Einrichtung der Altenpflege, Begriff „Betreutes Wohnen“, Anlage des Gemeinbedarfs

— 06.11.2020 —

Oberverwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 27.10.2008, – 2 Bf 53/07. Z

Eine von einem Bauträger errichtete Wohnanlage, die zum Eigentumserwerb und/oder Miete der Wohneinheiten vorgesehen ist und im Gebäudekomplex über eine von einem anderen Träger betriebene Sozialstation verfügen soll, die das “Betreute Wohnen” ermöglicht, stellt keine in einem Bebauungsplan festgesetzte Anlage des Gemeinbedarfs mit der Zweckbestimmung “Alteneinrichtung der freien Wohlfahrtspflege” dar.

Die Klägerin streitet um die Bebauung eines Grundstücks im Geltungsbereich eines Bebauungsplans und eines Landschaftsschutzgebietes. Für den überwiegenden Teil des Grundstücks gilt die Festsetzung Baugrundstück für den Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung “Alteneinrichtungen der freien Wohlfahrtspflege II, ein nordöstlicher Teilbereich ist als “WA II” ausgewiesen.

Mit Schreiben vom 26. August 2002 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung einer Alteneinrichtung und eines Doppelhauses. Sie formulierte dabei die Frage, ob “auf dem Grundstück eine Alteneinrichtung in Form eines Altenpflegeheimes oder als altengerechtes Wohnen mit Betreuungsmöglichkeit errichtet” werden könne. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2002 konkretisierte sie den Antrag dahin, dass sie als Bedarfsträger eine Einrichtung der freien Wohlfahrtspflege vorgesehen habe. 

Daraufhin erteilte die Beklagte der Klägerin im November 2002 einen Vorbescheid für den “Neubau einer Alteneinrichtung der freien Wohlfahrtspflege sowie die Errichtung eines Doppelhauses”. Auf die in der Bauvoranfrage der Klägerin gestellte Frage antwortete sie, dass eine spätere Erteilung der Baugenehmigung nach Maßgabe der beigefügten zwei Anlagen möglich sei. Voraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung sei die Einleitung des notwendigen Erschließungsbescheidsverfahrens. Hierfür sei ein Antrag zu stellen. Eine gesicherte Erschließung sei gleichzusetzen mit der planmäßigen Erschließung nach Maßgabe des Bebauungsplans….. In der Anlage Nr. 2 führte die Beklagte unter der Überschrift (naturschutzrechtliche) “Auflagen” im Zusammenhang mit der Landschaftsschutzverordnung vom 24. September 1996 aus, dass auf dem betreffenden Grundstück nur eine Bebauung möglich sei, die der Festsetzung des Bebauungsplans “Gemeinbedarf” mit der Konkretisierung “Alteneinrichtung der freien Wohlfahrtspflege” entspreche. Auf Antrag der Klägerin verlängerte die Beklagte die Frist für die Inanspruchnahme des Vorbescheids bis zum 14. November 2006.

Die Klägerin stellte insgesamt drei Bauanträge für eine “Wohnanlage barrierefrei für ältere Menschen”, für den Neubau eines Doppelhauses auf dem nordöstlichen Teil des Grundstücks, für den die Festsetzung “WA II” gilt, für den Neubau einer Alteneinrichtung sowie eines Doppelhauses, altengerechtes Wohnen mit Betreuungsmöglichkeit der Freien Wohlfahrtspflege”…..

Die Beklagte lehnte alle drei Bauanträge der Klägerin ab. Das erste und dritte Vorhaben der Klägerin widerspreche der im Bebauungsplan getroffenen Festsetzung Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung Alteneinrichtung der freien Wohlfahrtspflege. Unabhängig davon seien alle Vorhaben gem. § 30 (1) BauGB auch deshalb unzulässig, weil die planmäßige Erschließung nicht gesichert sei.

Die Berufung der Klägerin wurde nicht zugelassen, da einer der Gründe des § 124 (2) VwGO nicht vorliegt. Der Senat hat allein das Vorliegen derjenigen Zulassungsgründe zu prüfen, die auch ordnungsgemäß dargelegt worden sind. Es bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 (2) Nr. 1 VwGO.

Die Einwände der Klägerin gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der erteilte Vorbescheid vom 14. November 2002 entfalte hinsichtlich der beiden Bauanträge …und der Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens keine Bindungswirkung, weil die Klägerin das Vorhaben wesentlich geändert habe, greifen nicht durch. 

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Vorbescheid gem. § 65 HBauO 1986 die Bauaufsichtsbehörde (nur) im Umfang der getroffenen Regelungen bindet; hierüber ist bei der Entscheidung über die Baugenehmigung nicht erneut zu befinden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Bauantrag nicht in rechtserheblicher Weise von dem dem Vorbescheid zugrundeliegenden Vorhaben abweicht (…).

Was den Inhalt der in dem Vorbescheid getroffenen Regelungen anbelangt, kann der Klägerin nicht in ihrer Ansicht beigetreten werden, dass von der Beklagten auch die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von altengerechtem Wohnen mit Betreuungsmöglichkeit bejaht wurde. Es ist zwar zutreffend, dass die Klägerin in ihrer Bauvoranfrage diese Frage aufgeworfen hat, sie ist aber von der Beklagten nicht positiv geregelt worden. Nach dem insoweit allein maßgeblichen objektiven Erklärungswert (….) durfte die Klägerin den Vorbescheid nur in dem Sinne verstehen, dass die Beklagte, wie es in dem Tenor unzweifelhaft heißt, den “Neubau einer Alteneinrichtung der freien Wohlfahrtspflege” für bauplanungsrechtlich zulässig hält. 

Auch in den weiteren Ausführungen der Beklagten wird stets der Begriff der Alteneinrichtungen benutzt. In der von der Klägerin selbst eingereichten und genehmigten Vorlage Nr. 4/2 heißt es ebenfalls “Vorbescheidsantrag Neubau einer Alteneinrichtung”. Mit der Formulierung “Alteneinrichtung” bezog sich die Beklagte auf die für das Baugrundstück der Klägerin geltende gleich lautende Festsetzung in dem Bebauungsplan S… aus dem Jahre 1970. 

Unter “Alteneinrichtungen” sind aber nur Alten- Altenwohn- und Altenpflegeheime zu verstehen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie auf einen wechselnden Bestand der Bewohner ausgerichtet sind (siehe § 1 Absatz 1 des Heimgesetzes) und über Gemeinschaftseinrichtungen verfügen, die die Anlage als einheitliches Ganzes erscheinen lassen (…).

Die von der Klägerin zur Genehmigung gestellten beiden Vorhaben betreffen dagegen nicht eine Alteneinrichtung in dem vorstehenden Sinne, sondern sie entsprechen der neuen Wohnform des Betreuten Wohnens. Den Begriff des “Betreuten Wohnens” gab es zur Zeit der Planaufstellung noch nicht (vgl. nunmehr § 1 Abs. 2 HeimG). Es handelt sich hierbei um eine Wohnform für ältere Menschen, die sich erst seit Anfang der 90er Jahre entwickelt hat. Bei ihr wird eine alten- bzw. behindertengerechte Wohnung, die als privater eigenständiger Haushalt geführt wird, vertraglich verbunden mit der Sicherheit einer Grundversorgung und im Bedarfsfall weiteren Dienstleistungen (…). Da die Klägerin auch den Verkauf von Wohnungen betreiben will, ist ihre Wohnform nicht auf den wechselnden Bestand der Bewohner ausgerichtet. Zudem verfügt die Anlage als Gemeinschaftseinrichtung lediglich über eine Sozialstation, die schon baulich gegenüber den Wohnungen/Häusern völlig in den Hintergrund tritt. Die Gesamtanlage gewinnt dadurch nicht den Charakter einer Alteneinrichtung, sondern stellt sich lediglich als eine Ansammlung von Einzelwohnungen und einzelnen Häusern dar.

Eine Bindungswirkung des Vorbescheids besteht auch deshalb nicht, weil die zur Genehmigung gestellten beiden Vorhaben hinsichtlich des Bedarfsträgers nicht dem Vorbescheid entsprechen, so dass die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen wird. Die Beklagte hat in dem Vorbescheid ausdrücklich geregelt, dass sie das Vorhaben nur mit einem Bedarfsträger der freien Wohlfahrt als zulässig erachte, da die Erteilung einer Befreiung gem. § 48 HmbNatSchG nicht in Betracht komme. 

Die Klägerin hat vor Erlass des Vorbescheides mit Schreiben vom 10. Oktober 2002 selbst bestätigt, dass als Bedarfsträger für das Vorhaben eine Einrichtung der freien Wohlfahrtspflege vorgesehen sei. In den beiden zur Genehmigung gestellten Vorhaben tritt dagegen die Klägerin selbst als Bedarfsträgerin auf. Wenn sie demgegenüber darauf verweist, dass die sozialen Dienstleistungen vom DRK, einer Organisation der freien Wohlfahrtspflege erbracht werden sollen, so ändert dies nichts daran, dass sie – und nicht das DRK – Bedarfsträgerin ist. 

Die Trägerschaft beruht nämlich auf der Bodennutzung, die in der Errichtung der Anlage oder Einrichtung und in deren Nutzung liegt. Beides soll hier aber durch die Klägerin erfolgen: Sie ist nicht nur die Bauherrin der Wohnungen bzw. Häuser, sondern auch für das Betreute Wohnen (vertraglich) verantwortlich. Die Wohnungskauf- bzw. Wohnungsmietverträge sollen kombiniert mit einem Dienstvertrag mit ihr als Vertragspartei abgeschlossen werden. Das DRK tritt lediglich als “Kooperationspartner” der Klägerin auf, der die in den Mischverträgen vereinbarten sozialen Dienstleistungen erbringt. Entgegen den Darlegungen der Klägerin im Zulassungsantrag kann deshalb nicht festgestellt werden, dass das DRK “Betreiber der Altenwohnanlage” ist; vielmehr ist das DRK bloße Erfüllungsgehilfin der Klägerin bei der Erbringung von sozialen Dienstleistungen, die diese selbst den Wohnungsinhabern dienstvertrglich schuldet.

…….

Die Ermächtigung zur standortgenauen Festsetzung von Gemeinbedarfsflächen in §9 Abs. 1 Buchstabe f BauGB, § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB trägt einem besonderen Nutzungsinteresse der Allgemeinheit und dem gesteigerten Gemeinwohlbezug dieser Anlagen Rechnung. Auf die Rechtsform des Einrichtungsträgers kommt es dabei zwar nicht entscheidend an. Der erforderliche Gemeinwohlbezug einer Anlage oder Einrichtung ist deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch dann zu bejahen, wenn mit staatlicher oder gemeindlicher Anerkennung eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen wird, hinter der etwaiges privatwirtschaftliches Gewinnstreben eindeutig zurücktritt oder aber eine staatliche Gewährleistungs- und Überwachungsverantwortlichkeit besteht, die geeignet ist, den vorausgesetzten Gemeinwohlbezug auch solcher Anlagen und Einrichtungen herzustellen, deren Leistungserbringung sich nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen vollzieht und auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist (….).

Die Klägerin verfolgt als GmbH & Co.KG jedoch weder per se amtlich anerkannte gemeinnützige Zwecke, wie die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, noch unterliegt die Aufgabe der Altenhilfe einer konkreten staatlichen Gewährleistungsdimension, die aufgrund staatlicher Zulassung und Kontrolle geeignet wäre, der privatrechtlichen Tätigkeit der Klägerin einen Gemeinwohlbezug zu vermitteln. Nicht zu überzeugen vermag schließlich die Argumentation, dass die Tätigkeit des DRK in der Sozialstation den erforderlichen Gemeinwohlbezug der Anlage begründe. Denn die Anlage ist nicht dem DRK, sondern der Klägerin als Rechtsträgerin zugehörig…