht. Die Entfernung der Betriebsgebäude zu den Betriebsflächen muss noch angemessen sein.

Die Privilegierung des § 35 (1) Nr. 1 BauGB ist weiterhin dadurch eingeschränkt, dass ein Vorhaben nur zulässig ist, wenn es einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt. Die von dem Vorhaben in Anspruch genommene Fläche darf im Verhältnis zur unmittelbar der Bodennutzung dienenden Fläche nur geringfügig ins Gewicht fallen. Die Betriebsfläche muss also in wirtschaftlicher Hinsicht gegenüber dem Vorhaben eindeutig den Schwerpunkt bilden. Es ist immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen, vgl. Mitschang/Reidt, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 35, Rn. 22.

  • 35 (2) BauGB  Zulässigkeit sonstiger Vorhaben 

Sie können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.

Der maßgebliche Unterschied bei der Beurteilung sonstiger Vorhaben gegenüber der Zulässigkeit privilegierter Vorhaben ist, dass die sonstigen Vorhaben nur zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt.

Die unterschiedliche Bewertung der öffentlichen Belange erfolgt deshalb, weil der Gesetzgeber hinsichtlich der privilegierten Vorhaben für den Außenbereich bereits “generell geplant” hat. Die bloße Beeinträchtigung öffentlicher Belange macht ein privilegiertes Vorhaben daher anders als ein sonstiges Vorhaben nach § 35 (2) BauGB nicht schon unzulässig; Die Privilegierung führt also zu einem stärkeren Durchsetzungsvermögen gegenüber öffentlichen Belangen.

Bei nicht privilegierten Wohnbauvorhaben reichen die für landwirtschaftliche Betriebe zumeist geringeren Anforderungen an die gesicherte Erschließung nicht. Es ist eine Erschließung zu verlangen, die in der Befahrbarkeit der im Innenbereich erforderlichen und üblichen Erschließung entspricht, BVerwG Urt. v. 31.10.1990 – 4 C 45/88.

Das Erschließungsangebot eines Bauwilligen ist in den Fällen der sonstigen Vorhaben anders zu beurteilen als bei den privilegierten Vorhaben. Die Gemeinde ist, selbst wenn ihr keine finanziellen Lasten aus der von einem Bauwilligen übernommenen Herstellung der Erschließungsanlagen entstehen würden und wenn die Herstellung der Erschließungsanlagen keine öffentlichen Belange im Sinne des § 35 (3) BauGB beeinträchtigen würde, nicht zur Annahme eines Erschließungsangebotes verpflichtet. Denn auch die Erschließung ist ein Instrument in der Hand der Gemeinde, die eine geordnete städtebauliche Entwicklung gewährleisten soll, insbesondere durch eine Lenkung der städtebaulichen Entwicklung und auch Verhinderung einer unerwünschten Zersiedlung, BVerwG Urt. v. 7.2.1986 – 4 C 30/84.

Werden durch die Ausführung oder Nutzung eines Vorhabens öffentliche Belange nicht beeinträchtigt, besteht auf die Zulassung des Vorhabens ein Rechtsanspruch. Der Behörde steht kein Ermessensspielraum zu (trotz des Wortlauts “können”), weil andernfalls die Behörde den Inhalt des Eigentums bestimmen würde. Diese Inhaltsbestimmung ist jedoch  nach Art. 14 (1) S. 2 Grundgesetz dem Gesetzgeber vorbehalten, vgl. Mitschang/Reidt, Komm. BauGB, 13. Auflage, § 35, Rn 66.

 

 

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Vorhaben im Innenbereich

— 07.07.2020 —

§ 34 BauGB greift nicht nur, wenn kein B-Plan besteht. Auch ein unwirksamer B-Plan führt zur Anwendung des § 34 BauGB. Steht ein B-Plan dem Bauvorhaben entgegen, wäre dieses aber nach § 34 zulässig, kann der Bauherr die Unwirksamkeit des B-Plans einwenden.

Nach § 34 (1) S.1 BauGB gilt, dass ein Vorhaben zulässig ist, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. 

Ob das Vorhaben der Art nach zulässig ist, richtet sich gem. § 34 (2) allein nach den §§ 2 ff. 

BauNVO, sofern die Eigenart der näheren Umgebung einem der in der BauNVO genannten Baugebiete entspricht. Die übrigen Elemente müssen sich gem. § 34 (1) BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen.

§34 (1) BauGB ist nur auf Grundstücke anwendbar, die innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile, sog. Innenbereich, liegen. Alle anderen unbeplanten Grundstücke liegen im Außenbereich. Die Gemeinde kann durch Satzung nach § 34 (4) BauGB die Grenzen des Innenbereichs verbindlich festlegen, sog. Innenbereichssatzung.

 “Im Zusammenhang bebaut” und “Ortsteil” sind zwei Tatbestandsmerkmale, die kumulativ erfüllt sein müssen.

In der Praxis ist die Feststellung, ob ein Grundstück noch im Innen- oder bereits im Außenbereich liegt, häufig schwierig. Wo genau im Einzelfall die Grenzlinie verläuft, ist oft eine Wertungsfrage, die unterschiedlich beantwortet werden kann. Meist sind Ortstermine nötig.

“Im Zusammenhang bebaut”: Jede tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung, die den Eindruck der Geschlossenheit = Zusammengehörigkeit vermittelt (BVerwG, BRS 79 Nr. 113).

Abzustellen ist auf die äußerlich wahrnehmbaren Verhältnisse, Darstellungen im Flächennutzungsplan oder künftig geplante Vorhaben sind dabei unerheblich, BVerwG Urt. v. 12.12.1990 – 4 C 40/87.

Für die Entscheidung, wo im Einzelfall die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, sind auch topografische Verhältnisse wie Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte und Waldränder bedeutsam. Der Bebauungszusammenhang endet in der Regel mit der letzten an eine größere Freifläche angrenzenden Bebauung.

Davon abgegrenzt werden muss die bloße Unterbrechung des Bebauungszusammenhangs z.B. durch eine Straße. Entscheidend ist, ob die aufeinanderfolgende Bebauung den Eindruck der Geschlossenheit vermittelt, BverwG Urt. v. 28.10.1993 – 4 C 5/93. Auch der von einer Straße ausgehende Verkehrslärm kann für sich allein einen optisch wahrnehmbaren Bebauungszusammenhang nicht aufheben. Besteht jedoch nur an einer Straßenseite ein Bebauungszusammenhang, liegen die Grundstücke auf der anderen Seite, sofern nicht andere Umstände hinzukommen, im Außenbereich.

Die sog. Regelvermutung für eine trennende Wirkung einseitig bebauter Straßen zwischen Innen- und Außenbereich macht die Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten nicht überflüssig, vgl. OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 10.12.2014 – 10N1.13.

Auf die Grundstücksgrenzen kommt es für die Lage in einem Bebauungszusammenhang  nicht entscheidend an, insbesondere wird durch die Teilung eines Grundstücks die Bebaubarkeit i.S.d. § 34 BauGB weder begründet noch beeinträchtigt. In den Bebauungszusammenhang kann daher z.B. auch nur ein Teil eines Grundstücks einbezogen sein, BVerwG Beschl.v. 8.10.2015 –  4 B 28.15.

Abgrenzungsschwierigkeiten treten in Fällen auf, in denen die Aufeinanderfolge von baulichen Anlagen durch Baulücken, größere freie Flächen oder auch durch eine Bebauung durchbrochen ist, die ihrerseits nicht in der Lage ist, einen Bebauungszusammenhang herzustellen. Ausschlaggebend ist, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung noch den Eindruck der Geschlossenheit vermittelt, BVerwGE 28, 268.

Im Einzelfall können selbst größere Freiflächen, die wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit oder ihrer besonderen Zweckbestimmung einer Bebauung entzogen sind, unbeachtlich sein.

Ein Bebauungszusammenhang kann vorliegen, wenn eine Baulücke bestimmter Größe zwischen großzügig bemessenen mit Einfamilienhäusern bebauten Grundstücken liegt, während bei einer eng aneinander gereihten Bebauung eine vergleichbar große Lücke den Bebauungszusammenhang unterbricht, weil sich eine Neubebauung nicht mehr als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung darstellen würde.

In der Regel liegt lediglich eine Baulücke und keine Unterbrechung des Bebauungszusammenhangs vor, wenn eine noch nicht bebaute Fläche nur so groß ist, dass sie lediglich eines oder einige wenige der Vorhaben aufnehmen kann, die sich auf den Nachbargrundstücken bereits befinden, vgl. BVerwGE 62, 250 (251). Allerdings gibt es keine Faustregel, dass bei einer Baulücke mit drei bis vier Bauplätzen stets noch der Bebauungszusammenhang gewahrt ist.

Eine von Bebauung umgebene unbebaute Innenstadtfläche liegt jedoch nicht innerhalb des Bebauungszusammenhangs, wenn sie so groß ist, dass sich ihre Bebauung nicht als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung aufdrängt, vgl. BVerwGE 41, 227.

Unbebaute Grundstücke, deren Bebauung beabsichtigt oder bereits genehmigt ist, sind nicht wie bebaute Grundstücke zu behandeln. Ein qualifiziert beplantes Gebiet kann aber zur vorhandenen Bebauung gehören, dennoch sind auch dort unbebaute Grundstücke nicht deshalb wie eine bereits vorhandene Bebauung zu behandeln.

Ein bebautes Grundstück unterbricht den Bebauungszusammenhang nur dann, wenn die Bebauung im Verhältnis zur Größe des Grundstücks von ganz untergeordneter Bedeutung ist, BVerwGE 75, 34. 

Eine Unterbrechung des Bebauungszusammenhangs kann jedoch vorliegen, wenn größere Flächen nur mit baulichen Anlagen belegt sind, die für sich genommen, keinen Bebauungszusammenhang bilden können. Diese Flächen sind daher ähnlich wie unbebaute Flächen zu betrachten, da sie in der Regel nichts zu einer organischen Siedlungsstruktur beitragen können.

Eine in den Bebauungszusammenhang in keiner Weise einpassende Bebauung – Fremdkörper, der die Eigenart des Gebietes nicht prägt – unterbricht nicht den Bebauungszusammenhang, BVerwG Urt. v. 15.2.1990 – 4 C 23/86, BVerwGE 84, 322.

Bebaute Grundstücke in angrenzenden Gemeinden können Bestandteil eines tatsächlichen Bebauungszusammenhangs sein, allerdings ist § 34 BauGB nur anwendbar, wenn der Bebauungszusammenhang auch Ortsteil ist.

Im Gegensatz zu dem rein äußerlich und faktisch zu bestimmenden Bebauungszusammenhang hat der Begriff des Ortsteils auch eine rechtliche Komponente, da sich darin die Beziehung zur Planungshoheit der Gemeinde ausdrückt. 

Der Gemeinde ist im Rahmen des § 34 BauGB mit Blick auf ihre Verantwortung für die städtebauliche Ordnung und Entwicklung nur das zuzurechnen, was sie durch eigene sachgerechte Planung auch abwenden könnte. Da sie keine Möglichkeit hat, das Heranrücken eines benachbarten bebauten Ortsteils an ihren Außenbereich planerisch zu verhindern, ist insoweit nur auf die Bebauung im jeweiligen Gemeindegebiet abzustellen, BVerwG Urt. v. 3.12.1998 – 4 C 7/98.

 “Ortsteil” Jeder Bebauungszusammenhang im Gemeindegebiet, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten (mindestens sechs, BVerwG BRS 22 Nr. 76, vier genügen nicht) ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist, BVerwG BRS 79 Nr. 113. 

Ob das gewisse Gewicht erreicht wird, richtet sich nach der Umgebung. So können in ländlich geprägter Umgebung sechs Häuser genügen, während im städtischen Bereich zehn bis zwölf Gebäude nötig sein mögen. Lediglich vier Wohngebäude bilden keinen Ortsteil. 

Die Zahl der vorhandenen Bauten, die erforderlich sind, um das Vorliegen eines Ortsteils bejahen zu können, lässt sich nicht generell festlegen. Im Einzelfall kann ein Bestand von wenigen Häusern ausreichen, wenn in der Gegend entsprechende Siedlungsformen typisch sind, BVerwG Beschl. v. 19.4.1994 – 4 B 77/94. Ein Weiler mit sechs landwirtschaftlichen Hofstellen und drei alleinstehenden Wohnhäusern ist kein Ortsteil. Sieben im Durchschnitt zweigeschossigen Wohngebäuden fehlt bereits von der Anzahl der Baulichkeiten her das für einen Ortsteil zu fordernde hinreichende Gewicht, VGH Mannheim Urt. v. 26.3.1984 – 8 S 1895/83. Fünf Wohnhäuser und fünf landwirtschaftliche Nebengebäude können einen Ortsteil bilden, OVG Lüneburg Beschl. v. 18.11.2009 – 4 LA 371/08.

Aber auch, wenn die Anzahl der vorhandenen Bauten nicht unbeträchtlich hinter anderen Ansiedlungen dieser Gegend zurückbleibt, ist ein rein quantitativer Vergleich unangemessen; es ist ein Vergleich mit einer unerwünschten Splittersiedlung vorzunehmen.

Hinsichtlich des Merkmals “organischen Siedlungsstruktur” ist nicht darauf abzustellen, dass es sich um eine nach Art und Zweckbestimmung einheitliche Bebauung handelt, auch eine unterschiedliche oder in ihrer Art und Zweckbestimmung gegensätzliche Bebauung kann einen Ortsteil bilden. Der Ortsteil braucht sich auch nicht als ein Schwerpunkt der städtebaulichen Entwicklung oder als eine Bebauung mit einem eigenständigen Leben darzustellen.

Eine völlig regellose und in dieser Anordnung nach Art oder Maß funktionslose Bebauung oder eine Anhäufung behelfsmäßger Bauten entspricht nicht mehr der von § 34 ermöglichten angemessenen Fortentwicklung einer vorhandenen Bebauung, BVerwG Beschl.v. 18.02.2014 – 4 BN 1.15.

Ausnahmsweise aber kann eine bandartige einzeilige Bebauung den Anforderungen an eine organische Siedlungsstruktur entsprechen, wenn sie auf die Funktion und den Nutzungszweck der Bebauung zurückgeht und darin ihre Rechtfertigung findet, z.B. bei einer Bebauung an einem Seeufer, BVerwGE 41, 227.

Ein Bebauungszusammenhang in Innenstadtlage ist immer ein Ortsteil.

Der Gegenbegriff zum Ortsteil ist die Splittersiedlung als eine bloße Anhäufung von Gebäuden bzw. die unorganische Streubebauung im Außenbereich.

Ein Ortsteil kann “für sich allein genommen” nicht lediglich durch Bauwerke gebildet werden, die nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Gebäude mit diesem Zweck, z.B. Wohn- und Geschäftshäuser, Büros und Verwaltungsgebäude, Gewerbe- und Industriebetriebe müssen also hinzukommen, BVerwG Urt. v. 19.4.2012 – 4 C 10.11.

Unter Umständen können auch nur vorübergehend genutzte oder auch unbewohnte Gebäude je nach Funktion und Charakteristik ortsteilprägend sein.

Ein Kleingartengebiet bildet unbeschadet einer durchgehenden Laubenbebauung keinen Ortsteil, wenn die Gebäude nicht für den dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, BVerwG Urt. v. 17.2.1984 – 4 C 55/81.

Das Vorhaben muss sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen, die faktisch als Planersatz fungiert. Die nähere Umgebung umfasst nicht nur die unmittelbaren Nachbargrundstücke (Angrenzer), sondern auch die Grundstücke, auf die das Vorhaben sich auswirken kann, sofern diese das Baugrundstück noch bodenrechtlich beeinflussen. Sie müssen also zumindest im betreffenden Ortsteil liegen, BVerwGE 55, 369; BVerwG, BRS 39 Nr. 57. 

Die räumlichen Grenzen der näheren Umgebung sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Die Grenzen lassen sich nicht schematisch bestimmen. Die nähere Umgebung muss insoweit berücksichtigt werden, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und soweit die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst, BVerwGE 55, 369 (380). 

Die Eigenart der näheren Umgebung ist für jedes Kriterium des Einfügens gesondert abzugrenzen, bei der Art der baulichen Nutzung reicht sie tendenziell am weitesten.

Die Eigenart der näheren Umgebung wird durch die tatsächlich vorhandene Bebauung geprägt. Jedoch kann auch die “Nichtüberbaubarkeit” bestimmend für die Eigenart der näheren Umgebung sein. Was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder gar als Fremdkörper erscheint, muss außer Acht gelassen werden, BVerwG Urt.. v. 7.12.2006 – 4 C11.05, z.B. ein einzelner Gewerbebetrieb in einem Wohngebiet. 

Sofern die bisherige Nutzung aufgegeben wird, prägt diese solange weiter, bis nach der Verkehrsauffassung mit einer erneuten Nutzungsaufnahme nicht mehr gerechnet werden kann, BVerwGE 75,34; BVerwGE 98,235. 

Eine Straße kann für die Prägung in Bezug auf die Eigenart der näheren Umgebung trennende oder verbindende Funktion haben, es ist nicht allein auf den optischen Eindruck abzustellen, wenn die Bebauung diesseits und jenseits der Straße unterschiedliche Nutzungen aufweist, BVerwG. Urt. v. 6.7.1984 – 4 C 28/83.

Künftige bauliche Entwicklungen sind nur dann beachtlich, wenn sie sich bereits in der vorhandenen Bebauung niederschlagen, BVerwGE 55, 369 (381).

Problematisch ist häufig, ob das Vorhaben sich nach der Art der baulichen Nutzung einfügt. Da § 34 (2) BauGB eine Spezialregelung für faktische Baugebiete vorsieht, müssen die beiden Prüfungsstufen bzgl. der Art der Nutzung nur in sog. “Gemengelagen” vollständig durchlaufen werden. 

Eine Gemengelage zeichnet sich dadurch aus, dass in der näheren Umgebung so verschiedene Nutzungsarten vorhanden sind, dass sie keinem der Baugebiete der § 2 ff. BauNVO zugeordnet werden kann, BVerwGE BRS 56 Nr. 61. 

Ob ein Vorhaben in einem faktischen Baugebiet (dann § 34 (2) BauGB iVm. BauNVO) oder in einer Gemengelage liegt (dann § 34 (1) allein) kann erhebliche Auswirkungen haben. In einer Gemengelage muss ein Vorbild der Nutzungsart vorhanden sein, damit sich das Vorhaben in den prägenden Rahmen einfügt. In einem faktischen Baugebiet muss das Vorhaben nur abstrakt zulässig sein, es braucht kein Vorbild. (§ 34 (2) BauGB ist also stets vor § 34 (1) BauGB zu prüfen.) Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ist immer nach § 34 (1) BauGB zu fragen, ob sich das Vorhaben in die Umgebung “einfügt”.

Aus der Eigenart der näheren Umgebung sind die Maßstäbe dafür zu finden, ob sich ein Vorhaben einfügt und damit baurechtlich zulässig ist. Hält sich das Vorhaben in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens, fügt es sich in seine Umgebung ein, BVerwGE 55, 369 (385). Der für die Beurteilung der baurechtlichen Zulässigkeit im Innenbereich maßgebliche Rahmen kann gegebenenfalls auch durch städtebaulich an sich unbefriedigende Faktoren mitbestimmt werden.

Aus der näheren Umgebung sind die Maßstäbe für das Einfügen eines Vorhabens sowohl hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung, als auch hinsichtlich der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche zu gewinnen. Ob sich ein Vorhaben einfügt, ist dabei für jedes dieser Kriterien gesondert zu beurteilen, BVerwG Beschl. v. 13.5.2014 – 4 B 38/13. Der von der Umgebung vorgegebene Rahmen ist dabei umso enger, je einheitlicher die das Grundstück in bodenrechtlicher Hinsicht prägende Umgebung ist.

Sind in der als Maßstab beachtlichen Umgebung Wohngebäude, Gewerbebetriebe ohne erhebliche Nachteile für die Umgebung, aber auch Gewerbebetriebe von stärker emittierender Art vorhanden, ist die Bandbreite hinsichtlich der Art der Bebauung entsprechend groß.

Sind in der als Maßstab beachtlichen Umgebung die Grundstücke mindestens zu einem Viertel, höchstens aber zur Hälfte bebaut, so reicht beim Maß der Bebauung der Rahmen von der Grundflächenzahl 0,25 bis 0,5. Haben die Häuser in der als Maßstab beachtlichen Umgebung zwei, drei oder vier Vollgeschosse, so schließt der beachtliche Rahmen zwei bis vier Vollgeschosse ein.

Liegen die bebauten Grundstücksflächen jeweils an der Straße oder bis zu 12 m von ihr entfernt, ist damit in Bezug auf die überbaubaren Grundstücksflächen ein entsprechender Rahmen gegeben. Fügt sich ein Vorhaben nur ein, wenn das Grundstück in geschlossener Bauweise bebaut wird, darf nach Landesbauordnungsrecht nicht die Einhaltung von seitlichen Abstandsflächen verlangt werden, BVerwG Beschl. v. 11.3.1994 – 4 B 53/94.

Findet sich in der Nachbarschaft offene und geschlossene Bauweise, sind bauplanungsrechtlich beide Bauweisen möglich.

Die Bestimmung des Rahmens, in den sich ein Vorhaben einfügen muss, richtet sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nach den in der BauNVO für die einzelnen Baugebiete typisierten Nutzungsarten, soweit diese in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden sind. Die BauNVO stellt eine Konkretisierung der geltenden Planungsgrundsätze dar, so dass auch im Rahmen des § 34 (1) BauGB an die Typisierung der Nutzungsarten in der BauNVO angeknüpft werden kann.

Beim Maß der baulichen Nutzung kommt es “nicht auf die Feinheiten der Berechnungsregeln” der BauNVO an, sondern mehr auf das äußere Einfügen und die absoluten Maße (Grundfläche, Höhe), weniger auf die relativen Maßstäbe wie Grundflächen- oder Geschossflächenzahl, BVerwG Urt. v. 23.3.1994 – 4 C 18/92, BVerwGE 95, 277. Entscheidend ist also die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung. Wegen des Maßes der baulichen Nutzung können bodenrechtliche Spannungen nur auftreten, wenn das Vorhaben unabhängig von seiner Nutzungsart den vorhandenen Rahmen in unangemessener Weise überschreitet. 

Das ist der Fall, wenn eine bauliche Massierung zu einer sowohl in der Höhe als auch in der Tiefe erheblichen Nachverdichtung führt. Dagegen fügt sich ein Änderungsvorhaben im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung regelmäßig schon dann in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn das Gebäude in seinen Ausmaßen unverändert bleibt, BVerwG Beschl. v. 21.6.2007, zu einem Dachgeschoss; der Ausbau eines Dachgeschosses zu Wohnzwecken fügt sich nicht ohne weiteres ein, wenn er über eine “Aktualisierung” der Flächenreserven hinausgeht und Auf- und Ausbauten im Äußeren vorgenommen werden sollen, die der Eigenart der näheren Umgebung nicht entsprechen, OVG Lüneburg Beschl. v. 21.12.2005 – 1 LA 8/05. 

Für den Begriff der überbaubaren Grundstücksfläche sind die konkrete Größe und räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung und nicht die Grenzen des Baugrundstücks maßgeblich. Es geht dabei um den Standort im städtebaulichen Gefüge und Zusammenhang, maßgeblich sind die vorhandenen Hauptgebäude, BVerwG Beschl.v. 13.5.2014 – 4 B 38/13; BVerwG Beschl. v. 11.7.1997 – 4 B 172.97. 

Das Erfordernis des Einfügens schließt nicht generell die Verwirklichung eines Vorhabens aus, für das es in der Umgebung kein Vorbild gibt. Findet sich kein Vorbild, kann sich ein Vorhaben gleichwohl einfügen. Auch Vorhaben, die den aus ihrer Umgebung ableitbaren Rahmen überschreiten, können sich dieser Umgebung “einfügen”, denn bei diesem Kriterium geht es weniger um “Einheitlichkeit” als um “Harmonie”. 

Vorhaben fügen sich daher auch dann in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn sie zwar den vorhandenen Rahmen überschreiten, im Übrigen aber keine nur durch eine Bauleitplanung zu bewältigende bodenrechtliche Spannung in das Gebiet hineintragen. Das Gebot des “Einfügens” zwingt nicht zur “Uniformität”, BVerwG Urt. v. 26.5.1978 – 4 C 9/77, BVerwGE 55, 369 (386). 

Ist die Art der baulichen Nutzung bisher ausschließlich vom Wohnen bestimmt, kann sich z.B. ein Kurheim oder eine wohnbauähnliche Einrichtung zu sozialen Zwecken gleichwohl einfügen. Auch beim Maß der baulichen Nutzung kann je nach den Umständen des Einzelfalls nach oben oder nach unten abgewichen werden; erfordert etwa ein Jugendheim einen größeren Freiplatz, kann von der in der Umgebung vorhandenen Größe der überbaubaren Grundstücksfläche abgewichen werden.

Ein Vorhaben, dass den vorgegebenen Rahmen überschreitet, ist allerdings dann unzulässig, wenn es im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen begründet oder erhöht. Ein Vorhaben, das zu einer Verschlechterung, Störung oder Belastung der Umwelt führt und damit “Unruhe” stiftet, ist planungsbedürftig und fügt sich in seine Umgebung nicht ein. Die rein abstrakte Möglichkeit, dass ein Vorhaben Konflikte im Hinblick auf die zukünftige Nutzung benachbarter Grundstücke auslöst, schließt die Zulässigkeit des Vorhabens jedoch noch nicht aus. 

Die bodenrechtlichen Spannungen, die ein Vorhaben erzeugt, müssen sich auf die konkreten Wirkungen des Vorhabens in der konkreten Umgebung beziehen, in der es verwirklicht werden soll. Solche Spannungen können auch darin bestehen, dass das Vorhaben, auch wenn es selbst zu keiner Verschlechterung der gegenwärtigen Situation führt, aufgrund seiner Vorbildwirkung in naheliegender Zukunft eine solche Verschlechterung nach sich ziehen kann, BVerwGE 44, 302 (305). So kann z.B. die erste Vergnügungsstätte in einem Gebiet die städtebauliche Situation negativ in Bewegung bringen, BVerwG Urt.v. 15.12.1994 – 4 C 13/93.

Maßgeblich sind vor allem die in § 1 (6) BauGB aufgezählten städtebaulichen Belange. Abzustellen ist zudem auf die typische Nutzung des betreffenden Vorhabens.

Ein Vorhaben kann, obwohl es sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, unzulässig sein, wenn es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, d.h. vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt. 

Das Gebot der Rücksichtnahme ist Bestandteil des Merkmals “Einfügen”. Oftmals ists eine ungleichmäßige Verteilung der Nutzungen, die insgesamt den Maßstab für eine Beurteilung des Vorhabens geben, festzustellen.

Für die Zulässigkeit eines Vorhabens kann deshalb nicht allein auf den insgesamt maßgebenden Rahmen abgestellt werden, wenn “seine unmittelbare Umgebung oder seine Umgebung in bestimmter (Himmels-)Richtung gesteigert schutzwürdig ist, BverwG Urt. v. 26.5.1978 – 4 C 9/77. Durch das Gebot der Rücksichtnahme wird damit vor allem dem Umstand Rechnung getragen, dass der für die Beurteilung des Vorhabens maßgebliche Rahmen aus der näheren Umgebung, insbesondere aus der in unmittelbarer Nähe vorhandenen Bebauung, gewonnen wird.

Je uneinheitlicher die Eigenart der näheren Umgebung ist, desto mehr Bedeutung hat das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelfall. Je einheitlicher und homogener die vorhandene Bebauung ist, desto geringer ist bei einem Vorhaben, das sich in die Umgebung einfügt, die Bedeutung des Rücksichtnahmegebotes als Korrektiv im Einzelfall.

 

Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse

Gem. § 34 (1) Satz 2 müssen die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben und das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden. Städtebauliche Missstände sollen verhindert werden und das schützenswerte Gesamtbild der Umgebung darf nach dem ästhetischen Empfinden eines aufgeschlossenen Betrachters nicht gestört werden.

Die Wahrung der Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse als ein beachtliches Zulässigkeitsmerkmal für die Beurteilung von Innenbereichsvorhaben spiegelt die planungsrechtlichen Grundsätze des § 1 (6) Nr. 1 BauGB wieder. Es geht um die Abwehr städtebaulicher Missstände, BVerwG Urt. v. 12.12.1990 – 4 C 40/87. Unzureichende Wohn- und Arbeitsverhältnisse können  vor allem durch schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden, aber auch aufgrund von kontaminierten Böden, sog. “Altlasten” bestehen. Werden bislang hinreichende Wohn- und Arbeitsverhältnisse in der näheren Umgebung erst durch das beabsichtigte Vorhaben verschlechtert, fügt sich das Vorhaben nicht ein und ist deshalb unzulässig.

Die größte Zahl der Rechtsstreitigkeiten bezieht sich auf Umweltprobleme, vor allem auf Beeinträchtigungen durch Immissionen, die entweder vom Bestand oder durch das beabsichtigte Vorhaben ausgehen. Neben der Gemengelagenproblematik treten Konflikte im Zusammenhang mit Spiel-, Freizeit-, Sport oder Vergnügungsstätten auf.

In Gebieten mit sog. Gemengelagen ist der für das Merkmal Einfügen allein durch § 34 (1) BauGB vorgegebene Rahmen häufig weit. Als Gemengelage werden Gebiete mit einem engen Nebeneinander von unterschiedlichen, sich häufig wechselseitig beeinträchtigenden Nutzungen bezeichnet, insbesondere bei einem Nebeneinander von Wohnungen einerseits und Industrie, Handel, Gewerbe, Landwirtschaft, Freizeitgelände oder Verkehr andererseits.

Von einem faktischen Mischgebiet, § 6 BauNVO, unterscheidet sich die Gemengelage dadurch, dass es auch um das Nebeneinander von Nutzungen geht, die so in einem Mischgebiet nicht zulässig wären, z.B. Wohnen und das Wohnen wesentlich störende Gewerbebetriebe. Wegen das in diesen Gebieten weiten Beurteilungsrahmens kommt der möglichen Beeinträchtigung schutzwürdigere Belange und damit dem Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme besonders große Bedeutung zu.

Zu Gunsten eines neuen Vorhabens ist die Vorbelastung durch bereits vorhandene Anlagen in der näheren Umgebung, insbesondere die Vorbelastung durch genehmigte und dafür grundsätzlich bestandsgeschützte Immissionen, grundsätzlich zu berücksichtigen, BVerwGE 50,49. Der für das Neubauvorhaben maßgebliche Rahmen und auch die vorhandenen Vorbelastungen sind “in wertfrei-feststellender Würdigung der gegebenen Situation” zu bestimmen. In Bereichen, in denen Nutzungen unterschiedlicher Art mit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen ist die jeweilige Grundstücksnutzung mit einer spezifischen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, und zwar in der Weise, dass die gewerbliche Nutzung die von ihr ausgehende Belästigung in Grenzen hält und dass die benachbarte Wohnnutzung die Tatsache, dass sie in der Nähe einer Belästigungsquelle angesiedelt ist, im Sinne der Bildung einer Art Mittelwert respektiert. Das gilt auch für Geruchsimmissionen, BVerwG Beschl. v. 28.9.1993 – 4 B 151/93.

Ein Wohnbauvorhaben fügt sich, was die von ihm hinzunehmenden gewerblichen Immissionen angeht, in die derart “vorbelastete” Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es nicht stärkeren Belästigungen ausgesetzt sein wird, als die bereits vorhandene Wohnbebauung.

Die gewerbliche Nutzung braucht gegenüber einer neu hinzukommenden Wohnnutzung nicht mehr Rücksicht zu nehmen, als gegenüber der bereits vorhandenen Wohnnutzung.

Halten sich die von dem Gewerbebetrieb ausgehenden Belästigungen in den Grenzen des der Wohnnutzung im Sinne eines “Mittelwerts” Zumutbaren, sind gegenüber dem Gewerbebetrieb keine immissionsschutzrechtlichen Beschränkungen seines Betriebs infolger der hinzukommenden Wohnbebauung gerechtfertigt. Dies gilt auch für Fälle von Betriebserweiterungen oder -änderungen. Überschreiten die Belastungen diese Grenze, hat der Betrieb Einschränkungen bereits wegen der vorhandenen und nicht erst wegen der hinzukommenden Wohnbebauung zu befürchten, Battis, Reidt, Komm. BauGB, § 34, Rn. 48.

Maßgeblich ist stets eine typisierende Betrachtung, da es um die Zulässigkeit der Grundstücksnutzung als solche geht, auf besondere individuelle Empfindlichkeiten komme es nicht an.

Zur im Rahmen des § 34 (1) BauGB zulässigen Lösung von Konflikten zwischen Sportanlagen und angrenzenden Wohnbereichen können insbesondere die Bauausführung und der Standort beitragen. Ein privater Tennisplatz ist in einem durch Wohnbebauung gekennzeichneten unbeplanten Innenbereich grundsätzlich zulässig, Voraussetzung ist aber in der Regel, dass sich der Tennisplatz im Verhältnis zum Wohngebäude und zur Grundstücksgröße als untergeordnete Nebenanlage darstellt und dass er nach seiner Lage auf dem Grundstück nicht zu Störungen der Wohnruhe der Nachbarn führt. Führt ein Tennisplatz zu Störungen der Wohnruhe, widerspricht er der Eigenart des maßgebenden Bereichs. Über die vorhandene Vorbelastung hinausgehende zusätzliche Immissionsbelastungen stellen sich in aller Regel auch als ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot dar.

In einem unbeplanten allgemeinen Wohngebiet ist ein Wohnbauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft eines Sportplatzes unzulässig, wenn es sich Sport-Immissionen aussetzt, die nach der Eigenart des Gebietes in diesem unzumutbar sind. Werden die für Kern-, Dorf- und Mischgebiete festgelegten Grenzwerte nicht überschritten, sind regelmäßig gesunde Wohnverhältnisse gewahrt, BVerwG Urt. v. 23.9.1999 – 4 C 6/98, BVerwGE 109, 314. Kinderspielplätze sind in einem auch durch Wohnnutzung geprägten Bereich in aller Regel zulässig.

Die mit der Benutzung von in einem Baugebiet allgemein zulässigen religiösen Anlagen üblicherweise verbundenen Beeinträchtigungen sind grundsätzlich hinzunehmen, BVerwG Urt. v.  27.2.1992 – 4 C 50/89

Ein zweites Gebäude im rückwärtigen Grundstücksteil – sog. Hinterlandbebauung (z.B. sog. Pfeifenkopf- oder Hammergrundstücke) kann auch dann zulässig sein, wenn in dem betreffenden Bereich das Hintergelände noch nicht in vergleichbarer Weise bebaut ist. Ein allgemein geltender Grundsatz, dass Hinterbebauung städtebaulich unerwünscht ist. Auch wenn sich das Vorhaben im Allgemeinen in solchen Fällen nicht in dem vorgegebenen Rahmen hält, ist es nur dann unzulässig, wenn es bodenrechtlich beachtliche und ausgleichsbedürftige Spannungen begründet oder die vorhandenen Spannungen erhöht. Dies kann der Fall sein bei nicht unwesentlichen Beeinträchtigungen des Ortsbildes, einer unangemessenen Verminderung der Freiflächen im Gebiet, der Störung einer vorhandenen Ruhelage oder der Beeinträchtigung der Durchlüftung. Dem Vorhaben kann eine Vorbildwirkung in dem Sinne entgegengehalten werden, dass nachfolgende Vorhaben die vorhandene Freifläche unangemessen vermindern würden.

Eine private Windenergieanlage für den Eigenbedarf eines Einfamilienhauses kann sich je nach den konkretn Umständen des Einzelfalls in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen, auch wenn es bislang keine vergleichbaren Anlagen dort gibt, BVerwG Urt. v. 18.2.1983 – 4 C 18/81.

Auch wenn ein Vorhaben weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig ist, kann es durch entsprechende Anwendung der Befreiungsvorschrift des § 31 (2), 2. Halbsatz BauGB zugelassen werden. Auch insofern wird der nichtbeplante Innenbereich dem  beplanten Innenbereich gleichgestellt, vgl. Mitschang/Reidt, Komm. BauGB, § 34, Rn. 64. Einer gewissen Relativierung bedarf jedoch die Anforderung des § 31 (2) BauGB, dass durch die Abweichung die Grundzüge der Planung nicht berührt sein dürfen, da es im unbeplanten Innenbereich eine solche Planung gerade nicht gibt.

 

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