— 20.08.2020 —
Beschluss des OVG Brandenburg vom 06.07.2006 – 2 S 2.06
- Ein Boardinghouse stellt eine Übergangsform zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsbetrieb dar, wobei die schwerpunktmäßige Zuordnung von den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls abhängt.
- Zu den Anforderungen an ein noch der Wohnnutzung zuzuordnendes Boardinghouse.
Gestritten wurde um die Nutzung eines Gebäudes in Berlin-Mitte als Boardinghouse. Genehmigt wurde die Sanierung und der Umbau des Wohn- und Geschäftshauses und die Wiederherstellung der Wohnnutzung “nach einem zeitgemäßen Nutzungskonzept” Ein potentieller Investor wollte zur Sicherheit eine Bestätigung durch die zuständige Baubehörde erhalten, dass die Nutzung der Wohneinheiten als Serviced-Apartments/Boardinghouse von der vorliegenden Baugenehmigung gedeckt sei. Die Behörde betrachtete die erteilte Baugenehmigung als hinreichend bestimmt und lehnte eine weitere Interpretation ab.
Nach Presseveröffentlichungen, die das Gebäude als “Neues Designhotel Lux 11” bezeichneten, das “seinen Gästen ein besonderes Zuhause” bieten will, sah sich die Behörde ( = Antragsgegner) zu einer Ortsbesichtigung veranlasst, um zu prüfen, ob das Wohn-und Geschäftshaus entgegen der genehmigten Nutzung vorzeitig als Hotel in Betrieb genommen worden sei. Die Behörde kam zur Erkenntnis, dass es sich bei der Vermietung der Ein- und Zweizimmerwohnungen im zweiten bis vierten Obergeschoss des Gebäudes um einen hotelähnlichen Betrieb handelte und untersagte die weitere Nutzung des Gebäudes, weil eine gewerbsmäßige Beherbergung nicht von der erteilten Baugenehmigung gedeckt sei.
Das Verwaltungsgericht gab der Bauherrin (= Antragstellerin) Recht, die Behörde legte dagegen Beschwerde ein, leider erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat die streitgegenständliche Nutzung des Gebäudes als Boardinghouse zu Recht der Wohnnutzung zugerechnet, denn der nach dem Nutzungskonzept vorgesehene und nach den baulichen Voraussetzungen mögliche Betrieb liegt noch innerhalb der der Wohnnutzung eigenen Variationsbreite und ist insoweit von der Baugenehmigung gedeckt. Die gesetzlichen Anforderungen an den Erlass einer Nutzungsuntersagung nach § 70 (1) Satz 2 BauOBln in der Fassung vom 3. September 1997, die voraussetzt, dass eine bauliche Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften benutzt wird, sind nicht erfüllt.
Die Begriffe Wohnen, Wohngebäude (z.B. in § 3 (1) und (2) BauNVO) und Betrieb eines Beherbergungsgewerbes (z.B. in § 3 (3) Nr. 1 BauNVO) sind in der Baunutzungsverordnung nicht näher umschrieben. In der Rechtsprechung wird die Annahme einer Wohnnutzung jedoch maßgeblich an eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit geknüpft, die durch die Möglichkeit eigenständiger Haushaltsführung und unabhängiger Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises gekennzeichnet ist. Dies setzt vor allem eine eigene Kochgelegenheit für die Zubereitung von Speisen voraus, die eine gewisse Unabhängigkeit von der Inanspruchnahme von Gemeinschaftsräumen, wie Frühstücksraum, Speisesaal usw., gewährleistet. Beschränkt sich eine Zimmervermietung dagegen auf eine reine Übernachtungsmöglichkeit, so ist der Gast ausstattungsbedingt auf die Inanspruchnahme weiterer Dienstleistungen angewiesen und es handelt sich um einen Beherbergungsbetrieb. Diese Nutzungsform kann kein auf Dauer angelegter Wohnungsersatz sein, weil es an der Möglichkeit einer eigenständigen Haushaltsführung fehlt. Hieraus folgt wiederum, dass das Fehlen nennenswerter Dienstleistungen, wie sie neben der Zimmervermietung zu einem Beherbergungsbetrieb gehören, ein weiteres Kennzeichen der Wohnnutzung ist.
Ein Boardinghouse verfügt grundsätzlich über eine moderne Küchenzeile mit Kühlschrank zur Unterbringung eigener Lebensmittel – darüber hinaus vielfach auch über weitere, zu eigenständigen Haushaltsführung geeignete technische Geräte. Das weitgehende Fehlen der für die Beherbergungsbetriebe typischen Servicebereiche außerhalb der vermieteten Zimmer, wie insbesondere von Speise- und Aufenthaltsräumen mit dem zugehörigen Personalservice, ist deshalb für ein Boardinghouse kennzeichnend und zugleich ein Hinweis auf eine schwerpunktmäßige Wohnnutzung. Meist sind die Zimmer erheblich größer als übliche Hotelzimmer, um durch die Größe der gemieteten Räume und deren Ausstattung den Mietern die Möglichkeit zu bieten, auf eine gewisse Dauer eine selbst bestimmtes häusliches Leben zu führen. Ob zum Angebot auch noch hotelähnliche Nebenleistungen gehören, wie Frühstücksbuffet, Reinigungsdienst, Hemden- oder Wäscheservice, Bettwäschewechsel oder auch Lebensmitteldienste, ist von Fall zu Fall verschieden.
Erreichen diese Dienstleistungen einen nennenswerten Umfang, kann dies vor allem dann zu einer Schwerpunktverlagerung der Wohnnutzung in Richtung eines Beherbergungsbetriebs führen, wenn diese Dienstleistungen vom eigenen Hauspersonal erbracht werden und im Preis inbegriffen sind. Es ist deshalb schon räumlich ein Indiz für einen Beherbergungsbetrieb, wenn in dem Boardinghouse Speiseräume mit Personalservice, betriebsnotwendige Nebenräume, Aufenthalts- und Sozialräume für das Personal sowie Lagerräume für die Unterbringung von Servicegerätschaften und Bedarfsartikeln vorhanden sind.
Für die Beurteilung des Nutzungsschwerpunktes kommt es darauf an, welcher Leistungsumfang vom Nutzungskonzept umfasst ist, und ob sich der angegebene Nutzungszweck des Vorhabens, der grundsätzlich durch den Bauherrn bestimmt wird, innerhalb des objektiv Möglichen hält. Abzustellen ist auf einen an den objektiven Nutzungsmöglichkeiten orientierten Nutzungszweck, wie er sich aus den vom Bauherrn vorgelegten Bauunterlagen ergibt (….). Der Nutzungszweck lässt sich vor allem an der Größe und Ausstattung der Räume ablesen sowie aus dem Verhältnis der Gesamtraumzahl zu eventuellen Serviceräumen. Der räumlichen Struktur der Gesamtanlage und der sich dadurch bietenden Nutzungsmöglichkeiten kommt deshalb neben dem Nutzungskonzept ein besonderes Gewicht zu.
Danach handelt es sich bei dem Gebäude Rosa-Luxemburg-Str. 9-13, soweit es als Boardinghouse genutzt wird, schwerpunktmäßig um eine Wohnnutzung.
Die im 2. bis 4. Obergeschoss befindlichen Wohneinheiten erfüllen auch nach Ansicht der Behörde die in § 45 (1) BauO Bln a.F. genannten Mindestanforderungen an Wohnungen, denn die danach erforderliche bauliche Abgeschlossenheit gegenüber fremden Räumen und anderen Wohnungen sowie der erforderliche abschließbare Zugang unmittelbar vom Freien ist über die jeweiligen Treppenhäuser und Flure sowie die Klingel- und Schließanlage gewährleistet. Ebenso ist jeweils eine Küchenzeile vorhanden sowie genügend Abstellraum in Form von Mieterkellern für die Wohnungen. Darüber hinaus stehen Fahrradstellplätze und ein Gemeinschaftsraum mit zahlreichen Waschmaschinen und Trocknern für die Mieter im Haus zur Verfügung. Es besteht auch die Möglichkeit, zusätzlich einen eigenen Briefkasten anzumieten.
Das Boardinghouse der Antragstellerin ist nach der Grundfläche der Wohnungen (ca. 25 bis 55 m2) und deren Ausstattung auf eine längere Verweildauer der Mieter zugeschnitten. Die Möglichkeit der Selbstorganisation des Alltags durch Selbstverpflegung in eigener Küche mit Herd, Mikrowelle, Kühlschrank und Geschirrspüler sowie auch der Reinigung der Zimmer, der Textilwäsche durch Inanspruchnahme hauseigener Waschmaschinen und Trockner und der Unterbringung eigener Gegenstände durch Nutzung der Abstellmöglichkeiten in den Mieterkellern sind gegeben.
Soweit Einschränkungen bei der Ausstattung der Räume mit eigenen Gegenständen bestehen, sofern diese mit Eingriffen in die Substanz verbunden und deshalb zustimmungsgebunden sind, stellt dies die Wohnnutzung nicht in Frage, zumal die Zustimmung nach den Ausführungen der Antragstellerin in der Beschwerdeerwiderung auch regelmäßig erteilt wird. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners (Behörde) ist die Zuordnung zur Wohnnutzung auch nicht vom Nachweis ausschließlich längerfristiger Vermietung abhängig, denn die Aufenthaltsgestaltung in einem Boardinghouse kommt ohnehin schon wegen des mit dieser Wohnform verbundenen Zeitaufwands, wie beispielsweise für Einkäufe, Essenszubereitung und Wäschewaschen, nur für einen sich längerfristig am Ort aufhaltenden Nutzerkreis in Betracht. Allein die Größe der Räumlichkeiten und deren Ausstattung setzen besondere Ansprüche an die Aufenthaltsqualität voraus, die täglich wechselnde Hotelgäste in der Regel nicht haben, so dass sich die Verweildauer von selbst regeln dürfte. Die Vermietung von Wohnungen bei Bedarf auch an Kurzzeitmieter ist jedenfalls für die Zuordnung zur Wohnnutzung unschädlich, solange sich die sonstigen Rahmenbedingungen für diese Nutzer nicht ändern. Die Höhe des Mietpreises ist ebenfalls ohne Einfluss auf die Zuordnung dieser Nutzung, zumal sie auch auf dem sonstigen Wohnungsmarkt nicht geeignet ist, eine Wohnnutzung ab einer gewissen Preisgrenze in Frage zu stellen.
Einem Beherbergungsbetrieb ähnliche Dienstleistungen werden im vorliegenden Fall nicht erbracht, denn über die Vollausstattung der Wohnungen mit Bett-, Tisch- und Badwäsche hinaus, wie sie einer möblierten Vermietung entspricht, findet kein hotelmäßiger Service statt. Aus den Bauplänen ist auch ersichtlich, dass in dem Gebäude jegliche hoteltypischen Gemeinschafts- oder Nebenräume außerhalb der vermieteten Wohneinheiten fehlen. Der im Erdgeschoss befindliche Eingangsbereich ist zwar recht großzügig bemessen, umfasst aber über den Empfangs-und eventuellen Vermittlungsdienst sowie die Verwaltung des Hauses hinaus keine Gemeinschaftseinrichtungen und ist deshalb für die Frage der Wohn- oder Hotelnutzung ohne Bedeutung. Selbst Wohnungsbaugesellschaften gehen zur Erhöhung der Attraktivität ihres Wohnbestandes zunehmend dazu über, ihren Mietern die Annehmlichkeiten eines Conciergedienstes zu bieten, der unter Sicherheitsaspekten eine gewisse Zugangskontrolle gewährleistet und gleichzeitig kleinere Dienstleistungen erbringt, ohne dass dies die Wohnungseigenschaft in Frage stellt.
Die im Erd- und Untergeschoss vorhandene Gastronomie und die Läden sind mit dem Boardinghouse nach den nicht substantiiert bestrittenen Ausführungen der Antragstellerin rechtlich und wirtschaftlich nicht verbunden. Die dortige Gastronomie hat zwar den Lagevorteil räumlicher Nähe zu den Wohnungen, lässt aber keine Funktionseinheit mit dem Boardinghouse im Sinne einer eigenen Serviceeinrichtung des Hauses erkennen, die auf einen Beherbergungsbetrieb hindeuten könnte. Dies gilt auch für die anderen Geschäfte und Lokalitäten im Erd- und Untergeschoss, deren räumliche Nähe zu den Wohnungen im Haus einer zentralen Innenstadtlage entspricht, ohne dem Boardinghouse als eigene Serviceeinrichtung oder Dienstleistung für seine Mieter zurechenbar zu sein. Dass die Antragstellerin mit diesem Lagevorteil wirbt, ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners kein Kennzeichen für eine geschäftliche Verbundenheit im obigen Sinne, sondern entspricht den Gepflogenheiten auch auf dem übrigen Wohnungsmarkt.
Auch sonstige Dienstleistungen, wie Wäschewechsel von Seiten des Hauses, finden nicht statt. Der im Preis enthaltene Reinigungsservice (alle 3 Tage Teilreinigung, alle 6 Tage Vollreinigung) entspricht vom Reinigungsrhythmus her eher dem privater Haushalte und wäre bei täglicher Inanspruchnahme jeweils gesondert zu bezahlen. Dies gilt nach der Preisliste selbst für kleinere Dienstleistungen, wie Handtuchwechsel (6,00 €), die in einem Beherbergungsbetrieb selbstverständlich nicht nur täglich erfolgen würden, sondern auch im Preis inbegriffen wären. Die mögliche Lieferung von Lebensmitteln oder Speisen erfolgt von seiten des Hauses allenfalls als Vermittlungsservice durch die Rezeption, wie sich aus der Beschwerdeerwiderung und der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers vom 6. März 2006 ergibt. Solche Bestellungen können und sollen von den Mietern grundsätzlich selbst über das eigene Telefon geordert werden. Diese Dienstleistungen sind dem Boardinghouse deshalb auch nicht als eigener Service zuzurechnen. Für eventuelles Personal und dessen Dienstleistungen sind baulich keine gesonderten Räume vorhanden.
Wie der Nutzungsvertrag zwischen dem Boardinghouse-Betreiber und den Mietern bei der Anmietung bisher bezeichnet worden ist, ist für die Zuordnung unergiebig. Maßgebend ist zivilrechtlich immer nur der tatsächliche und übereinstimmend gewollte Vertragsgegenstand und nicht dessen mögliche Falschbezeichnung, wobei es sich im vorliegenden Fall um eine Wohnnutzung zum vorübergehenden Gebrauch im Sinne des § 549 (2) Nr. 1 BGB handeln dürfte (….). Diese erfährt aufgrund der zeitlichen Befristung eine bedarfsangepasste Rechtsgestaltung, ohne dass dieser Umstand auf die städtebauliche Einordnung als Wohnnutzung Einfluss hat.
Dass die Tagespresse und die Werbung im Internet zunächst gängige Bezeichnungen der Hotelbranche gewählt haben, wie sie den potenziellen Interessenten eher geläufig sind, dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass die Vermietung von Apartments unter der Bezeichnung Boardinghouse und die darunter zu verstehenden Rahmenbedingungen in Deutschland noch keine so weitgehende Verbreitung gefunden haben. Das gilt auch für das vom Antragsgegner im Schriftsatz vom…..als Beleg für eine Hotelnutzung angeführte Stellenangebot für eine Buchhalterin unter der Branchenbezeichnung “Hotel”, das – wie die Antragstellerin im Schriftsatz vom …ausgeführt hat – lediglich den Vorgaben des Online-Stellensuchprofils der Bundesagentur für Arbeit geschuldet war, weil es eine Rubrik “Apartmentvermietung” dort nicht gab. Unabhängig davon, dass dieses Beschwerdevorbringen bereits verfristet war, ist diese Einordnung nach Angaben der Antragstellerin im Erwiderungsschriftsatz vom….inzwischen auch geändert und das Stellenangebot in die Rubrik “Verwaltung von fremden Gebäuden und Wohnungen” übernommen worden, so dass es für mögliche Rückschlüsse ohnehin nicht mehr relevant sein kann.
Die vom Antragsgegner in der Beschwerdeschrift geäußerten städtebaulichen Bedenken gegen die Zulässigkeit der Nutzungsform “Boardinghouse” in Wohn- und MIschgebieten als Wohnnutzung wegen der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Bevölkerung und die Infrastruktur sind für die vorzunehmende Wertung der vorliegenden Nutzung nicht relevant, weil sich diese an den oben genannten Kriterien für das Wohnen zu orientieren hat. Im Übrigen sind die vom Antragsgegner befürchteten “Umwandlungen” und deren städtebauliche Folgen wohl kaum in größerer Zahl zu erwarten, weil es sich um ein spezielles Vermietungssegment mit einem nur beschränkten Nutzerkreis handelt und letztlich der Bedarf das Angebot regelt.